Nachbericht

Reeperbahn Festival 2015: Live-Overkill in Hamburg


Rund um Hamburgs bekannteste Straße fand vom 23. bis 26. September 2015 das Reeperbahn Festival statt. Newcomer und Bekannte aus allen Genres spielten Konzerte in Bars, Theatern, Kirchen und Schiffen in schwindelerregender Vielzahl. Wir waren vor Ort.

Das Reeperbahn Festival, das 2015 zum zehnten Mal stattfindet, ist omnipräsent in der Hansestadt, mehr noch als in den Vorjahren. Auch wer kein Ticket für das viertägige Newcomer-Event hat, kann sich Gratis-Konzerte auf dem Spielbudenplatz anschauen oder in eine der zahlreichen Galerien und Ausstellungen zwischen Pferdemarkt und Hafenstraße hineinschnuppern. Eine Schönwetterlage, wie Hamburg sie Ende September selten gesehen hat, sorgt obendrein für sommerliche Festivalatmosphäre.

Natürlich ist das Reepberbahn Festival auch dieses Jahr der totale Live-Overkill, bei mehr als 80 Spielstätten. Die schwedische Indie-Band in der Prinzenbar sehen oder das irische Folk-Trio in der St. Pauli Kirche? Oder lieber schnell zur Elbe runter und in die Barkasse MS Hedi springen für einen Gig mit angeschlossener Hafenrundfahrt? Isabel Rauhut, Tamara Güclü und Jördis Hagemeier waren für den Musikexpress ein paar Tage vor Ort, das hier haben sie erlebt:

Gemischter Donnerstag: Rap-Abend im Moondoo und ein überfülltes Docks mit Wanda

Die ganz großen Namen sucht man heute nicht vordergründig, denn der Fokus liegt darauf Neues kennenzulernen und sich inmitten der Club-Atmosphären verzaubern zu lassen. Ob nun ein schweißtreibendes Rap-Konzert des jungen LGoony im Moondoo im Turn-Up-Modus oder eine Vorführung in Kutte von Romano ebenfalls im Moondoo, da dort am Donnerstag der Rap-Abend stattfindet.

Größere Bands präsentieren ihr Können aber natürlich auch: Lukas Graham machten im Frühjahr 2012 im dänischen Königreich auf sich aufmerksam. Die vier Jungs aus Kopenhagen bespielen schon nach fünf Minuten das pickepacke vollgestopfte Docks auf dem Spielbudenplatz oberkörperfrei, denn „Mama said, that it was ok“. Live entwickelt sich im Spiel zwischen Schlagzeug, Bass und Bläsern ein fast unheimlicher Groove. So kommt es zu Frontmann Lukas Forchhammers Lieblingsthema, dem „Happy Love Thing“. Denn mit dem Groove ist es wie mit der Liebe: Man kann ihn nicht erklären. Aber man spürt, wenn er da ist.

Zu einer neuen Location muss man anschließend nicht hetzen, denn als nächster Act im Docks sind Wanda dran. Hinten stehen ergibt hier keinen Sinn. Zwischen älteren Herrschaften und vollen Bierbechern ist die ausgelassene Stimmung im Mittelblock zum Auftakt von „Luzia“ leidenschaftlich gut. Nach ein paar Songs vom Debütalbum gibt es den ersten Vorgeschmack auf das Zweitwerk BUSSI, das am 2. Oktober 2015 erscheint. „Unser neues Album wird nicht so brillant wie AMORE. Wird sich aber besser verkaufen“, so Sänger Marco Michael Wanda. Zack, gibt es den Titeltrack „Bussi“ zu hören und der Frauenpulk in der ersten Reihe gröhlt ordentlich mit. Die österreichische Popmusik hat an dem Abend aber nicht nur die erste Reihe gecatcht – alle Herzen im Docks wurden in oins, zwoa, drei, spätestens vier Takten erobert.

Kontraste am Freitag: Rotziger Punk-Rock, souliger HipHop und die Rückkehr von Nicholas Müller

Aspekte wie Kunst und Sammelleidenschaften kommen beim Reeperbahn Festival ebenfalls nicht zu kurz. Während sich die Menschenmassen über die sündigste Meile der Welt zu den Showcases von Universal, Warner oder Sony schieben, gestalten Graffiti-Künstler Leinwände von riesigen Ausmaßen, kann man sich die Poster-Ausstellung im Museum für Kunst & Gewerbe ansehen oder über den Independent Label Market flanieren und nach der nächsten Vinyl-Rarität suchen. Unbekanntere Künstler wie etwa die deutsche Band I Am Jerry, die die neuen Kraftklub, die nächsten Bilderbuch und die erste visuelle, trashy Kanye-West-Actionfilm-Adaption auf Deutsch sein könnten, treten dann in der schönen Prinzenbar auf. Die Jungs kommen aus Sprockhövel und Bochum und spielen energiegeladene Songs mit Namen wie „Vollkontakt“. In der Molotow Bar geht es ebenfalls energiegeladen her – mit Freiburg, einer Punkrockband aus, nein, nicht Freiburg, sondern aus Gütersloh. Rotzig, laut und richtig gut sind die.

Im nur buchstäblich unterirdischem Mojo Club macht der Rapper und Producer Oddisee alias Amir Mohamed el Khalifa aus Washington DC mit seinen Tracks, die allesamt anders klingen, als man es von der Hip-Hop-Szene Amerikas kennt, auf sich aufmerksam. Das Besondere am Stil von Oddisee sind vor allem die Soul-Einwürfe in seinen Beats und die anspruchsvollen Texte. Er rappt nämlich nicht übers Rappen. Der Amerikaner muss sich mit den Boys von 5 Sterne Deluxe messen, die an diesem Abend ihr Comeback feiern, was zu einem Einlass-Stop im Docks und zu hitziger Stimmung im Publikum führte.

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