Mit Air In Paris


Für Nicolas Godin und Jean-Benoit Dunckel kommt nur diese eine Stadt in Frage. Undlässt man sich von den beiden Kulturkennern führen, begreift man auch schnell, warum.

Eine Pariser Band lädt zur persönlichen Stadtführung ein. Szenig werden die Orte sein, an die sie uns führt. Ein versteckter Plattenladen in den Seitenstraßen von St. Germain vielleicht. Oder ein von außen unscheinbares Bistro am coolen Place Pigalle, wo es die besten Croissants der Stadt gibt. Die Einbeimischeri-har, wo man Daft Punk ohne Masken sehen könnte, würde man sie nur erkennen. Vielleicht ein Spaziergang zu Serge Gainsbourgs graffitibekritzeltem Häuschen in der Rue de Verneuil. So was in der Art.

Doch unsere Fremdenführer sind anderer Natur. Nicht szenig in diesem Sinn. Nicolas Godin und Jean-Benoit Dunckel sind die wohl stilversessensten Männer im aktuellen Popgeschäft. Und auch in Sachen Sightseeing wird schnell klar: Die beiden Erfinder des besonders eleganten Retro-70er-Pop sind zwei Kulturfeinschmecker vor dem Herrn. Unser Treffpunkt ist die legendäre Hemingway Bar im Ritz Hotel. Die Lieblingsausgehlocation der beiden Messieurs liegt im 1. Arrondissement mitten in der Stadt, im ehemaligen Königspalast Place Vendöme. Also besser schnell noch ein schickes Kleidchen anziehen, ein paar Scheine mehr ins Portemonnaie schieben und irgendwie in mittägliche Cocktailstimmung kommen. Nicht genug der Exklusivität: Wir sollen den Hintereingang benutzen. Der befindet sich auf der hyperschicken Rue Cambon. Gegenüber checken die Secuntes des Chanel-Flagshipstores Vorbeispazierende ab. In der ersten Etage schlummert das original belassene Apartment von Coco Chanel vor sich hin. Nicolas und Jean-BenoTt sitzen schon an der Theke – und trinken Wasser. Die Bar ist noch geschlossen. Deshalb kommen wir uns in diesem Traum aus antikem französischem Chic vorwie auf einem Filmset: klassizistischer Louis-Seize-Stil aus dem 18. Jahrhundert mit seegrün bezogenen Ledersesseln und bernsteinfarbener Holzvertäfelung. Bezaubernd. An den Wänden Superlativ-Wahnsinn: Guinness-Buch-Urkunden für die besten Drinks der Welt und eine gerahmte Einladung von Barack Obama zur Amtseinführungsparty. Dazwischen zahlreiche Fotografien, die Dauerhotelgast Hemingway in den 20er Jahren aufnahm, als er sich mit Sartre und Proust hier allabendliche Saufeskapaden lieferte. Nicolas und JB hingegen sitzen recht hölzern auf ihren Stammbarhockern. Dabei gäbe es einen guten Grund zum Feiern: JB wird heute 40. Okay, es wird angestoßen. Wir sehen vom teuersten Cocktail der Welt ab (Ritz Side Car, ein Cognac-Cointreau-Mix für 400 Euro) und probieren etwas mit Wodka, Apfel und Minze. Lecker.

„Das Älterwerden bereitet mir Sorgen“, sagt JB auf Englisch mit einem, so muss man sagen, niedlichen französischen Akzent, und seine dunklen Augen mit den langen Wimpern schauen sorgenvoll drein. „Deshalb werde ich nicht feiern.“

Apropos Alter, in diesem zweifelsohne prächtigen, aber doch recht konservativen Etablissement feiern Air also am Wochenende ihre Parties? Nicolas zuckt mit den Schultern.

„Warum nicht? Man sollte sein Ausgehverhalten seinem Alter anpassen. Geschmack, Stil und Anspruch sollten sich weiter entwickeln.“ Godin und Dunckel stammen aus Versailles. Das liegt zwar nur 20 Kilomewusstseins. „Wir lieben die alte französische Kultur. Und hier in der Gegend, um die Oper herum, findet man die Essenz“, behauDtet Goter vor Paris, aber laut Godin doch Lichtjahre entfernt – die Hochburg der Gediegenheit, des Wohlstands und Traditionsbedin. „Wir lieben Paris“, stimmt JB feierlich zu und richtet sich ein wenig auf. “ Hier wollen wir sterben!“, sagt er und klingt dabei theatralischer als die beiden großen Chansonetten Edith Piaf und Juliette Greco zusammen. Gibt es andere französische Städte, die da mithalten können? Godin schüttelt milde lächelnd den Kopf. „Nein, hier ist alles, was wir brauchen und was uns interessiert. Geschichte, Architektur, Mode, Essen, Wein, Kino und Kunst.“ Dann erzählt er, wie sich die beiden zwei Tage vor der Versteigerung der legendären Kunstsammlung Yves-Saint Laurents in dessen Haus umschauen durften. „Atemberaubend°, schwärmt Godin, „die perfekte Repräsentation unserer Haus Yves Saint-Kultur.Ihrmüsst Laurent unbedingt an sei-55, Rue Babylone, nem Haus in der 5007 Paris Rue Babylone vorbeigehen!“

Die beiden Herren wollen uns jetzt jedoch ihre Lieblingsstraßen rund um L’Opera nahe bringen. Wir steigen ins Taxi und machen einen Schlenker zur hübschen Harry’s New York Bar auf der Rue Daunou. Saloontür, robuste Holztheke, man kriegt sofort Durst. Ein Lieblingsort von JB. „Eher eine gemütliche Bar“, sagt er, „aber sie hat Geschichte!“ Na klar. Wir cruisen die breite Avenue de 1’Opera entlang, über die Rue Richelieu und schließlich auf die edle Rue de la Paix: Cartier, Marc Jacobs, Cavalli und iranische Banken. Nicolas Godin zeigt auf Geschäfte und Gebäude, reißt meinen Schreibblock an sich und krakelt Restaurantnamen, Galerien und Boutiquentipps. In der Brassene Le Vaudeville, einem ehemaligen Theater, könne man hervorragende Austern essen. Er empfiehlt zudem die Galerie Vivienne, eine nahe gelegene Passage aus dem 18. Jahrhundert. Ein Besuch am nächsten Tag zeigt: Die selbstredend elegante Oase abseits der wimmeligen Boulevards mit ihrem altem Bodenmosaik, Glaskuppel, hübschen Teestuben und Antiquariaten ist einen Besuch wert. Wir kommen an Repetto vorbei, dem traditionellen Schuhgeschäft für Ballerinas und Slipper, wie Birkin und Gainsbourg sie trugen. “ Das ist Pariser Understatement- Chic. Hier rrmsst du was kaufen!“ Ist notiert. Godin nimmt mein Kleid in Augenschein. „Nun, es gibt hier auch einige Vintage-Shops, in den Seitenstraßen, die zu deinem Stil passen.“ Er schaut noch mal hin. „Oh pardon, oder ist das von Alberta Feretti? „

„Wenn ich mal keine Musik mehr mache, werde ich Taxifahrer in Paris. Keiner kennt sich so gut aus wie ich“, behauptet Godin auf dem Weg zur Oper. Wir erreichen die imposante, im üppigen Neobarock erbaute Pariser Oper. „5t’« ich als Kind ,Das Phantom der Oper‘ gelesen habe, fasziniert mich dieser Ort. Ich weiß alles über die Geschichte der Katakomben, aus denen das Material für die Pariser Bauten gewonnen wurde“, erzählt er. „Vielleicht können wir reingehen. “ Jedoch: „Heute leider geschlossen.“ Also weiter zum nahe gelegenen Palais Royal – Nicolas‘ und JBs Favorit für einen ruhigen Nachmittag. Der alte Stadtpalast direkt am Louvre, umzingelt von Touristen und Stadtrundfahrtbussen, sieht von außen aus wie nur ein imposantes Gebäude mehr, das auf der ersten Seite im Parisführer aufgelistet wird. Aber Nicolas weiß es besser: Bis zum Herzen des Palais Royal dringe kaum jemand vor, die meisten machten nach ein paar Schritten wieder kehrt. Im Inneren jedoch liege ein märchenhafter Garten, umgeben von Arkaden, wo sich ein Mix aus bizarren alten Geschäftchen und Designershops niedergelassen hat. Wir jedoch machen uns auf den Weg in den Nordosten: ins Studio von Air. Auf dem Weg gibt es eine Anregung, die sich später als interessant erweist: Schöne Einblicke in die Geschichte der französischen ornamentalen Kunst und Mode gibt es im „Musee Des Arts Decoratifs“ und im „Musee de la Mode et du Textile“ im Gebäude des Louvre. Im 11. Arrondissement beherrschen bürgerliche Häuser und normaler Pariser Alltag das

Bild. “ Das ist das Paris, wie ich es mir als Kind immer vorgestellt habe und wie ich es ans Filmen kannte“, erzählt Nicolas. “ Heute hasse ich diese Gegend. “ „Es ist ziemlich normal hier“, ergänzt JB. Nicolas weist einen Abstecher zum Hotel du Nord an. Hier entstand 1938 der gleichnamige Film, eine der wichtigsten französischen Produktionen jener Zeit; noch immer kann man hier charmant und vergleichsweise günstig wohnen. Wir erreichen Chinatown/Belleville. Die beiden schlagen eine Kaffeepause in ihrem Stammcafe Bar Cherie vor, gleich um die Ecke vom Studio. Diesmal kein Art Deco und Jugendstil, sondern eine sympathisch abgeblätterte Bar. Wir setzen uns an die schiefen Tische auf dem Bürgersteig und bestellen Cola und Chips. Moment, wir brauchen natürlich noch Kinotipps! JB legt uns das Studio 28 am Montmatre ans Herz, wo u. a. Louis Bunuel 1928 sein „L’Age D’Or“ erstaufführte. Und das La Pagode, ein ehemaliger Ballsaal, sei allein eine Besichtigung wert. Was sagt ein Soundtrackspezialist eigentlich dazu, wenn der Film gut ist, aber die Musik mies? Dunckel lächelt. „Das killt den Film.“ Sehenswerte aktuelle französische Filme? „Inglourious Basterds“. Französisch? „Der Großteil wurde in Frankreich gedreht“, sagt JB stoisch. Nicht doch, in Babelsberg! … egal. Um uns herum sitzen Pariser Mitt-30er in Indieklamotten, die Toiletten sind schmierig, und es läuft Pavement. Wir blicken auf Ein-Euro-Läden, einfache Obststände und asiatische Metzgereien mit noch unzerlegten Tieren im Fenster. Afrikaner balancieren Pakete auf dem Kopf, Hip-Hop-Typen palavern lautstark. Gar nicht Air-Style.

Umso kultivierter geht es in der Passage de l’Atlas zu. Das Studio von Air befindet sich in einem rosefarbenen Gebäude im Bauhausstil. Auch eine Lyrikschule und diverse Ateliers sind hier untergebracht. Drinnen ist es totenstill. JB und Nicolas strahlen. “ Man hört nichts! Wir haben alles perfekt konstruiert für die perfekte Akustik.“ Hier ist das neue Album LOVE 2 entstanden.

In den zwei Räumen sieht es aus wie auf einem stilvollen Plattencover: dunkle Holzwände, edle Teppiche auf Parkett, Sixtieslampen, Schwarzwcißfotos von Aufnahmesessions. Und Keyboards ohne Ende: Fcnder Rhodes, Hohner, Baldwin, Moog, Wurlitzer. Kauft ihr jedes Keyboard, das ihr seht? „Sie müssen gut klingen, in Schuss sein und natürlich schön aussehen“, sagt Nicolas. JB klimpert auf einem Vibraphon herum, ein typischer Air-Sound durchdringt den Raum. Auf dem Flügel liegen Noten von Liszt und Bach. JB ist der Chefpianist, Nicolas hat gerade erst angefangen, Stunden zu nehmen. „Seit ich Klavier spiele, habe ich Angst, dass ich an unserer Musik das Interesse verliere, denn klassische Musik ist so viel spannender. Klassik hat mich demütig gemacht. “ JB geht rüber zum 24-Spur-Gerät, vorbei an zahlreichen Goldenen Schallplatten. „VielMOON SAFARI „, sagt JB und grinst. “ Ob wir noch mal einen Hit haben werden?“ Er erzählt, dass er oft hierher kommt, Klavier spielt und die Stille genießt. „Ich glaube, es ist die Hölle, mit einem Musiker zusammenzuleben. Das sind komplizierte Menschen, egoistisch und schwierig in der Kommunikation.“

Dann schaut er auf, als wollte er sich versichern, dass er ernst genommen wird. „Aber Musik ist immer für dich da. Wie eine Mutter.“