Roskilde 2012: gelassen und sexy – Just Like Heaven


The Cure erlösen das Publikum. The Shins geben sich dunklen Emotionen hin. Und die Fans geraten in Ekstase.

Um drei Uhr nachts endet der erste Tag des Roskilde-Festivals, und in Erinnerung bleibt auch eine Szene, die sich zwischen ein paar übrig gebliebenen Festivalgästen abspielt. Etwa 20 Meter vor der Hauptbühne steht ein grinsender junger Mann mit heruntergelassenen Hosen. Zwei hübsche Mädchen, mit immerhin noch einigen wenigen Kleidungsstücken am Körper, flitzen um den Nachwuchs-Exhibitionisten herum. Gelegentlich schlagen sie ein Rad. Nach knapp zehn Stunden Roskilde-Festival können einen aber auch solche Bilder kaum noch überraschen. Das Roskilde 2012: gelassen und sexy.

Zunächst traten am ersten Tag des Roskilde-Festivals Kraftklub auf, die mit dem Versuch, ihre deutschen Anmoderationen ins Englische zu transferieren, regelmäßig grandios scheitern – um danach ebenso grandios ihre Songs auf die 700 Zuschauer einzuhämmern. Kraftklub strahlten – trotzdem sie in Dänemark merklich Neuland betraten – die Souveränität und das Zutrauen einer gewachsenen Band aus. Und entlocktem dem entspannten dänisch-deutschem Publikum erste Anflüge von Euphorie.

Von Euphorie war ein paar hundert Meter weiter, beim Konzert von The Shins, naturgemäß wenig zu spüren. Doch auch für tiefe Gedanken und dunkle Emotionen war an diesem sonnigen Spätnachmittag die Zeit noch nicht reif. Und so einigten sich Band und Publikum darauf, das Konzert gemeinsam zu genießen und sich hin und wieder gegenseitig Respekt zu bekunden.

Am frühen Abend wären Clock Opera mit ihren Sphäro-Pop Pflichtprogramm gewesen – würde es auf dem Roskilde- Festival so etwas wie Pflicht geben. Ein Großteil der Festivalgäste zog es deshalb auch vor, in der Zeit zwischen 18 und 20 Uhr durch die zahlreichen Kunstprojekte zu flanieren und sie mitzugestalten: So beliebt wie simpel ist zum Beispiel die etwa 100 Meter lange Schreibtafel. Aber auch anspruchsvollere Installationen finden sich auf dem Festivalgelände: Das Berliner Kunstensemble gestaltete den Festival-Treffpunkt Hilltone, Kristoffer Tejlgaard den „Dome“, eine 100% recyclinfähige Holzkuppel mit integrierter Bühne und eigenem Lichtkonzept.

The Cure warteten noch den Sonnenuntergang ab, bevor sie die Bühne betraten. Anfangs wusste das Publikum noch nicht so recht, was zu tun war, und auch die Band startete sehr verhalten. Die ersten Songs schien man im Stile einer gebuchten Hochzeits-Coverband herunterzuspulen, was zu Verwunderung, teils Enttäuschung führte. Doch erst dann merkte man, was da passierte. Robert Smith und Band ließen sich schlicht Zeit. Zeit, ihre eigene Tagesform abzutasten und die Festivalstimmung aufzunehmen. Mit dem Intro des fünften Songs („Push“) konnte man dann endlich das gelöst-erlösende Lächeln in Smiths Gesicht erkennen, dem sich nach und nach der Rest der Bandmitglieder anschloss. Zwei Songs später, bei „Just Like Heaven“ wurde dann auch im Zuschauerbereich mehrheitlich mitgetanzt, wenn auch noch etwas ungelenk. Das junge Publikum musste auch erst lernen, dass hier die Raver-Wippe keine Anwendung finden kann, sondern es in erster Linie auf ausladendes, unregelmäßiges Eindrehen des Oberkörpers mit gleichzeitigem, leicht leidenden Blick auf einen fixen Punkt am Boden ankommt. Aber bei einem Set von 35 Songs und über drei Stunden war aber auch hier noch ausreichend Zeit, sich den Bewegungsablauf von den Festivalveteranen abzuschauen. Die Setlist kann man bei unseren Kollegen von Chain Of Flowers einsehen.

Die wirklich tanzwütigen Jungs und ein paar mutige Mädchen trieb es aber schon während des Cure-Gigs zu Modeselektor –­ fraglos dem energetischsten Gig des Tages. Innerhalb der 1000 Zuschauer entwickelten sich Moshpits von gut 50 Metern Durchmessern.

Abgeschlossen wurde der Tag mit der enttäuschenden Supergroup Apparatjik. Die Band um Coldplay-Bassist Guy Berryman und a-ha-Keyboarder Magne Furuholmen setzte sich Hirschgeweihe auf und trug Overalls, die einen Bodybuilder-Körper nachahmen sollten. Das Ganze war zwar zumindest zu Beginn durchaus unterhaltsam, insgesamt wirkte die Performance dann aber doch aktionistisch und orientierungslos. Apparatjik scheinen zu Recht zu spüren: Das, was sie da machen, ist letztlich nur mittelmäßige Popmusik. Und man versucht mit großem Aufwand und einigem Erfolg davon abzulenken.

Insgesamt konnte dieser kleine Downer zum Abschluss aber niemanden hier mehr davon abhalten, halbnackt über die Festivalwiesen zu springen.

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