Munter in Moll


Die Cardigans galten bisher als Synonym für fröhlichen Pop. Doch bei der Arbeit an "Gran Turismo" haben die fünf Schweden nun den Mut zur Melancholie entdeckt.

ALLES, NUR KEINE FRAGEN ÜBER EASY Listening“, flüstert die Promoterin der Cardigans kurz vor dem Interview mit extrem besorgtem Gesichtsausdruck, „da wird Nina so richtig sauer!“ Das will keiner wirklich riskieren, denn Nina Persson, die zierliche Sängerin der Cardigans, ist trotz naturblondem Schopf und lieblichem Engelsgesicht alles andere als ein leicht verdauliches Schwedenhäppchen. Und Nina hat ihre Gründe, beim Stichwort Easy Listening rot zu sehen. Vor rund fünfeinhalb Jahren gründete sie gemeinsam mit ihren Freunden Peter Svensson, Magnus Sveningsson, Bengt Lagerberg und Lasse Johanson in der schwedischen Kleinstadt Jönköping die Cardigans. Knapp ein Jahr später erschien ihr Debüt „Emmerdale“, das vor allem in der schwedischen Indie-Szene Gehör fand. 1995 gelang der Gruppe, deren Mitglieder abwechselnd in Malmö und Stockholm leben, mit dem Album „Life“, das außer in Schweden auch in Großbritannien, Japan und Deutschland hohe Charts-Positionen erklomm, der internationale Durchbruch. 1996 erschien die CD „First Band On The Moon“ mit der Hitsingle „Lovefool“, die vor allem in den USA Furore machte, wo der Song zum Film „Romeo & Julia“ über die Kinoleinwände flimmerte. Spätestens jetzt war klar, daß sich die Cardigans etabliert und zu einem der erfolgreichsten schwedischen Exportartikel in Sachen Popmusik gemausert hatten. „Und trotzdem“, so grollt Nina, „will uns die Musikpresse immer und immer wieder mit Gewalt in die Easy-Listening-Schublade schieben. Vor allem in Deutschland ist das scheinbar ein Schlagwort, das nicht totzukriegen ist. Aber seien wir doch mal ehrlich, das Ganze war doch nur ein kurzlebiger Hype – was wir machen, ist dagegen einfach klassischer Pop, unabhängig von schnellen Trends.“ Klassisch ist „Gran Turismo“, das brandneue Album der Cardigans, allemal – wenn auch nicht völlig unberührt vom Zeitgeist. Wo früher schon mal Gitarren in Alternative-Manier Krach schlugen, uralte Röhrenverstärker rumpelten, Orgelsound Retro-Stimmung verbreitete und über weite Strecken extrem eingängige und fröhliche Refrains vorherrschten, sind jetzt eher zarte, ja fast traurige Töne angesagt: Elektronische Blonks und Bleeps schmirgeln dezent im Hintergrund, jede Menge Drumloops und Ninas durchgehend lakonischer Gesang erinnern hier und da an frustgefüllte TripHop-Songs ä la Portishead. „TripHop geht in Sachen Elektronik doch sehr viel weiter als unser Sound“, stellt Gitarrist Peter, der als musikalischer Mastermind der Band gilt, klar. „Wir haben uns einfach um moderne Klänge bemüht. Ich habe mehr mit Computern experimentiert als je zuvor – ein Gebiet voll faszinierender Möglichkeiten, die noch lange nicht ausgeschöpft sind. Dennoch sind auch die neuen Tracks sehr handgemacht: So verzichteten wir zum Beispiel völlig auf einen Drumcomputer.“ „Back to the Basics!“ wirft Nina ein. „Wir haben uns dem klassischen Songwriting verschrieben, und damit schließt sich für uns ein Kreis: Als wir für ‚Emmerdale‘ zum ersten Mal ins Studio gingen, wußten wir nicht, wie die Welt auf unsere Musik reagieren würde Wir hatten kein bestimmtes Genre im Auge – wir komponierten und spielten einfach drauflos. Damals wurde uns vorgeworfen, wir seien zu altklug für eine noch so junge Newcomerband. Dabei waren wir damals auf dem richtigen Weg. Als dann der Erfolg kam, ging die Unschuld verloren, wir machten uns plötzlich unbewußt Gedanken über die Reaktion von Publikum und Medien. Jetzt hat sich der Wirbel gelegt, und wir sind wieder dort angekommen, wo wir immer hinwollten – bei klassischen Popsongs. Ich glaube, mit ‚Gran Turismo‘ sind wir so nahe am perfekten Cardigans-Album wie nie zuvor.“ SELTSAM, ABER WAHR: DIE BAND, DIE VOR ALLEM DURCH Songs voll sprühender Lebensfreude wie etwa „Carnival“, „Rise And Shine“ oder „Lovefool“ bekannt wurde, liebt es tatsächlich eher melancholisch. Wer genau aufgepaßt hat, konnte allerdings schon bei den frühen Cardigans-Titeln ein Indiz dafür ausmachen: Ninas zynische Texte um Liebe und Schmerz, die mit schwarzem Humor und einer gehörigen Portion Selbstironie ätzend wie ein Eimer Blausäure daherkommen. Auch die neuen Titel erzählen wieder von fehlgeschlagenen Liebesgeschichten und bitteren Enttäuschungen. Kann es sein, daß eine so schöne Frau wie Nina permanent unter Liebeskummer leidet? Auf die Frage folgt langes Schweigen. Dann erklärt Nina stockend: „So

extrem würde ich das nicht stehenlassen. Aber, ja, ich schaffe es in Sachen Beziehung immer wieder, alles kaputtzumachen. Immer wieder!“ Jetzt haben sich zwei dicke Falten auf ihrer Stirn gebildet. „Wenn ich mich daranmache, Texte zu schreiben, habe ich oft vor, mich anderen Themen als ausgerechnet der Liebe zu widmen, aber dann stelle ich erneut fest, wie fasziniert ich von der Komplexität zwischenmenschlicher Beziehungen bin. Liebe gehört für mich zu den wenigen Naturgewalten, die der Mensch in unserem Zeitalter der totalen Kontrolle einfach nicht kontrollieren kann. Sie entzieht sich jeder Logik und Berechnung, kein noch so ausgefeiltes Software-Programm kann sie organisieren, der Mensch ist ihr ebenso hilflos ausgeliefert wie einem Erdbeben oder einem Wirbelsturm.“

WENN DIE NATURGEWALTEN TOBEN, IGELT MAN sich gerne ein, da machen die Cardigans keine Ausnahme. So bleiben sie trotz internationalem Erfolg bei den Aufnahmen zum neuen Album ihrer gewohnten Umgebung im verträumten schwedischen Malmö und damit auch Produzent Tore und seinem Mini-Studio „Tambourine“ im knuffigen Senventies-Look treu. „Wir haben ernsthaft darüber nachgedacht, in ein US-Studio zu gehen, aber unsere Erfahrungen sprachen dagegen,“ erzählt Peter, „unlängst spielten wir in den Staaten ein Lied für einen Soundtrack ein, und die Produzenten leisteten gute Arbeit, aber irgendetwas fehlte mir. Ich hatte mir wirklich vorgenommen, neue Wege zu gehen und andere Arbeitsweisen auszuprobieren, und dennoch dachte ich ständig: ‚Tore hätte das so und so gemacht, und so will ich es auch haben.‘ Wir arbeiten schon so lange zusammen, verstehen uns ohne Worte – warum sollte man das aufgeben?“ Muß man ja nicht. Schließlich beweist das neue Album, daß dem eingespielten Team noch lange nicht die Ideen ausgegangen sind. Und die auf „Gran Turismo“ vorherrschende Melancholie muß sich ja nicht unbedingt zum Dauerzustand auswachsen. „Bei den Aufnahmen zu einem Album herrscht innerhalb der Band immer eine gewisse Grundstimmung“, erzählt Peter. „Diesmal waren wir eben melancholisch drauf. Lag vielleicht auch am Wetter: Normalerweise ist Malmö im schwedischen Sommer der schönste Ort, aber in diesem Jahr war Dauerregen angesagt. Da schreibt man halt nicht so viele sonnige Songs…“ „Stimmt“, so Nina, „das ist auch der Grund, warum wir so gerne Titel zu Soundtracks beisteuern. Es gibt uns die Gelegenheit, aus dieser Grundstimmung auszubrechen, Neues auszuprobieren und einfach mal alles nicht so ernst zu nehmen.“ Auch Peter schätzt die Arbeit an Soundtracks, der die Band einen nicht geringen Anteil ihres Erfolgs verdankt: „Für ‚Gran Turismo‘ haben wir uns zwei Jahre Zeit gelassen, da ist es gut, wenn man zwischendrin durch einen Soundtrack-Song an sich erinnert, sonst glauben die Fans gleich, man sei in der Versenkung verschwunden. Außerdem sind uns Soundtracks mit einem gewissen Konzept lieber, als die oft willkürlich zusammengestellten Sampler von Musiksendern, zumal die Filmmusiken beim Publikum immer beliebter werden. Soundtracks sind eine prima Plattform, um sich zwischen zwei Alben zu präsentieren. ‚Lovefool‘ verschaffte uns viel Publicity in den USA, unter anderem Auftritte in der David-Letterman-Show und in ‚Beverly Hills 90210′.“ Das sind richtiggehend professionelle Töne von einer Band, die noch vor wenigen Jahren aus einer Handvoll sorgloser Kids in Hardcore-T-Shirts bestand. „Tja, früher hat uns der Rummel um unsere Band total verschreckt“, erinnert sich Nina, „wir wollten nur unsere Musik machen und haben uns ab und an in unserer kleinen Welt verschanzt. Mittlerweile können wir mit dem Erfolg umgehen. Wir leben jetzt schon so lange damit, das gehört schon irgendwie zum Alltag.“ Der Erfolg soll sich mit der ersten Singleauskoppelung „My Favourite Game“ erneut einstellen, ein Song, in dem dann doch ein schwedischer Sonnenstrahl und ein Quäntchen der früheren Cardigans-Fröhlichkeit durchschimmern. Als zweite Single will die Band allerdings den Track „Erase/Rewind“ veröffentlichen, ein sehr getragenes, langsames Stück. „Das wird vermutlich unsere bislang softeste Single, aber das ist okay. Wir werden eben auch älter und gesetzter“, meint Peter mit einem Augenzwinkern, „und unsere Fans sind sicher bereit, mitzuwachsen.“ Nina ist der gleichen Meinung: „Ich habe das Gefühl, daß die Band mit diesem Album erwachsen wird, und ich freue mich darüber. Außerdem können die Songs noch so traurig oder langsam sein – sie sind doch ganz unverwechselbar von den Cardigans. Ich bin froh, daß wir uns immer mehr dem annähern, was man als ganz eigenen Stil bezeichnen könnte.“ Wie die Fans mit der Melancholie von „Gran Turismo“ klarkommen, bleibt abzuwarten – schließlich hatten die Cardigans bislang nicht gerade den Ruf einer Handvoll Trauerklöße. Vor allem auf die Reaktion der japanischen Fans darf man gespannt sein, wenn sie feststellen, daß Nina auch schon mal so singen kann wie Karen Carpenter zu ihren magersüchtigsten Zeiten. Denn immerhin feierten die Cardigans im Land der aufgehenden Sonne mit ihre größten Erfolge: Riesige Hallen waren binnen kürzester Zeit ausverkauft, die Single „Carnival“ kletterte an die Spitze der japanischen Airplay-Charts, das fröhliche Album „Life“ erreichte Platin-Status. „Wir machen uns da gar keine Sorgen“, behauptet Nina – aber gleichzeitig tauchen wieder diese Runzeln auf ihrer Stirn auf. „Ich bin überzeugt davon, daß ,Gran Tourismo‘ unser bislang bestes Album ist. Ich kann nicht verstehen, warum alle Welt versucht, Bands zu zwingen, ständig den selben Stiefel zu fahren. Innerhalb einer Band muß eine Entwicklung stattfinden – es darf kein Stillstand herrschen, sonst ist man ganz schnell ausgebrannt! Wir haben fröhliche Alben gemacht – und uns jetzt zur Abwechslung mal melancholischen Gefühlen hingegeben. So what?“ Peter nickt. „Es ist schon lustig: Alle reden vom Sound der Jahrtausendwende, warten auf das ganz große neue Ding. Ich muß jetzt schon lachen, wenn ich daran denke, daß die Menschen am 1. Januar 2000 verkatert aufwachen und feststellen, daß alles noch genauso ist, wie am Tag zuvor. Unsere Antwort auf die Frage nach dem ganz großen neuen Ding? – Popmusik! Was sonst?“