KURZE EXPLOSION DER ENERGIE


Einfach ist das mit den Pixies nicht. Räumt auch Black Francis ein. Vor ein paar Monaten hatte sich die Band im Aufnahmestudio eingefunden, da kündigte Bassistin Kim Deal ihren Abschied an. „Sie betrat den Coffeeshop, in dem wir alle saßen, und sagte nur: ‚Ich fliege morgen nach Hause.‘ Als wir das hörten, war es schon nicht mehr wichtig, warum sie sich von uns trennte.“

In den Worten von Black Francis klingt das alles schon wieder abgeklärt. Den Bandgründer treiben aber dezente Zweifel um, ob das Publikum den Pixies im Jahr 2013 noch einmal folgen wird. Im neuen Song „Indie Cindy“ fragt er sich, ob die Erinnerung an eine gemeinsame Vergangenheit stark genug ist, die Romanze zwischen Fans und Band auch in die Zukunft zu tragen. Denn gerade wird ein neues Kapitel in der langen, krisengeschüttelten Geschichte der Pixies geschrieben. Die US-Indierock-Darlings der späten 80er-Jahre stellen sich der Öffentlichkeit erstmals seit der Wiedervereinigung 2004 mit einem ganzen Set aktuell eingespielter Songs. Fünf EPs sind bis Ende 2014 angekündigt, der erste Eintrag der Reihe, schlicht EP1 betitelt, ist soeben erschienen. Ein Tanz auf dem Vulkan für eine Band, die eigentlich nur ihre eigene Legende zerstören kann.

Von Kim Deal ist aktuell so viel bekannt: Sie befindet sich auf Geburtstagstour mit den Breeders – man feiert das 20. Jubiläum ihres erfolgreichsten Albums LAST SPLASH – und hatte gerade mal wieder Bauchschmerzen bei den Pixies. Black Francis möchte das Thema „Kim Deal“ heute am liebsten abhaken: „Die Leute interessieren sich auch noch für andere Fragen als die, warum Kim Deal sich von uns verabschiedet hat. Sie sind inzwischen auch etwas gelangweilt von all den Dramen, die in Rock-Bands so stattfinden. Es passieren noch andere Dinge auf der kulturellen Landkarte.“ Eine Auseinandersetzung habe nicht stattgefunden, sagt Gitarrist Joey Santiago: „Am Ende aber war Kim nicht mehr glücklich mit den Pixies, das konnten auch wir nicht mit ansehen.“ Und: „Kim darf zurückzukommen, wann immer sie will.“

Die neue Pixies-Bassistin Kim Shattuck hat erst ein paar Gigs absolviert, sie wird Kim Deal ersetzen, aber kaum vergessen machen. Kim Deal ist die Frau, die Rauchen auf der Bühne Sexyness verlieh und die Pixies mit ihren rollenden Bassläufen erst auf Hochtouren brachte. Kim Deal bleibt – nicht nur für die Pixiesund Breeders-Fanclubs – die coolste Rock-Frau der Welt. Ein Kommentar im Internet verrät etwas von der Fan-Stimmung im Aufb ruchsjahr der Pixies: „No Kim, no Deal.“ „Das empfinde ich nicht als Respektlosigkeit gegenüber dem Rest der Band“, sagt Joey Santiago, „man kann die Leute ja verstehen. Sie lieben Kim.“

Deals Ausstieg und die neuen Songs haben ihre Wirkung aber nicht verfehlt, die Schrauben der Aufmerksamkeitsökonomie sind angezogen und die Pixies ins kollektive Gedächtnis der Indierock-Gemeinde zurückgekehrt. Und das in einem Moment, da Dreampop- und Chillwave-Ensembles, Hypnagogic-Popper und Dubstepper dem alten Onkel Rock allenfalls noch mitleidige Grüße aus ihren wolkigen, Keyboard-verhangenen Soundnischen entbieten. Die neue Verschwommenheit, die den Sound dieser Jahre definiert, ist auch ein Spiegel der letzten großen Strukturrevolution: Popmusik hat sich über die Kanäle des Internet atomisiert. Der Mainstream ist ein Sammelbecken der Minderheiten geworden. Als Black Francis und Gitarrist Joey Santiago 1986 die Pixies in Boston/Massachusetts gründeten, war das Pop-Universum vergleichsweise fest gezimmert. Wer dem Mainstream entsagte, verließ die Ruinen des Punk mit neuen Strategien der Selbstvergewisserung, die hießen später Postrock, Hardcore und Indierock.

Die Anzeige, die Black Francis damals auf der Suche nach einer Bassistin aufgab, besaß eine spezielle Note: Voraussetzung für eine Mitgliedschaft bei den Pixies war das Interesse für Hüsker Dü und Peter, Paul and Mary. Für Tempo und Intensität also, für Süße, Melodie und die sanften Echos der Vergangenheit. Aus den frühen Aufnahmen der Pixies sprach eine Aufgeregtheit und Verwirrung, wie wir sie seit den ersten Tagen des Punk nicht mehr erfahren hatten. Das katatonische Röhren und Schreien des Pixies-Chefs traf auf die himmelhoch fahrenden Gitarren Santiagos, das trockene Gepolter David Loverings und Kim Deals leise, heiße Gesänge. Die Band eroberte in ihren Songs dunkle Klangräume, Black Francis füllte sie mit einer Sammlung wild wogender Geschichten, mit viel Blut und Knochen, mit verstümmelten Körpern, Vampirmädchen und Serienkillern, mit alttestamentarischen Andeutungen und grellen Comicfiguren, mit Sadomaso und Verweisen auf Luis Buñuels absurdes Meisterwerk „Ein andalusischer Hund“.

„Caribou“ vom Mini-Debüt COME ON PILGRIM (die erste Pixies-Veröffentlichung auf dem britischen 4AD-Label 1987) klang, als hätte man eine Westcoast-Band unter Starkstrom gesetzt und vergessen, den Stecker zu ziehen. Ein Song wie ein Urschrei, der Auftakt für eine Reihe von Pop-Punk-Explosionen, die, wie ein Kritiker einmal behauptete, nur von einer „Surfb and vom Mars“ entfacht worden sein können. Über die 33 Minuten von SURFER ROSA (1988) bündelte Produzent Steve Albini die Qualitäten der Pixies in einem Sound, der zu gleichen Teilen an den Geburtsschrei des Rock’n’Roll und die Dekonstruktion desselben erinnerte. Die Band brachte Sprungkraft in die Musik, mit Tracks wie „Gigantic“,“Bone Machine“ und „Where Is My Mind?“ drang sie in den Kreis der Rock-Klassiker vor, in ihren besten Momenten verwandelte sie den diffusen Ingrimm einer Generation von Zuspätgekommenen in Hymnen fürs Hier und Heute. Oft kopiert, nie erreicht.

Damals hätte 4AD-Labelchef Ivo Watts-Russell die Pixies beinahe mit der Begründung abgelehnt, sie hörten sich zu normal an, „zu sehr nach Rock ’n’Roll“. Dankenswerterweise überzeugte seine Freundin ihn vom Gegenteil. Das dritte große Album der Band, DOOLITTLE (1989, erstmals von Gil Norton produziert), markierte den Aufb ruch der Pixies in den Gitarrenpop, Stücke wie „Monkey Gone To Heaven“ und „Here Comes Your Man“ besaßen nicht mehr die schweren Risse und Kratzer der ersten Aufnahmen, die Band nutzte den Schwung der Stunde und wagte sich in hell ausgeleuchtete Soundräume – an den Wänden surrealistisches Gekritzel. Mit BOSSANOVA (1990) und TROMPE LE MONDE (1991) begann der Stern der Pixies bereits wieder zu verblassen, die Revolution hatte ihre Kinder ohne Leitfaden fürs Erwachsenwerden entlassen.

Und was sagen uns die neuen Pixies-Songs auf der EP1 gut 20 Jahre später? „Andro Queen“ besitzt nicht mehr einen Hauch der Schärfe, die die Pixies einmal auszeichnete, die Melodie versuppt im amerikanischen Gitarrenbrei. Black Francis träumt sich seine androide Königin von einem anderen Planeten auf die Erde, versinkt in blumigen Sexfantasien und muss der Extraterrestrischen am Ende hinterherschauen, wie sie in ihrer Rakete Richtung Saturn entschwindet. „Another Toe In The Ocean“ und „What Goes Boom“ sind hingegen ordentlich muskuläre Rock-Nummern. Ist das nun wieder das Modell für kommende Aufnahmen, die die Band ohne Vorwarnung ins Netz zu stellen gedenkt? Black Francis will sich nicht festlegen. „Ich habe schon eine Vorstellung davon, was ich schreibe. Aber viele Dinge passieren einfach rasend schnell, dann ist da Musik und eine Textzeile wie ‚I’m the Burgermeister of purgatory‘. Eine kurze Explosion der Energie. Texte sind für mich manchmal wie ein Poetry-Slam.“

Der Ende Juni veröffentlichte Song „Bagboy“ war der Teaser für die vier neuen Stücke, die Anfang September auf der Website pixiesmusic.com auftauchten, unangekündigt, untermalt vom Geräuschpegel der digitalen Ära, dem Knistern und Knacken des Lauffeuers im Internet. Nachdem „Bagboy“ online war, dauerte es genau 22 Sekunden bis zum ersten Tweet, haben Pixieologen festgestellt. Black Francis erklärt, warum die Band via Download in die neue Ära startet. „Die Veröffentlichung von Musik, gleich, ob auf CD oder Vinyl, erzeugt nur noch eine kurze Aufmerksamkeitsspanne. Das alte LP-Format funktioniert nicht mehr, und es gibt noch kein neues Format, es wird vielleicht nie mehr eins geben. Es gibt aber ein aktuelles Modell, das ist digitalisierte Musik, die du über ein Telefon oder was auch immer abspielst. Weil die Leute dich und deine Band aber auch erleben wollen, gehen so viele Bands so intensiv auf Tour.“

Seit 2004 haben Black Francis, Joey Santiago, David Lovering und Kim Deal über 300 Konzerte gegeben und Ticket-Einnahmen von 65 Millionen Dollar verbucht. Nicht übel für eine Band, die sich schon einen „Haufen begnadeter Dummköpfe“ hat nennen lassen müssen und in ihrem ersten Leben ein Insider-Phänomen in den USA blieb. Dabei boten der schwergewichtige Entertainer Black Francis und seine Gang großes Theater: Die Pixies brachten Aufruhr und Harmonie in eine Gleichung mit so vielen Unbekannten, dass das Ergebnis am Ende immer Überraschungen aufb ot. Und die Momente des Aufruhrs wurden grandios ausgekontert von den sanften Harmonien der beherzt in den Bass-Saiten grabbelnden Ex-Cheerleaderin Kim Deal, die auch große Songs schreiben konnte („Gigantic“) – wenn sie denn mal die Gelegenheit dazu erhielt. Einfach war das schon damals nicht. Black Francis und Kim Deal avancierten zum zickenden und zoffenden „Traumpaar“ des Indie-Rock, das sich in einem dauerhaften Richtungsstreit befand. Anfang 1993, nach nur fünf Alben, spielten die Pixies am Rande der Erschöpfung, das Bandgefüge war zerbröselt, Bandchef Black Francis teilte den Kollegen die Beendigung der Arbeitsverhältnisse nur noch per Fax mit. Rückblickend schaut er im Interview melancholisch auf die ersten Jahre bei den Pixies. „Du wirst niemals mehr diese Naivität besitzen, die du damals hattest. Diese wunderbare Unschuld, die dir auch Energie verliehen hat. Das ist nicht mehr zu haben, das gilt für jeden, der so lange unterwegs ist. Die Erfahrungen, die du im Laufe der Jahre gesammelt hast, geben dir andererseits eine andere Art von Kraft, der du dir auch sehr bewusst bist. Manchmal aber steht sie dir nicht zur Verfügung.“

Black Francis, 1965 unter dem Namen Charles Michael Kittridge Thompson IV in Boston geboren, sammelte in der Kirche erste musikalische Eindrücke. Seine Eltern gehörten der Pfingstbewegung an, in den Gottesdiensten wurde ausgiebig gesungen, mit 13 entdeckte Charles die Songs des christlichen Rock-Sängers Larry Norman. Wie wichtig waren die Jahre in einer strenggläubigen Familie im Moment der Gründung einer eigenen Bandfamilie? „Sehr wichtig. Aber es kommt auf die Fans an. Ob sie nun einen religiösen Background haben oder nicht, es interessiert die Leute, wenn du deine Einflüsse in deiner Musik aufscheinen lässt. Das ist für Europäer auch noch einmal anders als für Amerikaner, denk an Bluesoder Gospel-Künstler wie Aretha Franklin, deren Verbindungen zur Religion ganz deutlich sind.“ Black Francis wurde immer wieder nachgesagt, in den Pixies-Lyrics seine religiöse Früherziehung mit kryptischen Bibelanspielungen zu verarbeiten, später bezeichnete er sich als Agnostiker, heute sieht der 48-jährige Vater von fünf Kindern sich selbst als nüchtern denkenden Künstler, der Musik, Geschäft und Privates sauber trennt. „Ich habe Methoden entwickelt, mit den Veränderungen in meinem Leben umzugehen. Wenn ich nicht auf Tour bin, verbringe ich jeden Tag zu Hause, jede Nacht, ich stehe meiner Familie immer zur Verfügung. Jeder Tag ist Samstag. Ich kann mich den Dingen widmen, die anderen nicht möglich sind, weil sie erst abends um sieben nach ihrem Job nach Hause kommen.“

Heute ist der Einfluss der Band auf den Grunge der 90er und den Indierock der folgenden Jahre unüberhörbar, die Pixies waren mit ihren sägenden Gitarrensongs der Katalysator für das, was unter Nirvana eine bahnbrechende Form annahm. „,Smells Like Teen Spirit‘ zu schreiben war nichts anderes als der vergebliche Versuch, die Pixies zu kopieren“, sagte Kurt Cobain. Als Grunge größer wurde, befanden die Pixies sich schon auf ihrem Krisengipfel, als Grunge explodierte, implodierten die Pixies in ihrer hochnervösen Bandblase. Die Anziehungskraft, die die Pixies auf eine kommende Generation von Bands ausüben sollten, war damals nur schemenhaft zu erkennen. Das Laut-leise-laut, die abrupten Tempo- und Atmosphärenwechsel, die ihre Songs so hell aufb litzen ließen, haben sich in der DNA des Rock festgesetzt. „Influenced by“ ist ja nicht zu verwechseln mit „sounds like“, in diesem Sinne großen Eindruck hinterlassen hat die Musik der Pixies auf Pavement, die Smashing Pumpkins, PJ Harvey und Radiohead. „Ich habe diese Dynamikwechsel nicht erfunden“, sagt Black Francis. „Hör dir die raffiniertesten Beatles-Arrangements an, da entsteht ein Song innerhalb eines bereits bestehenden Songs. Wenn man einen Punkt in einem Song setzt oder das Tempo plötzlich verändert, steht das für eine gewisse Aggression. Diese Momente sprechen sehr stark zum Publikum: Hey, ich möchte, dass du mir zuhörst. Das ist nicht mehr der Groove des vergangenen Monats. Schluss damit.“

Die Pixies 2013 lassen sich wieder von den Original-Pixies der Jahre 1987 bis 1991 inspirieren. Das war lange Zeit nicht so. Die zahlreichen Soloalben, die Black Francis – bis 2007 unter dem Logo Frank Black – produzierte, waren eine durchaus inspirierte Abkehr von den kunstvollen Detonationen der Pixies in ihren ersten Jahren. Francis eignete sich auf dem Fluchtweg Country, Blues und die Singer/Songwriter-Pose in seiner eigenen Lingua an. Auf dem Album BLUEFINGER (2007) begann er Frieden mit der Vergangenheit zu schließen, für den Song „Threshold Companion“ kramte er ein unbenutztes Riff aus den SURFER-ROSA-Session-Archiven. Kim Deal schrieb als Chefin der Breeders mit „Cannonball“(1993) den besten Pixies-Song der Post-Pixies-Ära. An der Seite ihrer Schwester Kelley Deal schaffte sie mit den Breeders, was den Pixies in den USA nie vergönnt war, das Album LAST SPLASH verkaufte sich allein in den Staaten mehr als eine Million Mal.

Es hat gedauert, bis sich die Mitglieder der Pixies nach diversen Seitenwegen, Drogen-und Alkoholtherapien auf eine Reunion im Jahr 2004 einigen konnten. Wer diesen Schritt im Zuge einer um sich greifenden „Retromania“ erklären wollte, traf nicht ganz den Punkt. Dass die Pixies wieder die Bühnen der Welt entern und ihre Klassiker für ein großenteils mitgewachsenes Publikum spielen sollten, war auch der finanziellen Situation der Bandmitglieder geschuldet, nicht zuletzt der Erkenntnis, dass die Band als Einheit der Summe ihrer verstreuten Teile überlegen war. Und jetzt standen die Pixies plötzlich auf Coachella-und Lollapalooza-Bühnen und traten in Sälen auf, die 3 000 Menschen fassten -statt in den Rock-Kaschemmen der späten 80er, die Nirvana auf dem Programm hatten, als Kurt Cobain noch ein kleiner Slacker war.

Heute geben die Pixies auch wieder all die „Hits“ auf ihren Konzerten: „Where Is My Mind?“, „Monkey Gone To Heaven“,“Planet Of Sound“ und „Debaser“. Standhaft, konzentriert, Serviceleister für ein Publikum, das sich noch einmal einfangen lassen will. Mit ihrer Rückkehr auf den Planeten Bühne mussten die Pixies sich die Titulierung „Rock-Oldies“ gefallen lassen, mit ihren neuen Aufnahmen senden sie eine beruhigende Botschaft in den Dschungel der Downloadgemeinden und Spezialitätenverwalter: Wir können die Zeit noch einmal für die Dauer eines Songs festhalten. Die Pixies erinnern an die Kanten, die Rockmusik einmal definiert haben, als Rockmusik noch die erste Adresse am Ort war. Das darf man Nostalgie nennen.

EP1

pixiesmusic.com

Nein, das geht wirklich nicht. Wenn man sich 22 Jahre nach TROMPE LE MONDE zu einer Veröffentlichung durchringt, auf die alle schauen, liefert man nicht so etwas ab. Nicht, wenn man den Namen Pixies trägt und dafür gesorgt hat, dass die Jahre 1987 bis 1991 ein Erlebnis waren. Dann bringt man keine Songs heraus, bei denen man sich nicht sicher ist, ob es wirklich dieselbe Band ist, die man in Erinnerung hat. Beim Vorspiel „Bagboy“ gab es dieses Problem nicht. Der schwer aufschlagende Beat, der an Soul Coughing angelehnte Monolog und ein plötzlich aufk ommender Gitarrenorkan klingen in der Summe genauso durchgedreht, wie man es sich erhofft hatte. Aber „Andro Queen“? Da hat man das Gefühl, als hätten sich Chris Isaak und Owl City zu einer Zusammenarbeit verabredet. Wicked game. Mit „Another Toe In The Ocean“ landen Black Francis, David Lovering und Joey Santiago auf dem Niveau von Weezer. Von „Indie Cindy“ hätte man der Band allein schon wegen des Titels abgeraten. Francis klingt erst erregt, dann verfällt er in krudes Country-Nölen. Nicht nur das, er hat auch noch die Frechheit, eine Zeile abzuliefern, für die man ihm Berufsverbot erteilen müsste: „You put the cock in cocktail, man, I put the tail in wait, watch me walk.“ Puh! Akzeptabel ist lediglich „What Goes Boom“, weil die Band hier ihre Punk-Wurzeln, Pop-Sensibilität und ihren Wahnsinn ansprechend bündelt. Angeblich ist diese EP die erste in einer Reihe von fünf Exemplaren, die bis zum Ende des nächsten Jahres sauber voneinander getrennt erscheinen sollen. Man kann nur hoffen, dass die Qualität dann rapide zunimmt.

** Thomas Weiland

DIE NEUE KIM

Schön war es nicht, als die Pixies im Sommer den Ausstieg von Kim Deal verkünden mussten. So kurz vor einer Tour und neuen Veröffentlichungen verzichtet man lieber auf solche Nachrichten. Aber die Band hat sich nicht außer Tritt bringen lassen und eine neue Kim gesucht und gefunden. Kim Shattuck machte schon vor Gründung der Pixies Musik. Sie war ab 1985 Bassistin der Girlgroup The Pandoras, die mit Rochaden zwischen Pop und Garagenrock perfekt zum damaligen amerikanischen Sixties-Revival passte. Zum Ende des Jahrzehnts hin schwenkten sie auf harmlosen Hardrock um, mit dem sie sich zum Glück nicht durchsetzen konnten. Nach Auflösung der Band im Jahr 1990 blieb Shattuck im Geschäft. Sie führte als Sängerin, Gitarristin und Songschreiberin die Pop-Punk-Combo The Muffs an, die drei Alben veröffentlichte. Gewisse Bekanntheit erlangte die Band mit einer Version von Kim Wildes „Kids In America“, die im Film „Clueless“ zu hören ist. The Muffs lösten sich nie offiziell auf. Ihr letztes Album REALLY REALLY HAPPY erschien 2004.

Die 50-jährige Shattuck weiß, wie man Lärm und Melodien verbindet. Sie beherrscht das Bass-Spiel, kann durchaus verführerisch singen und sorgt überdies für einen Glamour-Faktor. Einige vergleichen sie schon mit einer weiteren Kim, Frau Gordon. Da das Engagement kurzfristig zustande kam, kann man nicht sagen, ob es von Dauer sein wird. Sicher ist, dass die Pixies bei der Suche nach Ersatz eine inspirierte Wahl getroffen haben. Thomas Weiland