LEONARD COHEN


Gottesdienst in der Mehrzweckhalle. Mit sorglosem Sex und enormem S tehvermö gen. Hallelujah!

Dreieinhalb Stunden brutto spielt der kanadische Gigant. 27 Songs, unterbrochen nur von einer viertelstündigen Pause und dem üblichen Von-der-Bühne-und-wieder-auf-die-Bühne-Hüpfen zwischen den Zugabeblöcken – und Leonard Cohen hüpft tatsächlich: freudig winkend und im Hopserlauf verschwindet er immer wieder kurzzeitig. Leonard Cohen ist jetzt 78 Jahre alt. Man sieht und hört es ihm an und das ist auch gut so. Immer mehr Geschichten erzählt sein faltiges Gesicht, immer tiefer und ehrfurchtsvoller wird seine Stimme, die sich über die Besucher der Mehrzweckhalle legt wie die Hand Gottes. Cohen wacht über uns. Nichts hat er von seiner potenten Präsenz und seiner enigmatischen Aura verloren. Das ist nach den ersten Zeilen des Eröffnungsstücks „Dance Me To The End Of Love“ klar und das beruhigt. Denn natürlich schwingt bei der Entscheidung, einem Auftritt des Maestros beizuwohnen, auch immer die Vermutung mit, es könne sich ja um die letzte Chance dazu handeln. Zwar ist kein Jahr vergangen, seit er zuletzt in Berlin gespielt hat, aber dennoch: Leonard Cohen ist so alt wie die Karrieren der Rolling Stones, von Daft Punk und von Nirvana zusammen. Doch die Mühelosigkeit, mit der er hier sein Durchhaltevermögen demonstriert, wie er tänzelt, immer wieder in die Knie geht, zu den ganz großen Gesten ausholt, all das vergewissert, dass dieser Abend keine einmalige Gelegenheit ist. Ein Tower of Song ist dieser Mann und in jedem seiner Stockwerke hängen die Alten Meister an der Wand: „Hallelujah“,“Suzanne“,“The Future“ – hier wandelt Cohen erneut die provokante Forderung „Give me crack and anal sex“ ab und singt „careless sex“ – „Everybody Knows“, „Chelsea Hotel #2“, Rückschau auf ein makelloses Lebenswerk. Wie oft muss er schon in von Saallicht ausgeleuchtete Gesichter Zehntausender Berliner gesehen haben, die frenetisch die letzte Strophenzeile von „First We Take Manhattan“ röhren: „Then we take Berlin!“ Dennoch haftet seinem ergriffenen Blick keine Routine an. Leonard Cohen ist dankbar. Vielfach bedankt er sich bei seiner Band, die er fast genauso oft detailliert und voller Lob vorstellt, beim Publikum, insbesondere bei den Menschen auf den Rängen: „Danke, meine Freunde, dass ihr für uns so weit nach oben geklettert seid!“ Die Dankbarkeit ist beidseitig. Als er sich nach 24 Liedern und dem programmatischen „Closing Time“ verabschiedet, nur um gleich wieder zurückzukehren und das ebenso programmatische „I Tried To Leave You“ anzustimmen, spürt man fast, wie sich überall die Herzen öffnen. So long, Leonard, bis hoffentlich nächstes Jahr.

SETLIST

Dance Me To The End Of Love The Future Bird On The Wire Everybody Knows Who By Fire Darkness Amen Come Healing Lover Lover Lover

Tower Of Song Suzanne Chelsea Hotel #2 Sisters Of Mercy The Partisan Alexandra Leaving (performed by Sharon Robinson) I’m Your Man Hallelujah Take This Waltz

So Long, Marianne Going Home First We Take Manhattan

Famous Blue Raincoat If It Be Your Will (performed by the Webb Sisters) Closing Time

I Tried To Leave You Save The Last Dance For Me