Neulich am Kotti


Gegen Rechte, Chauvinismus und Rassismus-Hetze. Ein Festivalbesuch in Berlin-Kreuzberg wirkt wie der Rundgang durchs Protest-Museum.

Am Kottbusser Tor lümmeln die „Sternburg“-Bier-Punks auf dem Bordstein, umringt von dösenden Hunden. Ein ausgemergelter Schlacks mit in den Irokesenschnitt eingeflochtenen Knochen hat sich sogar eine Hängematte aufgespannt. Sein linker Fuß baumelt in der Luft, die Sohle pechschwarz. So gemütlich will es sich der graue Veteran ein paar Meter weiter nicht machen. Er steckt schon in den Fünfzigern, die weißen Arme hängen wie Brühwürste aus einer speckigen Outdoorweste. Sein Oberkörper zittert kaum merklich. Wie vom Bus gefallen hockt er auf dem Asphalt und skandiert seine Parole. Zwei Zeilen, in denen sich „Polizisten“ auf „Faschisten“ reimt. Er brüllt nicht, kaum ruft er die Losung. Dazu fehlt ihm die Kraft. Das Einsatzkommando in knapp 30 Metern Entfernung hört die Hetze nicht. Vielleicht will es sie auch nicht hören. Wenigstens die Väter und Großväter vor dem türkischen Backhaus schauen kurz herüber. Dann rühren sie wieder in ihren Teegläsern.

Eine kleine Bühne versperrt den Weg vom Kotti zur Kneipen- und Ladenmeile Oranienstraße, der unter der zwölf Stockwerke hohen Wohn- und Gewerbetrotzburg „Zentrum Kreuzberg“ hindurch führt. Dem Kotti ist das allerdings ziemlich egal. Und auch das luftig über den Platz verteilte Publikum des Festivals „Beats Against Racism“ wirkt, als sei es hier zufällig zusammengelaufen. Die Mischung entspricht dem alltäglichen Straßenbild in diesem Kiez: Punks und in blasse Baumwolltücher eingewickelte Rastazöpflinge. Third-Hand-Fahrrad-Studenten. Pfandflaschensammler, mit unzähligen Plastiktüten behängt. In hibbeligen Trauben zusammenstehende Migranten-Kids in ihren Streetstyle-Klamotten. Zumindest ein paar dieser Kids wollen von dieser Veranstaltung ein wenig Spektakel abschöpfen und provozieren die an den Rändern des Panoramas positionierten Polizisten. Weitaus effektiver als der einsam zitternde Kämpfer – der hat längst wieder aufgegeben – inszenieren sie in einer Nebengasse eine Schlägerei, nur um die herbeieilenden Beamten im Chor zu beschimpfen: „Ganz Berlin hasst die Polizei!“

Auch vor der Bühne bewegt sich jetzt etwas. Ein paar Indie-Jugendliche schwingen sich auf und tanzen ihren Schlendertanz. In der kommenden halben Stunde liefert die Berliner Band Nachlader jene „Beats Against Racism“, mit klarem musikalischen Bezug zu den Pop-Achtzigern und sozialkritischen Texten. Ihr neuestes Stück heißt „Sarrazinisiert“. Darin reimt Daniel Baumann eher lässig: „Ich hab mich heut für dich geniert, denn du bist sarrazinisiert“. Auch bei seinen Ansagen versäumt es der Sänger, deutlicher auf das gemeinsame Feindbild einzugehen. Er überlässt das denen, die sich angegriffen fühlen von dem SPD-Populisten. Das kämpferisch auftretende muslimisch-christliche HipHop-Duo Challa und KD Kane vom Kreuzberger Untergrund-Label K.O. Muzik ernten den größten Beifall, als es Sarrazin lautstark beschimpft. Dafür gibt es sogar Nachschlag: „Und fuck deine gelähmte Visage!“

Rapper Challa sucht jedoch auch nach einem konstruktiven Ansatz: Man müsse sich solidarisieren gegen die rechte Propaganda, sagt er. Dies bleibt die wichtigste Botschaft derer, die sich wehren wollen. „Alleine machen sie Dich ein“, so formulierten es Ton Steine Scherben vor 40 Jahren. Und auch Challa sagt es so, dass es jeder verstehen kann. Und er sagt es in einem Ton, der unbedingt Mut machen soll: „Wenn wir zusammenhalten, schaffen wir das!“ Challa weiß, dass er gerade den Kids in den ersten Reihen ein Vorbild ist. Zwei von ihnen dürfen schon mit nach oben kommen, rappen als Support – sie nennen sich die K.O. Juniors.

Auch die Too Funk Sistaz aus Neukölln sind den Jüngeren ein Vorbild und auch sie haben ein klar definiertes Feindbild. Eigentlich wollen sie nur noch „TFS“ genannt werden, erklären die drei multiethnischen jungen Frauen, denn das könnte ebenso gut mit „Totales Feministisches System“ übersetzt werden. Gegen den Chauvinismus in ihren Kreisen, besonders den der rappenden Kerle, schreiben sie ihre Texte. Sie pochen auf Selbstbestimmung, auch auf das Anrecht auf einen dicken Hintern, und sie haben sich ein paar feine, beißende Reime ausgedacht, um die „Rapper“, „Stecher“ und „5-Minute-Men“ zu blamieren. Leider können die Sistaz nicht mehr länger bleiben. Ihre Kinder wollen auch noch was vom Nachmittag haben: „Wir gehen noch auf den Spielplatz, oder?“

Damit zwischen den in Aufführung und Stilen sehr bunten „Beats“ und in der ziemlich relaxten Stadtfeststimmung die Botschaft des Festivals deutlich erscheint, greift sich einer der Veranstalter der Kampagne „Zusammen handeln – gegen rassistische Hetze und soziale Ausgrenzung“ immer wieder das Mikrofon. Im Tonfall der jedoch schon ein wenig müde gewordenen Entrüstung reiht er haarsträubende Zitate von Berliner Kandidaten rechtspopulistischer Parteien aneinander. „Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen!“, sagt er dann. Oder: „Das kann man wohl einfach mal so stehen lassen.“

Und dann springt schließlich einer der „Sternburg“-Punks auf und brüllt: „Genau!“. Er hat sich schon am Nachmittag gleich neben der PA im Schneidersitz zusammengefaltet, wie in der Hoffnung, man möge ihm beim Abbau der Anlage mit einpacken und sicher verstauen. Doch plötzlich ist Feuer in seinen Augen, Spannung in seinen Muskeln. Jetzt geht es ihm um die Sache. Welche Sache, wird allerdings nicht ganz klar. Es ist wohl der Spirit, der Sound, der ihn aufgerüttelt hat. Denn zwischenzeitlich ist die Bolschewistische Kurkapelle Schwarz-Rot in ihrer großen Besetzung auf die Bühne gestiegen. Sie covert Rio Reiser und Nina Hagen, spielt auch eigene Sachen, und in diesem Moment spielt sie eines dieser Stücke, wegen der die Kapelle vor 25 Jahren in Ostberlin gegründet wurde: um Arbeiterlieder „wieder hörbar zu machen“ und der DDR-Propaganda zu entreißen. Sie tut das rasanter, als es tatsächlich irgendeinem Regime Recht sein kann. Und der Punk tanzt jetzt dazu.