Warum das Festival ‚transmediale 2013‘ so kompliziert war…


…und wie die konzeptionelle Medienkunst dabei trotzdem intuitiv verständlich blieb.

Warum haben sie im Foyer des Haus der Kulturen der Welt in Berlin zwei Kilometer gelbe Drainagerohre unter die Decke gebunden und mit umgepolten Staubsaugern Rohrpost durch das ganze Haus geschickt? Warum saß da „Memoblast“ und hat Musik mit einer elektronischen Schreibmaschine gemacht? BWPWAP? Warum hatte dieses Festival, das am 29. Januar begann und am 3. Februar endete, überhaupt einen Namen, den der Kurator Kristoffer Gansing (35) bei der Eröffnung erst 20 Minuten lang erklären musste, um sicher zu gehen, dass die Besucher des Festivals etwas damit anfangen können? Wohlgemerkt ­– die Besucher, also Leute die sich ohnehin meist schon im Dunstkreis der Transmediale bewegen. Wäre das nicht auch einfacher, besser, direkter gegangen? Nein. Danke, Herr Gansing.

BWPWAP = Back When Pluto Was A Planet

Im August 2006 entschied die IAU, die Internationale Astronomische Union – per Abstimmung -, dass das Objekt Pluto kein Planet mehr sein darf. Gezweifelt wurde an Pluto schon länger, aber jetzt hatte Prof. Mike Brown a.k.a. „The Guy Who Killed Pluto“ das Objekt Eris am Himmel entdeckt. Eris war wie Pluto, nur massiver ­– und eben kein Planet. Entweder, so argumentierte Prof. Brown, würde Eris zum zehnten Planeten des Sonnensystems gemacht, oder der Planet Pluto müsse „deplanetarisiert“ werden. Die IAU stimmte ab, und Pluto wurde deplanetarisiert.

Den Kurator Kristoffer Gansing mag an dieser Deplanetarisierung alles Mögliche fasziniert haben: Die Tatsache, dass eine kleine Gruppe von Wissenschaftlern über eine Definition entscheidet, und plötzlich verschwindet in unserem Sonnensystem ein Planet. Vielleicht auch der popkulturelle Protest, der folgte: Er erwähnt immer wieder T-Shirts, Cartoons, Rap-Songs und sogar ein Computerspiel, die für den Erhalt des Planeten Pluto kämpfen. Oder aber schlicht das Akronym BWPWAP, welches nun im Internet für kürzlich Vergangenes steht.

Die Abkürzung BWPWAP war Gansings Weg, sich mit dem Phänomen Paradigma und dem Paradigmenwechsel an sich auseinanderzusetzten. Was bedeutet es, wenn unumstößliche Tatsachen plötzlich umgestoßen werden? Ist es nur eine Frage der wissenschaftlichen Definition eines Himmelskörpers? Oder kann es tatsächlich verunsichern, wenn die Eselsbrücke „Mein Vater Erklärt Mir Jeden Sonntag Unsere Neun Planeten“ (Merkur, Venus, Erde, Mars, Jupiter, Saturn, Uranus, Neptun, (Pluto) plötzlich nicht mehr stimmt? Welche Paradigmen könnten denn noch umgeworfen werden, wenn auch Planeten plötzlich verschwinden? Oder, anders gefragt, welche Gewissheiten werden denn die nächsten Jahre überstehen?

Das erste physikalische Netzwerk

Bei der Eröffnung ließ Gansing seine Gäste nochmal abstimmen, ob man Pluto wieder in das Planetensystem integrieren sollte. Dann ließ er sich das Ergebnis mit dem Rohrpost-System auf die Bühne schicken. Rohrpost? Die Leute von Octo, die ihren Rohrpost-Service „Misskommunikationssystem“ nennen, passen gut in das Konzept: Ein System, das irgendwann einmal modern war und durch technische Entwicklung obsolet geworden ist. Im Haus der Kulturen propagieren sie Octo jetzt als erstes, physikalisches Netzwerk: „Nutzen sie jetzt ihre Chance in unser neues, zentralistisches System zu investieren!“ Man könnte das als kapitalismuskritische, künstlerische Rekontextualisierung einer überkommenen Kommunikationstechnik beschreiben. Aber irgendwie versteht man es auch instinktiv, wenn das Rauschen in den gelben Röhren an der Decke anschwillt und schließlich eine Kapsel mit den Wahlergebnissen in den Empfänger-Korb ploppt.

‚Threads’ statt Termine

Indem er den Paradigmenwechsel zum Thema machte, hat Gansing alles in Frage gestellt, was gerade als Tatsache gilt. Das muss nicht immer so plakativ passieren, wie mit der Abstimmung über den Planeten Pluto. Viel wurde auch dadurch kommuniziert, wie das Festival aufgestellt war: So wurde zum Beispiel das Programm der Transmediale nicht mehr hauptsächlich mit Namen, Tagen oder Uhrzeiten organisiert, sondern in ‚Threads’, wie Diskussionsbeiträge in Chatrooms. Auf der Website konnte man sich die Termine gleich nach dem jeweiligen Diskurs sortiert anzeigen lassen.

Während Deutschland noch über Sexismus in der FDP-Spitze streitet, wurde bei vielen Veranstaltungen der Festivals schon komplett mit den Geschlechterrollen gebrochen: Terre Thaemlitz oder Mykki Blanco scheinen sich kaum mehr darum zu kümmern, zu welchem Geschlecht sie nun gezählt werden. Es waren eben Terre Thaemlitz und Mykki Blanco.

 „Urheberrecht? Gibt es gar nicht.“

Der Gender-Diskurs blieb nicht die einzige aktuelle Debatte, die auf der transmedialen angerissen wurde: „Urheberrecht? Das gibt es gar nicht. Das ist bloß eine leere Drohung. Ich habe alles geklaut und ich hatte nie ein Problem“, sagt dann Kenneth Goldsmith in einer Diskussion und tut sein Bestes, um ein ohnehin schon wackeliges Paradigma zu Fall zu bringen. Seit Jahren betreibt Goldsmith Ubuweb“, das wichtigste Archiv für Avantgardekunst im Internet – ohne auch nur einen Künstler um Erlaubnis gefragt zu haben. Ob das Urheberrecht in ein paar Jahren wohl ausgestellt wird wie die Rohrpost heute?