Interview

Michelberger Music Festival: „Die Menschen vor Ort werden das Ding machen. Und sie werden das Ding sein“


Wir haben Bryce Dessner, Ryan Olson und Tom Michelberger gefragt, was sie persönlich vom Michelberger Festival mit u.a. Bon Iver erwarten. Hier sind ihre Antworten.

Wer in Berlin lebt, weiß um die innige Verbindung des Michelberger Hotels zur zeitgenössischen Popmusik. In den vergangenen Jahren spielten im Hof und in der Lobby des Hotels an der Warschauer Straße zahlreiche Künstler, die man sonst nicht in so einem intimen Rahmen zu sehen bekommt – häufig in reduzierter oder abgewandelter Form. So gaben im Michelberger etwa Retro Stefson, Tobias Jesso Jr., Damien Rice und die Local Natives Gastspiele, im Innenhof The National und die Punkband Phi Slamma Mamma Boys, hinter der sich niemand anderes als die kanadischen Stars Arcade Fire verbargen.

Jetzt veranstaltet das Hotel nach 2011 zum zweiten Mal ein Festival – diesmal aber nicht zuhause, sondern in den Räumen des ehemaligen Berliner Funkhauses an der Napelastraße und mit einer Besetzung, die Indie-Fans wie ein feuchter Traum vorkommen dürfte: Justin Vernon (Bon Iver), Aaron und Bryce Dessner (The National), André de Ridder, Vincent Moon, Ryan Olson, Brandon Reid und die Betreiber des Hotels, Tom Michelberger und Nadine May, kuratieren, als Gäste haben sie über 80 verschiedene Künstler eingeladen, darunter Nils Frahm, Damien Rice, Lisa Hannigan und Erlend Oye. Zunächst wird eine Woche lang hinter verschlossenen Türen musiziert, improvisiert, komponiert. Das Ergebnis dieses Prozesses ist schließlich am 1. und 2. Oktober für die Öffentlichkeit zu sehen. Wie das aussehen wird? Wir haben bei den Machern nachgefragt.

Tom Michelberger über das Michelberger Music Festival:

Das Michelberger ist recht eng mit der Berliner Musikszene vernetzt, das scheint seit Anfang an so zu sein. Viele Bands übernachten bei Euch, Interviews werden dort geführt, regelmäßig finden Konzerte in der Lobby und im Innenhof statt. War diese enge Vernetzung von Anfang an ein Plan oder hat sich das über die Jahre entwickelt?

Tom Michelberger: Wir hatten eine Idee für diesen Ort, keinen Plan. Die hat sich dann jeden Tag vom Baubeginn bis jetzt weiterentwickelt. Mit dem, wie wir uns verändern und mit dem, was alles so passiert. Dass es ein Ort wird, wo sich besonders viele Musiker gut fühlen, daran haben wir nicht gedacht. Musik ist ein wesentlicher Teil in unserem Leben. Und viele Musiker sind sensible, charismatische Menschen, die ihr eigenes Ding machen. Daraus sind besondere Freundschaften entstanden. Und eigentlich fühlt sich das Hotel selbst wie eine große Band an. Die Prozesse, Herausforderungen und Emotionen sind vergleichbar mit einer Band, die an einem Album arbeitet.

Wann und von wem – kam die Idee, ein Festival in dieser Größenordnung zu stemmen?

Nach unserem Festival 2011 im Hotel wussten wir, dass wir das irgendwann nochmal machen. Wir wussten aber auch, dass es etwas komplett anderes sein wird. Die konkrete Idee kam im Winter, als wir zufällig mit Bryce im Funkhaus waren. Er hat dort einen Soundtrack mit Stargaze and André de Ridder aufgenommen. Als wir den Ort mit all seinen versteckten musikalischen Wunderwelten gesehen haben, war uns klar, dass jetzt die Zeit für eine Evolution der Idee von 2011 war.

Die gefiel offenbar auch den anderen Musikern.

Alle Künstler, die das Funkhaus kennen, haben eine eigene kleine Geschichte damit und oft auch viele Emotionen zum Thema des Ortes, der Veränderung und so weiter. Wir integrieren alle unterschiedlichen Stimmungen und Möglichkeiten im Funkhaus und wollen unseren Teil dazu beitragen, dass das Funkhaus ein Ort bleibt, an dem Musik entsteht und ein Ort ist, der zugänglich bleibt. Wir integrieren möglichst alle Studiomieter, die momentan das Funkhaus beleben.

Wie viele Musiker sind insgesamt am Festival beteiligt? Bleibt in der Zeit im Hotel überhaupt Platz für andere Hotelgäste?   

Das Hotel ist sozusagen der Backstage-Bereich für die komplette Woche. Arbeiten, schlafen, essen. Alle 100 Künstler unter einem Dach. Der Rest wird mit Familienmitgliedern der Künstler gefüllt. Volle Konzentration auf die Musik.

Ryan Olson (Poliça) über das Michelberger Music Festival:

Was ist Deine Verbindung zum Michelberger Hotel? Erinnerst Du Dich an Deinen ersten Besuch?

Ryan Olson: Ich erinnere mich nicht an meine erste Übernachtung. Ich weiß aber noch, dass ich bei meinem ersten Berlin-Besuch dort ein paar Drinks nahm. Wir hatten einen Auftritt beim Musikexpress Style Award und waren gerade mal 20 Stunden in der Stadt und schauten dort vorbei. Als wir die Lobby betraten, spielten ein paar Elektronik-Musiker. Es fühlte sich so an, als würde ich mit einem jungen Michael Caine aus „Children of Men“ herumhängen. Seitdem hat der Ort mich von Mal zu Mal mehr beeindruckt.

Hast Du schon einmal an einem Festival teilgenommen, dessen Schwerpunkt so sehr auf dem Austausch mit anderen Musikern lag?

Mit Sicherheit nicht bei einem dieser Größenordnung. Auch, dass am Ende dann ein gemeinsamer Auftritt folgt, ist für mich neu.

Hast Du eine lose Vorstellung, wie das alles aussehen wird?

Ich habe natürlich ein paar Ideen. Die behalte ich aber für mich, damit wir den Wegen folgen, die sich ergeben.

Gibt es eine Zusammenarbeit, auf die Du Dich besonders freust?

Jeder Moment dieses Festivals!

Bryce Dessner (The National) über das Michelberger Music Festival:

Deine Verbindung zum Michelberger Hotel scheint eine ziemlich innige zu sein …

The National übernachteten dort einige Monate nach seiner Eröffnung. Ich verliebte mich sofort in das Hotel – und vor allem in Tom Michelberger und Nadine May, die es leiten. Das war der Beginn einer lang anhaltenden und engen Freundschaft, die zu verschiedenen gemeinsamen Projekten geführt hat. Wir haben schon vor einigen Jahren gemeinsam ein Festival aus der Taufe gehoben: Beim Mystery Music Festival gab es kein Programm, keine Presse – nur unangekündigte Auftritte. So war es einzig die Musik, die den roten Faden der Veranstaltung webte. Als wir TROUBLE WILL FIND ME veröffentlichten, fand im Michelberger die Pressekonferenz statt: Anstatt für Interviews um die Welt zu reisen, kamen die Journalisten zu uns. Wir kuratierten Kunst-Installationen und Filme fürs Hotelfernsehen und spielten abends im Innenhof. Für Tom und Nadine und das ganze Hotel sind Gemeinschaft und Zusammenarbeit wichtige Güter. Es geht nicht um Erwartungen oder darum, etwas zu verkaufen, sondern um gemeinsame Arbeit und Freundschaft und die wunderbaren Dinge, die daraus entstehen. Ach, übrigens: Viele der Gitarren-Soli auf unserem letzten Album wurden im fünften Stock des Hotels aufgenommen – so laut es eben ging.

Hast Du schon einmal an einem Festival teilgenommen, dessen Schwerpunkt so sehr auf dem Austausch mit anderen Musikern lag?

Mein ganzes Kreativleben gestaltet sich um solche und ähnliche Herausforderungen. Eine so umfangreiche Kollaboration, wo man so weit ins Ungewisse reist, wo es eher um den Prozess als das Ergebnis geht, ist aber auch für mich neu. Die Menschen und der Ort werden dieses Ding machen. Und sie werden dieses Ding sein.

Hast Du eine lose Vorstellung, wie das alles aussehen wird?

Mein Bruder und ich wollen etwas zusammen machen – und hoffen, dass wir so viele Musiker miteinbeziehen können, wie nur irgendmöglich. Solche Erfahrungen können extrem lehrreich sein. Ich hoffe, dass ich daraus etwas Neues mitnehmen kann, von dem ich lange Zeit zehre.

Gibt es eine Zusammenarbeit, auf die Du Dich besonders freust?

Ryan Olson, der ja zu den Mitorganisatoren gehört – ich hoffe, dass wir etwas zusammen machen werden. Er ist ein verrückter Klangzauberer. Ein wenig möchte ich an diesem Wochenende in seine Hexerei eintauchen.