Nummer Eins: Schmerz vs. A Great Big World und Christina Aguilera


Diesmal über belgische Singles-Charts vom 19. April 2014, Platz 1: A Great Big World and Christina Aguilera, „Say Something“.


Schmerz kann ein schönes Gefühl sein. Also nicht ein Armbruch, von Armbrüchen rate ich eher ab. Aber dieser Schmerz, den man verspürt, wenn man etwa nachts auf einen Legostein tritt oder Zeh und Bettpfosten kollidieren – passiert sehr gerne, nachdem man in der Küche war, um etwas Milch zu trinken, und zu faul war, das Licht anzuknipsen, im Kühlschrank brannte schließlich welches -, der ist schon toll.

Angeblich bricht sich der Durchschnittsdeutsche im Leben elfmal den Zeh und bemerkt es nicht, aber das ist wahrscheinlich eine urbane Legende, wie auch die Sache mit den Inuit, die 250 verschiedene Ausdrücke für Schnee haben sollen oder die Behauptung, dass es auf Rätoromanisch ein Wort zugleich für Krise und Lösung gäbe.

Zurück zum Schmerz: Schön ist eigentlich nicht der Schmerz an sich, sondern der Moment, in dem er nachlässt. „Say Something“ von A Great Big World, das sich in den letzten Monaten schon in Kanada und Australien an die Chartsspitze „setzte“ und nun in Belgien ordentlich weggekauft wird, ist der Soundtrack für diesen Moment. Da tupft ein Klavier zunächst beruhigend, dann mit heiligem Ernst. Es folgt eine Stimme, dann eine zweite, und die gehört Christina Aguilera, die der Schreiber dieser Zeilen längst vergessen hatte, was womöglich daran liegt, dass sie zuletzt selbst lediglich durch die Hits anderer hüpfte („Moves Like Jagger“, Sie erinnern sich).

Mittlerweile, das impliziert die Darbietung dieses Songs in der Kultursendung „The Voice“, sieht sie aus wie eine Mischung aus der Pfälzer Fernsehkönigin Daniela Katzenberger und der ukrainischen Politikerin Julija Timoschenko. A Great Big World und die Aguilera winseln also freudvoll. „Ich verschlucke meinen Stolz“, singen sie, und dann streichen die Streicher und alles wird von Sekunde zu Sekunde weich und warm und flauschig, als Hörer fühlt man sich wie eine zugepillte Angorakatze im Flokatiladen. Nicht schlimm, da gibt es wenigstens keine Kanten, an denen man sich den Zeh anhauen kann.

Diese Kolumne ist in der Juni-Ausgabe 2014 des Musikexpress erschienen.