EAV :: Spitalo Fatalo

Der auf den ersten Blick ungelenke Bandname Erste Allgemeine Verunsicherung entsteht auf einer Straßenbahnfahrt durch frühe Wiener Morgenstunden im Jahre 1977: der gerade neu zur Folk- Formation Antipasta gestoßene Thomas Spitzer erspäht schlaf- trunken das Bürogebäude der Ersten Allgemeinen Versicherung. Mit der Spekulation auf einen öffentlichkeitswirksamen Rechts- streit wird der alte Name verabschiedet und die Unternehmens- verballhornung als offizielles Etikett adoptiert. Spitzer zementiert damit seine Vormachtstellung innerhalb der Band, der er ohnehin nur unter der Voraussetzung beitrat, künftig in allen Belangen tonangebend zu sein.Bald folgt das anarchokabarettistische Debüt VERUNSICHERUNG, das stellenweise noch etwas unbeholfen wirkt, den Weg aber bereits klar vorzeichnet: mitten hinein in die Wunden der Gesellschaft. Der als Weihnachtssingle veröffentlichte Song „Ihr Kinderlein kommet (verdammt noch einmal)“ über einen pädophilen Kaufhaus-Nikolaus sorgt für den ersten Skandal und die EAV beginnt auf einem zur Kommune umfunktionierten Bauernhof mit der Arbeit am zweiten Album: Das politrockige CAFÉ PASSÉ erscheint 1981 und holt zum Rundumschlag gegen (Schein-)Heilige und selbst(v)erklärte Weltverbeserer aus: „Wir marschieren“ stellt die Moral des österreichischen Militärs an den Pranger, in „Woodstock“ suchen verirrte Althippies ihr Heil mit geldgierigen Gurus und „Vienna“ trägt ungeniert die alters- schwache Hauptstadt zu Grabe. Die Fachwelt würdigt das später lange Zeit vom Markt genommene Meisterwerk u. a. mit dem deutschen Schallplattenkritiker-Preis. Nach dem tragischen Selbstmord ihres Conferenciers Walter Hammerl schließt sich Sänger und pudellockiger Frauenmagnet Klaus Eberhartinger dem Haufen an. Ein früheres Angebot hatte er noch mit der legendären Anmaßung ausgeschlagen: „Kommt’s wieder, wenn Ihr 5000er Hallen bespielt’s!“In der bis heute als klassisch empfundenen Besetzung Eik Breit (zum Bassisten umfunktionierter Mundharmonikaspieler), Nino Holm (schwedischer Keyboarder), Mario Bottazzi (Vorzeigefreak und zweiter Keyboarder, diesmal aus England), Günter Schönberger (als Manager Mann hinter den Kulissen und als Showtransvestit Frau vor den Kulissen), Anders Stenmo (Ausnahmeschlagzeuger, auch aus Schweden), Spitzer (nach Einschätzung Holms ein „Mördergitarrist, der schnellste der Welt, jedenfalls von Graz“) und Eberhartinger entsteht 1983 der Geniestreich SPITALO FATALO: „Tanz, tanz, tanz“ ätzt mit seinem Affront gegen den Früh-80er Heroin-Chic, „Stolzer Falke“ ist ein Mahn- und Abgesang an die dem Mammon verfallenen Anführer der Studentenrevolution und angesichts des stadionrockenden „Total verunsichert“ verwundert es, dass neben „Schrei nach Liebe“ von Die Ärzte oder „Sascha – ein aufrechter Deutscher“ von Die Toten Hosen nicht auch dieses Stück zum Standard auf Links-Demos zählt: „Und immer wenn die Lage schlimmer wird / Werden alte Lieder wieder intoniert / Die Stimmen, die werden immer mehr / A starker Mann muss wieder her!“Dazu macht sich der in den Hintergrund geratene Eik Breit mit einer Persiflage auf André Heller unsterblich: urkomischen Schmäh wie „Wenn Worte tänzeln in verschnörkelt reicher Eleganz / Sich winden um der Nichtigkeit banalen Talmiglanz / Wenn Wortmagie sich in der Elfenbeinfabrik verkriecht / Ja dann, dann wird es heller, doch nicht ganz“ singt er dem sich als Lyriker recht ernst nehmenden Avantgardekünstler entgegen und zieht ihm mit dem Spoken-Word-Outro „Gott denkt in den Genies / Er träumt in den Dichtern und er schläft in den übrigen Menschen“ die Designerhosen aus. Die Platte schließt mit dem programmatischen „Spitalo Finalo“, das den 80ern erneut ihren goldenen Glanz raubt: „Die erste Klasse liegt bequem / Lässt sich das beste schmecken / Die zweite Klasse zahlt dafür und die dritte, die muss verrecken“. Aus ihrem Talent für Geschmacks- grenzen strapazierenden Zynismus kann die Band noch genau ein volles Album lang schöpfen. Wie sich der beginnende Bio- Wahn, Hedonismus als Pauschalausrede für Alkoholsucht und verdeckter Rassismus der österreichischen Nachkriegsgeneration auf ihrem Werk A LA CARTE abwechseln, steht SPITALO FATALO in nichts nach. 1985 geht als inhaltliche Zäsur in die Biografie der EAV ein. Ab Veröffentlichung des Bestsellers GELD ODER LEBEN regieren Klamaukhits wie „Ba-Ba-Banküberfall“ oder „Märchenprinz“, deren satirische Aggressivität zu Gunsten leicht verdaulicher Chartstrukturen zurücktritt. Mit den Zeilen „Lange Jahre ohne Hit / Die Kombo nagt am Fensterkitt / Endlich in der Hitparade / Auf das Brot kommt Marmelade“ rechtfertigt die Band Jahre später auf ihrem Best-Of-Medley „Kann denn Schwachsinn Sünde sein…?“ diesen Einschnitt. So lange ihre ursprüngliche Schärfe noch durchscheint, wie auf dem dutzendweise veredelten ’87er Album LIEBE, TOD UND TEUFEL TEIL 1 mit dem von Bayern3 zur Behindertenverarsche deklarierten Anti-Atomkraftsong „Burli“ lässt man Albernheiten im Stile von „Drei verliebte Pinguine“ durchgehen und feiert das Vermögen der Gruppe, biedere TV- Fernsehgärten und Bierzelte subtil zu unterwandern.NEPPOMUK’S RACHE – DIESES LAND BRAUCHT EINEN KAISER setzt die Linie 1990 fort und wartet neben karnevalesken Mit- gröhlern wie „Ding Dong“ auch mit der bitterbösen Religionskritik „s’Muaterl“ auf. Doch inspiriert durch sinkende Verkaufszahlen nimmt man immer größeren Abstand von Liedern, die man ohne Kloß im Hals nicht bis zum Ende durchhören kann. Nach einer kreativen Auszeit läutet die Band 1994 mit dem Totalausfall NIE WIEDER KUNST eine bis heute andauernde Phase als ihren Zenit weit überschritten habende Künstler ein und verschwindet umweglos aus den Feuilletons und der Hochachtung der Kultur- kritiker. Ende des Jahrtausends hagelt es die gerechte Strafe und ihr selten dämlicher Eurodance-Trash 3 WEISSE TAUBEN mutiert zum Ballermannhit. Dank zahlreicher, oftmals unwürdig idiotisch betitelter Kompilationen, wie LET’S HOP – DAS ALLERBESTE ABER FESTE, mit leichenschänderischen Neubearbeitungen ihrer Klassiker bleibt die EAV zumindest Stammgast in den öster- reichischen Hitlisten. Auf dem Cover ihres aktuellen Werks AMORE XL tanzt eine barbusige Nasenbärin mit einem bar- ärschigen Artgenossen. Darüber reckt einem ein sinnfrei schwebender dritter Nasenbär sein Rektum entgegen. Nuff Said. „Man muss wissen, wann man gehn muss“ sang die Gruppe noch 1988, formulierte damit eine saftige Watschn an ihr damaliges, bräunlich besudeltes Staatsoberhaupt Kurt Waldheim und bewies mit diesem grandiosen Rücktrittsgesuch beispiellosen Mut. In letzter Instanz fehlt ihnen der ganz große Mut allerdings bis heute: zum eigenen Lebewohl-, bzw. Baba-Sagen.

Stephan Rehm – 02.04.2008

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