ME-Helden: The Smiths


The Smiths sind die Beatles unserer Generation. Bis heute 
schwebt das geniale Songwriter-Duo Morrissey und Johnny 
Marr über dem Sound der Indie-Jugend.

In unserer neuen Serie ME-Helden porträtieren wir Bands, die unser Leben beeinflusst haben. Den Auftakt bildete Jim Morrison und seine Band The Doors – Musik aus den Sechzigern, die Pate stand für viele Gruppen, die nach ihnen folgten. Die weiteren Teile der Serie widmen wir jüngeren Bands oder Musikern, die die ME-Redakteure und unsere Leser prägten. Teil 2 drehte sich um die Pixies. Der dritte Teil widmete sich Brian Eno, zuletzt porträtierten wir Nirvana.

Der fünfte Teil unserer Serie dreht sich um The Smiths.

Natürlich hatte er sich sofort in das Mädchen verliebt. Dafür brauchte es nur einen einzigen Augenblick. Sie hatte dem Chef an ihrem ersten Arbeitstag als Assistentin eine Telefonnachricht in den Konferenzraum gebracht, wo alle beieinander saßen. Schon bevor der Chef sie auch nur vorgestellt hatte, war Tom Hansen in Summer Finn verliebt. Es fehlte nur noch ein echter Wink des Schicksals, den man unmöglich missdeuten konnte, weil er so total und vollkommen wäre. Tom Hansen, der schon als Teen­ager traurige, englische Popmusik gehört hatte, würde nicht glücklich werden im Leben, bis er die eine träfe, seine große Liebe.

Später im Aufzug sagte das Mädchen: „I love The Smiths.“ Er aber verstand nicht, was sie sagte. Weil er die dicken Kopfhörer noch aufhatte. Klassischer Idiotenmoment. Er zerrte sich die Muscheln von den Ohren und fragte: „Sorry?“„I said I love The Smiths“, wiederholte sie. Aus seinen Kopfhörern schallte es leise krächzend: „And if a double-decker bus crashes into us, to die by your side is such a heavenly way to die …“„You have good taste in music“, sagte sie nun, und zur Sicherheit fragte er noch mal nach: „You like The Smiths?“ „Yeah.“

Jetzt sang sie mit, ein bisschen schief oder eben: genau richtig schief. „,To die by your side is such a heavenly way to die …‘ – I love ’em.“ Dann machte es ping, die Aufzugtür ging auf, sie trat ganz selbstverständlich und sehr schnell heraus aus dem Lift, während er wie vom Donner gerührt stehen blieb, regungslos. Da war er also, der göttliche Fingerzeig: The Smiths.

 

Summer Finn würde Tom Hansen zum glücklichen Mann machen, endlich. Aber nur für 500 Tage. Denn jeder Kinozuschauer weiß in diesem Moment bereits, wo „(500) Days of Summer“ aus dem Jahre 2009 erst zehn Minuten läuft: Es wird nicht gut gehen, Summer wird Tom verlassen. Dabei ist „(500) Days of Summer“ der perfekte Liebesfilm. Weil er die Liebe von Summer Finn und Tom Hansen vom Anfang und vom Ende zugleich her denkt und als die Erinnerung erzählt, zu denen fast alle Beziehungen heute irgendwann werden. So sehr Verliebte das auch zu verdrängen imstande sind, nur die wenigsten scheidet der Tod, sondern das Leben. So sind sie halt, die Menschen, und kaum irgendwo wurde die Vergeblichkeit ihrer Existenzen so schön und trist besungen wie in Smiths-Songs.

The Smiths: gegründet Anfang des heiligen Popjahres 1982 in der heiligen Popstadt Manchester von Steven Patrick Morrissey, Gesang, und Johnny Marr (eigentlich John Maher), Gitarre; das, wie es später hieß, womöglich talentierteste, bestimmt aber produktivste Songwriterduo nach Lennon/McCartney, was aber schon etwas übertrieben war, doch was wurde nicht übertrieben bei den Smiths. Das Manchester in jenen Tagen war eine graue, heruntergekommene Ex-Industriestadt, die auf bessere Zeiten wartete. Als Morrissey viele Jahre später für eine britische TV-Dokumentation die alten Stätten seiner Kindheit abschreitet, verfällt er in eine tiefe Melancholie, spricht von sadistischen Schulen und seiner Flucht in die Literatur.

Zu Morrissey und Marr gesellten sich im Herbst 1982 als Rhythmusmusiker Mike Joyce, Schlagzeug, und Andy Rourke, Bass, die wichtig waren für das Bandgefüge und den speziellen Sound. Ansonsten eher unspektakulär, sieht man von Rourkes Drogen-Eskapaden ab.

Auch die zuvor mal engagierten Simon Wolstencroft und Dale Hibbert sowie der zwischenzeitliche Rourke-Ersatz Craig Gannon gingen nicht in die Geschichte ein als fünfter, sechster, siebter Smith, dafür waren ihre Rollen einfach zu undramatisch.

Vier reguläre Studioalben und erstaunliche 18 Singles erschienen während der Existenzzeit der Band (und zwei danach), Welthits gab es keine, noch nicht mal eine Single-Nummer-eins in Großbritannien; danach kamen noch ein Livealbum und bis heute neun offizielle Best-of-Alben. Aufgelöst hatten sich die Smiths im Spätsommer 1987, nachdem es zwischen Marr und Morrissey zum Zerwürfnis gekommen war, dem letzten in einer offenbar ganzen Kette von Streitereien, und Marr im Juli 1987 die Gruppe offiziell verlassen hatte. Ende, nach ziemlich genau 2 000 Tagen Smiths. Warum beschäftigen sie uns dann noch heute?

Songtitel für die Ewigkeit

In einer Rückblende von „(500) Days of Summer“ sieht man in die Kinderzimmer von Tom und Summer, da muss es etwa Mitte der neunziger Jahre sein; bei Tom hängt das Cover des Debütalbums The Smiths von 1984 an der Wand, bei Summer das des zweiten Albums Meat Is Murder von 1985; sie haben gemäß der Filmhandlung The Smiths also erst viele Jahre nach deren Split 1987 zum ersten Mal gehört. Dass die Anfangs-, ja Erkennungsmelodie ihrer Liebe später „There Is A Light That Never Goes Out“ sein wird – das ist vielleicht kein göttlicher, aber schon ein popkultureller Fingerzeig. Besitzen die Smiths also tatsächlich eine bleibende überzeitliche Bedeutung, auch für Nachgeborene, die Nachwelt?

Man konnte da lange Zweifel hegen. Besonders als jemand, der in den Jahren zwischen 1982 und 1987 selbst ein Teenager war, der traurige englische Popmusik hörte; der Zeuge geworden war der immensen Wirkung der Smiths auf einen begrenzten Fan-Kreis, in Deutschland verkauften sie im Gegensatz zu Großbritannien ja nur in Independent-Kreisen ihre Platten; und wie plötzlich diese Wirkung verpufft schien danach.

Es war, als hätten die Smiths nichts hinterlassen, was andere musikalisch fortführen hätten wollen; als hätten sie nicht mal ein Testament gemacht, das andere hätten vollstrecken können; als hätte sich nicht nur die Band, sondern mit ihr auch all ihre Musik aufgelöst, spurlos. Was sichtbar blieb, waren die unendlich vielen Schlagzeilen in englischsprachigen Magazinen, die sich der Songtitel und Lyrics der Smiths später bedienten, sie zitierten und parodierten, „This Charming Man“, „How Soon Is Now?“, „That Joke Isn’t Funny Anymore“, „Bigmouth Strikes Again“, „Some Girls Are Bigger Than Others“ und immer so weiter. Eine Weile noch hörte man auf Tanzflächen, wenn irgendwem die Musik nicht gefiel, wie der dann den Schlachtruf aus „Panic“ skandierte, „Hang the DJ! Hang the DJ! Hang the DJ!“, aber auch das hörte bald auf, und es dauerte dann bis 1996, bis es eine erste neue Band gab, die sich ungebrochen und ganz offensichtlich auf das Smiths-Erbe bezog, Belle and Sebastian.

 

Nach dem Epochenbruch

Diese zunächst ungeheure Verpuffung der Smiths nach ihrem Ableben hatte wohl nicht nur, aber zunächst vor allem mit dem Epochenbruch zu tun, der sich schon knapp ein Jahr nach dem Smiths-Split ankündigte mit dem „Second Summer of Love“ in Großbritannien. „Madchester“ und Rave: Gerade aus der Heimatstadt der Smiths kamen plötzlich Gitarrenmusik und Indie-Pop mit richtigen Dance Beats, die Songs von Morrissey/Marr klangen 1988 mit einem Schlag unendlich altmodisch, und als der Hype um „ Madchester“ und Rave von dem um Acid House gleich überholt wurde, klangen auch Gitarrenmusik und Indie-Pop mit richtigen Dance Beats bald unendlich altmodisch.

Am Beispiel der Stone Roses und ihres Frontmanns Ian Brown konnte man spekulieren, was mit den Smiths hätte passieren können, wenn es sie nach 1987 weiter gegeben hätte und sie in den Rave-Sog gezogen worden wären: Aus einer relativen Smiths-Kopie wurde mit „ Fool’s Gold“ aus den Stone Roses kurz die Tanzband der Stunde, bevor sie rasch wieder in der Obskurität verschwand. Auch dezidierteren Popgruppen wie The Style Council, ABC und The Blow Monkeys, die House um 1988 und 1989 für sich entdeckten, weil dies da tatsächlich als unbedingter Nachweis der eigenen Zeitgenossenschaft galt, bekam das nicht sonderlich gut; sie wurden bald von einer noch viel gewaltigeren Welle fortgespült, man nannte sie: Techno.

Den Schock, den erst Rave und dann Techno auslösten, musste man auf dem Dancefloor selbst erlebt haben, sonst hätte man es nicht geglaubt, bis heute nicht: Wie ein Großteil der kontinentaleuropäischen Clubs, in denen zuvor im Prinzip alles und nichts zusammen lief, Indie-Gitarrenmusik wie die der Smiths, New-Wave-Ausläufer, Electronic Body Music, HipHop, House, plötzlich mit Nebel und Stroboskoplicht geflutet wurden und eine Art Massenpanik einsetzte, die das Clubpublikum binnen weniger Monate zu großen Teilen austauschte. Eine halbe Ausgehgeneration floh vor Techno und kam nie wieder. Während draußen, in der Welt, sich die politische Zeitenwende ereignete und der Kalte Krieg zu Ende ging, vollzog sich drinnen, in den Clubs, eine in dieser Totalität bis heute letzte Revolution der Popkultur. Techno fragte: „Bist du für mich oder gegen mich? Kommst du mit in die Zukunft oder bleibst du zurück?“ Niemand konnte diesen Fragen ausweichen. Techno zwang einen, sich zu ihm zu verhalten.

Erst Mitte der Neunzigerjahre, mit dem Aufkommen des Brit-Pop-Hypes, konnte man die Smiths ansatzweise wieder hören, ohne gleich zu denken: Das ist alles so irre überholt. Im Jauchzen von Jarvis Cocker und Damon Albarn konnte man die Spuren suchen, die Morrisseys Gesangsstil womöglich doch hinterlassen hatte, und in den leiseren Momenten des Gitarrenspiels von Noel Gallagher das von Johnny Marr nachhallen merken. Und doch blieb der Hauptvorwurf gegen den Brit-Pop, er sei bloß restaurativ; das laue Aufwärmen des eben doch Vergangenen. Auch das war ein mittelbarer Kollateralschaden von Techno, denn ungebrochen war damals noch die popkulturelle Fortschrittsgläubigkeit, die sich Techno als die vermeintlich modernstmögliche Musikform der Gegenwart und Zukunft vorstellte.

Der Wimp und die schönen Mädchen

Um die Überzeitlichkeit der Smiths zu verstehen, muss man paradoxerweise noch viel weiter zurückspringen in der Zeit, nicht nur in den popästhetischen, sondern auch den politischen und den zeitgeistlichen Kontext Mitte der Achtzigerjahre. In Großbritannien regierte seit 1979 Margaret Thatcher, in den USA seit 1981 Ronald Reagan, in Westdeutschland seit 1982 Helmut Kohl; drei konservative Regierungen, die ersten beiden davon mit einer marktradikalen Reformagenda, produzierten als Nebenwirkung diverse neue kulturelle Stereotypen wie etwa den Yuppie. Der young urban professional war geschlechtsübergreifend ein hedonis­tisches, heterosexuelles Wesen, dessen Lebensinhalt in beruflichem Aufstieg und exzessivem Konsumverhalten bestehen sollte; seine eher jugendkulturellen Unterstereotypen waren der da bereits revivalte Preppie und, in Deutschland, der Popper, wobei diese beiden im Gegensatz zum Yuppie von seinen ursprünglichen Vertretern mal ironisch gedacht waren, sie aber allgemein anders verstanden wurden – alle drei wurden so zu ausgemachten Hassfiguren, weil sie vermeintlich die ganze hohle Kauf­rausch-Obszönität des Zeitgeistes repräsentierten.

Nun war es aber so, dass zu jener Zeit um 1982, 1983 auch die jugend- und subkulturellen Widerstandsgesten dagegen hohl geworden oder missverständlich waren: Punk war wirklich schon tot, der linke Terrorismus tötete ganz real, die Anzug-Marxisten des Pop-Jahrgangs ’82, Heaven 17 und ABC etwa, wurden – ob sie’s wollten oder nicht – auch von Yuppies gehört (die ihre Texte überhörten und Posen als solche nicht verstanden), und alles, was es sonst noch gab, Öko-Bewegung und Heavy Metal vor allem, war bloß geschmacklos. Wer um 1982, 1983 jung war, richtig jung und voller Sehnsucht und Abgrenzungsbedürfnis, suchte einen dritten Weg. Die Smiths erst beschritten ihn.

Die Musik und die Texte waren, manchmal auch nur auf der Ober­fläche: zutiefst romantisch, zutiefst innerlich, zutiefst verträumt, zutiefst traurig, zutiefst literarisch, zutiefst individualistisch, zutiefst weltab­gewandt, zutiefst eskapistisch. Man konnte plötzlich gegen alles sein, indem man nirgendwo mitmachte, sich nicht scherte, sich verabschiedete, sich nicht stellte, nicht dem Wettbewerb um die beste Weltrettungsidee, nicht dem Wettbewerb um die coolsten Klamotten, nicht dem Wettbewerb um den zukünftig besten Job. Denn man konnte ja Oscar Wilde zitieren.

Der Ich-Erzähler in Morrissey-Texten, so jedenfalls war die wahrscheinlichste jugendliche Lesart, hatte sich selbst sozusagen schon vorm Start ins Rattenrennen Leben verloren gegeben und zurückgezogen – in die Welt seiner romantischen Gefühle, die selbstverständlich von niemandem erwidert wurden, von dem er es erhoffte: dem schönen Mädchen, dem dünnen Jungen. Selbst wenn dieser Rückzug nur symbolisch war und aus Angst vorm Verlieren geschah, konnte man darin doch einen Märtyrer-Akt erkennen. Morrissey gab sich für uns Teenager hin, sein existenzieller Ruf nach Rettung war unserer, doch die Liebe, die uns alle hätte retten können, gab es nicht. Seinen Welthass würzte Morrisseys Ich-Erzähler mit Arroganz und manchmal auch nur mit Ironie, er war ein Bescheidwisser, ohne dass ihm das Bescheidwissen was nutzte, er es nutzte; er war ein Da­nebensteher, der sich mit Tränen panzerte. Und wir durften mitweinen. Um uns selbst.

Im zeitlichen Kontext der Mittachtziger nannte man die Smiths-Affinen unter ihnen Wimps, ein jugendkultureller Stereotyp, der sich so wenig durchsetzte wie die Smiths letztlich als kommerzielle Band. Er bekam aber doch schon damals eine ikonische Filmfigur geschenkt, von John Hughes, dem wohl größten aller Jugendfilmmacher: Cameron Frye, der traurige beste Freund von Ferris Bueller, dem Jungen, dem alles gelingt und alles zufliegt, das schönste Mädchen, die größte Beliebtheit.

Eine der schönsten, traurigsten Szenen von „Ferris Bueller’s Day Off“ („Ferris macht blau“, 1986, die ultimative Jungsfantasie als Kinofilm) spielt im Art Institute of Chicago. Hughes war als Junge selbst oft in diesem Museum gewesen, um seine einsamen Tage zu verträumen. Da wäre er natürlich gern ein Ferris Bueller gewesen, doch er war ebenso natürlich: ein Cameron Frye.

Letzteren also stellt John Hughes nun allein vor das drei mal zwei Meter große Gemälde „Ein Sonntagnachmittag auf der Insel La Grande Jatte“ des Pointillisten Georges Seurat aus dem Jahr 1884. Im Film folgt nun Schuss auf Gegenschuss, Cameron und das Gemälde, das immer näher herangezoomt wird, und weil es eben in pointil­listischer Technik gemalt wurde, verschwimmt es immer mehr vor den Augen des Betrachters, je näher es herangezoomt wird – bis nichts als undeutliche Farbtupfer übrig bleiben. Und genau das ist die größte Angst des Teen­agers Cameron Frye in diesem Moment: dass er wie dieses Mädchen auf dem Bild sei, je genauer man ihn betrachte, umso undeutlicher werde er. Bis man sehe, dass da in Wirklichkeit gar nichts ist. Dass Cameron Frye, der Romantiker seiner eigenen Traurigkeit, tatsächlich eine Leerstelle ist.

Und auf der Tonspur dieser Filmszene läuft, während gleich nebenan Ferris das schöne Mädchen Sloane Peterson küsst, in einer Instrumentalversion von The Dream Academy: „Please, Please, Please Let Me Get What I Want“ von den Smiths.

Cameron Frye ist ein ganz normaler Teenager auf der Schwelle zum Postadoleszenten, der unter den in diesem Alter typischen Symptomen leidet; und unter der Nichtbeachtung durch seine finanziell begüterten Eltern; und unter der Abwesenheit von Liebe durch ein Mädchen, eine Frau. Sein Leid ist ein ganz ähnliches wie das des um einiges älteren Tom Hansen aus „(500) Days Of Summer“. Er wartet darauf, dass jemand ihn erkennt; er wartet auf seine Rettung. Dieses Leid in Musik übersetzt zu haben: darin genau besteht das Überzeitliche, die bleibende Wirkung der Smiths. So einfach ist das. Auch wenn es so schwer zu erklären ist.

Mann ohne Geschlecht

Dass die Wirkung der buchstäblichen Selbstwiedererkennung in Smiths-Songs sich nicht nur auf Jungen und Männer beschränkt, sondern auch auf Mädchen und Frauen, dass es also auch eine Summer Finn geben kann: Das hat vermutlich am wesentlichsten mit der Figur Morrissey zu tun und ihrer zumindest zu Smiths-Zeiten höchst ambivalenten sexuellen Aufladung. Morrissey, der ja, das war die wohl berühmteste Anekdote, mal als erwachsener Mann behauptet hat, er sei noch Jungfrau, hat sich allen geschlechtlichen Zuschreibungen entzogen. Beziehungsweise: fast alle möglichen irgendwann mal benutzt. Gesang, Performance, Selbstinszenierung forderten den weiblichen Teil seines Publikums nicht bloß zur üblichen Anhimmelung auf und den männlichen Teil nicht bloß zum üblichen Kumpeln. Alle und niemand konnte Morrissey sein.

Nicht nur in der Beziehung führt eine halbwegs gerade Linie von David Bowie über Steven Morrissey und Brett Anderson bis zu Pete Doherty (und immer weiter): Sie gehören keinem Geschlecht an und allen zugleich, sie legen sich da nicht fest, nur in ihrer demonstrativen Uneindeutigkeit. Deshalb sind sie vergleichsweise emanzipative Popstarfiguren schon deshalb, weil sie jeden zur Identifizierung mit sich einladen und niemanden ausschließen, außer vielleicht diejenigen heterosexuellen Männer, die sich nicht vorstellen können, jemals einen anderen Mann begehren oder lieben zu können.

„Weinerlichkeit“ war denn auch der wiederkehrende Hauptvorwurf an die Smiths, der ihrer Musik und ihrem Frontmann so implizit Unmännlichkeit unterstellte; ein Vierteljahrhundert und ein paar Männlichkeitsbilder später wirkt er fast lächerlich. Doch damals, gleichsam in hetero­sexuelleren Zeiten, trug er womöglich dazu bei, dass viele Jungen sich lieber nicht von anderen Jungen beim Smiths-Hören erwischen ließen.

Umso uninteressanter war dann später, was der Solokünstler Morrissey als Rockabilly-Darsteller, Crooner-Darsteller und weiß der Teufel was sonst noch anstellte und bis heute anstellt, seine gelegentlichen Interview­aussagen zu Gott und Vaterland eh beiseitegelassen. Dass Johnny Marr musikalisch experimentierfreudiger sein würde, war schon beim Split der Smiths absehbar, da beklagte er sich bereits öffentlich über den seiner Meinung nach eklatanten künstlerischen Starrsinn Morrisseys.

Doch das alles kam eigentlich nicht überraschend. Es ist bloß ein weiterer göttlicher Fingerzeig für die ewige Annahme, dass auch die größten Bands, zudem wenn sie vom kongenialen Zusammenwirken zweier eigensinniger Köpfe abhängen, nur eine begrenzte Zeit haben, zu sagen, was sie zu sagen haben; danach folgt bestenfalls nur Wiederholung, schlimmstenfalls Selbstdemontage. Was für ein Glück also, dass Steven Morrissey und Johnny Marr sich überhaupt fanden; was für ein Glück, dass sie es fünf Jahre miteinander aushielten; was für ein Glück, dass sie bis heute nie mit einer Smiths-Reunion drohten.

Was für ein Glück zuletzt auch, dass mehr als zwei Jahrzehnte später ein Mädchen wie Zooey Deschannel eines wie Summer Finn spielen kann in einem so schönen Film, in dem ein Mädchen wenigsten einen von all den traurigen Jungs mal erhört, und sei es nur für 500 Tage. Und am Ende des Soundtracks singt dieses Mädchen, Zooey Deschannel, so wie es sich gehört, ein letztes Lied: „Please, Please, Please Let Me Get What I Want“.

Was denn sonst.