Interview

Peter Doherty: „Und nun? … Pässe, Visa, Misstrauen, Feindbilder!“


Dieser Mann vermisst die Freiheit, die er einmal hatte, als man noch nicht so gut auf ihn aufpasste. Aber es ist nicht so, dass Peter Doherty diese Freiheit nur für sich beansprucht. In einem sehr persönlichen und auch politischen Gespräch über Terrorismus, Brexit, Dylan und seine künstlerische Arbeit kommt er immer wieder darauf zu sprechen, 
warum alle Menschen Libertines sein sollten.

Er ist mit den Libertines gerade in Südamerika unterwegs – Brasilien, Chile, heute dann Argentinien – als wir Peter Doherty endlich ans Telefon bekommen. Unsere Hartnäckigkeit wird mit einem Exklusivinterview belohnt, für ganz Deutschland, heißt es. Peter hat dann auch 
viel zu erzählen über Deutschland, er kennt 
das Land sehr gut, er ist immer wieder hier – auch sein neues Soloalbum HAMBURG DEMONSTRATIONS hat er zum Großteil in Germany aufgenommen, genauer: in Hamburg, im Clouds-Hill-Studio, in mehreren Sessions, die sich über mehr als zwei Jahre erstreckten. Unsere Autorin Cloat Gerold kennt Peter Doherty wiederum aus München, aus dem legendären Club „Atomic Café“. Dort liefen sie sich vor 13 Jahren zum ersten Mal über den Weg und danach immer wieder.

Hallo Peter, wie geht es dir an diesem bemerkenswerten Tag, an dem zum ersten Mal ein Songschreiber den Nobelpreis für Literatur erhalten hat?
Hallo, danke, mir geht es gut. Und ja, Dylan! Ich dachte erst, er hätte den Preis für seine „Chronicles“ (Dylans Autobiografie – Anm. d. Red.) bekommen, aber nein, er bekam ihn für seine Lyrics! Zufälligerweise habe ich erst gestern im Flugzeug von Santiago nach Buenos Aires John Hassall (Bassist der Libertines – Anm. d. Red.) in gut angetrunkenem Zustand einen flammenden Vortrag über die Vorzüge und die Qualität der Texte von Bob Dylan gehalten. Irgendwann sagte John zu mir: „Aber denkst du nicht manchmal auch, dass das alles Unsinn ist?“ – Ich: „NOOO!“ Es ist doch so: Selbst als tief religiöser Mensch ist man manchmal versucht, an seinen Überzeugungen zu zweifeln, aber wenn man dann zu ihnen zurückfindet, ist der Glaube umso stärker. So geht es mir mit Dylan. Auch wenn ich manchmal denke: „dieser alte Mistkerl“, komme ich doch wieder und wieder zu der Erkenntnis, dass er ein unfassbar guter Songwriter ist.

Es gab sogar Momente, da wünschte ich, ich wäre überhaupt nicht ins Studio gegangen.

Lass uns über dein neues Soloalbum reden. Du hast die Platte in Hamburg aufgenommen. Wie war deine Stimmung zu dieser Zeit, wie war es, in der Stadt zu leben?
Meine Laune war sehr ambivalent. Einerseits war ich abenteuerlustig, oft auch ziemlich ungezogen, ich habe ein paar gefährliche Dinge gemacht. Es gab eine Menge verlorener Wochenenden. Meine Stimmung bei der Arbeit im Studio war dagegen … eher finster, manchmal sogar verzweifelt. Es gab Momente, da wünschte ich, ich wäre bereits vor den Aufnahmen in den Entzug nach Thailand gegangen und nicht erst danach. Es gab sogar Momente, da wünschte ich, ich wäre überhaupt nicht ins Studio gegangen.

Wieso das denn?
Mein Produzent (Johann Scheerer – Anm. d. Red.) mochte mich wirklich sehr gerne und war stets besorgt um mich. Aber das hat mich eher irritiert und es hat mich dabei behindert, meine Ideen für das Album frei heraus vorzutragen. Ich wurde quasi an den Busen seiner wohlmeinenden Familie gedrückt, während ich einfach nur mein Leben leben wollte. Am Ende war es so, dass ich die für den jeweiligen Tag geplanten Aufnahmen gemacht und mich danach sofort verkrümelt habe. Mag also sein, dass das Album ein paar seltsame Untertöne hat, die daher kommen – und auch von vielen Nächten, an denen ich die Reeperbahn rauf und runter torkelte, auf der Suche nach dem nächsten Drink …

„Die Religion ist das Einzige, was bis heute Bestand hat. Offensichtlich kann man Gott nicht ersetzen.“

Kurz nach dem ersten Jahrestag der islamistisch motivierten Anschläge von Paris startet im November deine Solotour, genau an einem der Orte des Geschehens – im Konzertsaal des „Bataclan“. Emotionaler Höhepunkt des Abends wird dann wohl dein neuer Song „Hell To Pay At The Gates Of Heaven“, ein poetischer Kommentar zu den Zeitläufen, den du mit Blick auf den Terror in Paris geschrieben hast …
(seufzt) Ach ja, herrje. Es ist alles sehr traurig. Auf der einen Seite der Welt beobachten wir den Tod Gottes, auf der anderen stehen Menschen, die bereit sind, für ihren Gott zu töten. Nach Abertausenden von Jahren scheinen religiöse Gemeinschaften die einzige Gesellschaftsform zu sein, die dauerhaft überlebt hat. Die Menschheit hat ja schon alles Mögliche ausprobiert, Rationalismus, Postmodernismus, Poststrukturalismus – aber die Religion ist das Einzige, was bis heute Bestand hat. Offensichtlich kann man Gott nicht ersetzen.

Hätte man mir vor 20 Jahren gesagt, dass Religion zu meinen Lebzeiten noch mal ein Thema wird, ja sogar Terror und Kriege auslöst – ich hätte wohl gelacht …
Ja, und nun ist all das plötzlich Alltag. Man kann die Spannungen, die kulturelle und religiöse Differenzen derzeit in Europa auslösen, kaum mehr übersehen. Und Deutschland ist diesbezüglich durchaus ein Land an der Front: Hamburg, Berlin, Leipzig – auf den Straßen habe ich überall angespannte und feindselige Vibes wahrgenommen, eine sehr unangenehme Atmosphäre. Eine Menge Leute sind offenbar bereit, aus kulturellen, religiösen oder was für persönlichen Gründen auch immer, eine gewisse Kampfbereitschaft zu demonstrieren. Und man ahnt, wo das hinführen könnte. Ich kriege das alles nicht so ganz geregelt, vor allem, weil Deutschland für David Bowie, den ich sehr bewundere, stets so eine Art heiliger Ort war. Ich dachte immer, Bowie hätte vor allem mit Berlin einen ewigen Pakt geschlossen, darüber, dass man gleich denkt und fühlt – darüber, dass Freiheit ein immens wertvolles Gut ist. Für ihn war das total wichtig. Er hat erzählt, dass er nur ein einziges Mal in seinem Leben bei einem Konzert geweint hat, und das war in Berlin, zur der Zeit, als die Mauer fiel.

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Große politische Ereignisse haben sich kürzlich auch in deiner Heimat abgespielt: Was denkst du über den „Brexit“?
Oh je, was denke ich darüber? Also vor allem würde ich solch wichtige Entscheidungen niemals Leuten überlassen, die keine Ahnung von Politik oder Sozialtheorie haben, und sich auch ernsthaft nie dafür interessiert haben. Es scheint ja auch um ganz andere Dinge zu gehen: Ich sehe jetzt überall in England das St. George’s Cross (die englische Nationalflagge – Anm. d. Red.) – sehr viel häufiger als früher.