Marius Müller Westernhagen


Wir hätten’s ihm so gern gegeben, diesem „designergestylten Pseudo-Rock’n’Roller“, diesem „Schauspieler“ (man liest ja so viel Interessantes in der Fachpresse). Aber das war leider nicht möglich. Scheiße — das war ein richtig geiles Konzert!

Vom ersten Moment an hat Westemhagen die Menge (fast Vierzigtausend hat er auf die Leipziger Festwiese gelockt) voll im Griff. Weil er ganz genau weiß, wie es funktioniert, Gefühle anzuknipsen. Weil er weiß, mit welcher Geste er diese Menschenmasse zur Ruhe bringt, um sie gleich danach wieder hochzuholen. Westernhagens Sprüche wirken nicht peinlich oder aufgesetzt, auch wenn sie sich höchstwahrscheinlich nicht groß von denen in all den anderen Städten unterscheiden, in denen er sein Spektakel allabendlich wiederholt. Aber das ist okay — das ist Entertainment.

Wenn Westernhagen seinen kleinen Arsch selbstgefällig über den langen Laufsteg schwenkt, der die unglaubliche Bühne mit dem Mixerturm verbindet (um den sich der „Ich bin wichtig, denn ich bin Journalisf“-Bereich rankt), wenn er sein Publikum mit „Hallo, ihr Süßen“ begrüßt, dann drängen sich verschiedene Vergleiche auf: „Mick Jagger für Arme“, sagt irgendeiner, aber der macht selbst einen ziemlich ärmlichen Eindruck und scheint es auch zu sein. Doch an diesem Vergleich — oder zumindest an der ersten Hälfte — ist ’ne Menge dran. Und das liegt nicht ausschließlich an diesem Arsch in der maßgeschneiderten Edelhose, der den Mädels in den ersten Reihen nicht nur feuchte Augen macht. Das liegt auch nicht nur an den Gesten und Sprüchen, denn da ist ja noch die Band…

Warum knallt das so? Woher kommt der Druck, der die kommerziellen, radiotauglichen MMW-Schlager in richtigen Rock’n’Roll verwandelt? Marius hat sich da Leute auf die Bühne geholt, die nicht erst seit gestern dabei sind. Und das spürt jeder — auch die ‚Wichtigen‘, die früher oder später alle anfangen mitzuwippen und dann sogar richtig aus sich rausgehen (indem sie ihre Hände mehr oder weniger euphorisch gegeneinanderklatschen). Westernhagens Trommler hat letztes Jahr noch Paul McCartney ‚Of The Ground‘ geprügelt. Und wenn er jetzt zusammen mit dem Bassmann ‚Pfefferminzprinz‘ oder ‚Sexy‘ veredelt, ist das wirklich richtiger Rock’n’Roll. Auf jeden Fall scheint die dreizehnköpfige, internationale Combo auf der Bühne viel Spaß zu haben — die drei Chorsänger genauso wie die schon legendären Kick Horns, die so blasen, daß es wirklich in die Eier geht. Sicher würde das Konzert im kleinen Club genauso funktionieren — ohne Videowand, ohne Wendeltreppe und Feuerwerk, ohne Laufsteg und Lichtmaterialschlacht. Aber genau diese Dinge machen das Konzert zu einem Spektakel. Mit der hier gebotenen Bühne kommt das Gefühl auf, vor einem überdimensionalen Fernseher zu stehen und im Regen mit -zigtausend Gleichgesinnten einen ‚Rockpalast‘ zu feiern. Wenn Mick Jagger ein Schauspieler ist und Paul McCartney ein Schlagerfutzi, dann sind genau das die Worte, die auf Westernhagen passen wie der Knackarsch auf den Eimer — auch wenn er das gar nicht so gern hört.

Und nach dem Konzert? Marius ist abgehoben, der Hubschrauber (mit dem Star) ist weg. Derweil konferieren wir mit unserem Manager. Dabei stellen wir folgendes klar: Wir wollen auch so ’ne Bühne haben, so ’ne Videowand und überhaupt alles, was da so rumstand. Ach ja, so ’n Helicopter ist auch nicht schlecht. Muß zwar nicht unbedingt sein — aber „geiler is’schon“.