Marillion: Ein Fisch muss schwimmen – Portrait: Fish


Der Fisch schnappte nach Luft. Von seiner Band Marillion im Streit getrennt, von seiner Plattenfirma mit juristischen Fallstricken außer Gefecht gesetzt, wußte Fish weder Aus noch Ein. Bis er sich seine Flossen unter den Arm klemmte und an seinen Laichplatz zurückkehrte. ME/Sounds besuchte ihn in den schottischen Highlands.

„Hier sieht’s aus wie im Kölner Hinterland“, bemerkt der Fotograf mit einem Motive suchenden Blick. Dennoch – wir sind in Schottland und auf dem Weg zu Fish, dem früheren Marillion-Sänger, der gerade im Begriff steht, sein zweites Solo-Album INTERNAL EXILE fertigzustellen. Die Aufgabenstellung; ein Porträt von Fish in heimischem Gewässer.

Der „Fischteich“ ist eine Farm, eine Autostunde von Edinburgh entfernt in Haddington, East Lothian. 1988 kauft der Heimkehrer den runtergekommenen Hof, baut ihn aus zu „home“ und „castle“ und tauft den Komplex „Funny Farm“. „Nach Jahren des Zigeunerlebens, nach der Zeit in London“, erzählt Fish während der Führung durchs Haus, „brauchte ich eine Basis. Ich sah Schottland mit anderen Augen, mit der unbefangenen Neugier eines Fremden. Die Rückkehr zu meinen Wurzeln war nicht – wie ich vielleicht früher gedacht habe – Rückschritt, sondern Heimkehr. Die Leute hier nehmen dich, wie du bist. Kein falsches Getue, keine Blenderei. Im Pub reden wir über Fußball. Man lebt hier sehr erdverbunden, no big citv bullshit.“

Vom Tumult der Städte hat der neue Landmann vorerst die Nase voll. „Rock’n’Roll“, sagt der Zwei-Meter-Mann und rollt das schottische R, „hatte ich zur Genüge, wenn damit Hotelzimmer, Parties, Drogen und Weiber gemeint sind. “ Der neue Groove: Fish als Familyman, spielen mit der neun Monate alten Tochter Tara, Obst- und Gemüsegarten, neun Katzen und die Schäferhündin Carry. „Rock’n’Roll und Familienleben“, stellt er amüsiert fest, „sind nur durch eine Tür getrennt: hier Tara, die Zähne kriegt; dort die letzte Abmischung eines neuen Songs.“

Fish – selbst etwas erstaunt über den inneren Frieden, den er hier gefunden hat, freut es, daß seine deutsche Frau Tamara, genannt Tammy, „sich hier so gut eingelebt hat. Es ist ein gutes Gefühl, wenn man weiß, wo man hingehört. Die Lage ist ideal: 15 Minuten bis zum Strand, eine Stunde bis nach Edinburgh.“

Und dann sucht er nach dem richtigen Wort zur Beschreibung seines neuen Zustands: „headspace“ hat er hier, Platz im Kopf. Platz zum Atmen. Jetzt wird auch verständlich, was der Albumtitel meint: Fish wählte das „innere Exil“, als es da draußen in dem Dschungel nicht mehr weiterging.

Eine Rückblende im Schnelldurchlauf: Fish alias Derek William Dick wird am 5. April 1958 nahe Edinburgh geboren. Sängerische Ambitionen sind nicht überliefert. Weil er stets die Proben versäumt, wird er aus dem Schulchor ausgeschlossen. Erst mit 22 – anläßlich eines Gigs mit der Band Blewitt – entdeckt der Forstwirt seine Liebe zur Musik. Auf dem Weg ins Rock-Mekka London trifft er in Aylesbury auf eine Band namens (Sil) Marillion. Sieben fette Jahre folgen, in denen Fish & Co., wiewohl von der Kritik als „Genesis für Arme“ geschmäht, ein Millionenpublikum erobern. Im September 1988 entschließt sich Fish zum Alleingang: Er kann die Marillion-Musik nicht mehr ab. Der Versuch, in einem abgeschiedenen schottischen Schloß den Band- und Burgfrieden wiederherzustellen, scheitert. Aber der Aufenthalt in den Highlands führt schließlich zur Rückkehr nach Schottland und zum Kauf der Farm.

Alles wäre so schön geworden, wenn Fish 1982 beim Vertragsabschluß mit der englischen EMI den richtigen Rechtsbeistand gehabt hätte. „Damals sagte uns der Anwalt, der Vertrag sei okay. Und wenn man nichts sehnlicher wünscht, als seine Musik zu veröffentlichen, dann überliest man schon einmal das Kleingedruckte.“

Diese Eile mußte Fish, der Bandflüchtling, teuer bezahlen.

„Durch eine sogenannte ‚Leaving members clause‘ hatte die Firma jede Handhabe, meine Karriere zum Stillstand zu bringen. Ich konnte nicht vor und nicht zurück. Ganz abgesehen davon, daß sie durch die Klausel meinen Vorschuß halbiert und meine Tantiemen gekürzt hatten, machten sie mich manövrierunfähig. Weder Veränderung noch Auflösung waren möglich. Mit einstweiligen Verfügungen wollten sie meine Kooperation mit Tonv Banks (mit dem er zwei Songs für STILL LIFE aufnahm) stoppen. Es schien ausweglos. Ich war drauf und dran, meine Karriere an den Nagel zu hängen. „

Fish durfte „kein Geld von anderen annehmen, keine Verhandlungen mit Firmen führen.“ Er prozessierte gegen diese moderne Art der „Sklaverei“ und verlor. Künstlerpech im wahrsten Sinne des Wortes.

Jen mußte, um die Rechtsanwälte bezahlen zu können, meine Farm beleihen und mich mit Hilfe meiner neuen Firma aus dem Vertrag herauskaufen. Insgesamt hat mich das ganze Theater 400000 Pfund gekostet. Das ist mehr, als ich jemals mit Marillion verdient hab. Moral ist Moral und Geschäft ist Geschäft, ließ der Chef der englischen EMI verlauten. Und sowas sagen die, die durch Marillion und demnach auch durch mich Millionen gemacht haben.“

Ein Fish auf dem Trockenen, er zappelte, schnappte nach Luft – kein rettendes Naß. „Wenn der Polydor-Deal nicht zustande gekommen wäre, hätte ich wohl umsatteln müssen“, sagt der große Mann.

Wir sitzen im Kaminzimmer, teatime. Fish ist ein herzlicher Gastgeber, aber man merkt, daß er unter Druck steht. „Ende September (das sind nur noch knappe 8 Tage) müssen wir die Bänder abliefern. Sonst ist eine Veröffentlichung in diesem Jahr nicht mehr drin.“

Drum verschwindet er ab und zu, um sich bei Produzent Chris Kimsey nach dem Fortgang der Abmischungen zu erkundigen. Auf Zehenspitzen können wir einen Blick in das Studio werfen. „Chris hat mich in technischen Dingen beraten“, sagt Fish, der stolz das 56-Kanal (32 digital, 24 analog) Studio vorführt. Bei der Führung appelliert der redselige Fish häufig an unsere Vorstellungskraft, denn Apartments, Sauna und Pool sind noch nicht fertig und „hier müßt ihr euch ein Gästehaus und Garagen hindenken. „

Wenn die Funny Farm-Studios mal komplett sind, sollen sie kommerziell genutzt werden. Schon jetzt herrscht hier ein ständiges Kommen und Gehen. Inmitten des ganzen Trubels Töchterchen Tara. „Ein keltischer Name“, belehrt mich der Papa. „She kept us sane“, sagt er in Erinnerung an die klammen Zeiten, „sie war unsere Rettung. Nichts sonst zählte mehr.“

Tara, am 1. 1.1991 geboren, gab auch neuen Antrieb für die Karriere. Fish – eigener Aussage zufolge ein „Bohemien, der den Verlockungen des Rock-Lebens gerne nachgab“, entdeckt die Vorteile der Bürgerlichkeit und bedauert, daß er „kaum Zeit für seine Lieben“ hat.

Fish, zwischenzeitlich auch ins Schauspielfach eingestiegen: als ein schottischer Immigrant in der US-Serie „Zorro“, hat im Moment nur eins im Kopf: INTERNAL EXILE. „Mein Solodebüt“, gesteht er, „war sehr der Marillion-Vergangenheit verhaftet. INTERNAL EXILE geht viel mehr ab in Richtung Rock. “ Die Texte sind – typisch Fish – wie „kleine Drehbücher, voller Bilder und Analogien.“ Die bereits vorliegende Single fällt aus dem Rahmen.

„Die Dudelsackklänge und das Schottische sind die Ausnahme von der Regel. „

Zumindest musikalisch. Denn Fish ist ansonsten ein Schotte wie aus dem Bilderbuch. Er empfängt uns in den Tartan-Farben, erzählt von seiner Mitgliedschaft in der Scottish National Party, die die Unabhängigkeit von England betreibt und von Prominenten wie Filmstar Sean Connery unterstützt wird. „Ich bin kein Politiker, aber es kann nicht angehen, daß wir in Schottland erwirtschaftete Gewinne nach London abführen. Ich halte nichts von Terrorismus und blindem Nationalismus, aber das Verhältnis von England und Schottland ist krank. Wir kleben an einem untergehenden Empire.“

Da paßt es ins Bild, daß in der Dämmerung der Schneider kommt, um Chris und Fish die Kilts abzustecken. „Bei den Wahlen zur Miss Scotland saß ich in der Jury und habe mit einer Tartan-Firma Kontakt aufgenommen. Um den Verkauf anzukurbeln, laufe ich zwecks Werbung im Schottenrock herum.“ Fish ist ein Filou, ein Hemingway der Highlands. „Schade“, sagt er am Abend, „wenn ich nicht soviel zu tun hätte, würden wir uns heute mal so richtig die Nase begießen!“

So kennt man ihn: Immer bereit, eine Runde um die Häuser zu drehen. Und auch diesmal geht es nicht ohne – aus dem üblichen Besäufnis wird aber nur ein zivilisierter Umtrunk in der Stammkneipe. Ein paar gepflegte Pints schaden ja auch nicht der Disziplin. Gute alte Pub-Kultur. Hier vor Gott und dem Wirt sind alle gleich. Und da ein Fisch schwimmen muß, wird zum Abschied eine letzte Runde bestellt.