Regen, Sonne, Rammstein: Hurricane 2013, Tag 1 – Nachbericht und Fotos vom Freitag


Am Freitag gingen Auftritte der ersten 30 von rund 100 Bands des Hurricane Festivals 2013 über vier Bühnen. Hier unser Nachbericht und Live-Fotos der Bands und des Publikums.

Kieken, klönen, köpen. Das Motto, mit dem das Städtchen Scheeßel in Niedersachen seine Besucher am Ortseingang begrüßt, ist natürlich auch 2013 gleichzeitig ein Motto des Hurricane Festivals. Dort findet seit Donnerstagabend nicht nur der alljährliche Zeltplatz-Wahnsinn aus Unwetterwarnungen, Matsch, Dosenbier und Flunkiball statt. Dort sahen am Freitag, dem ersten Programm-Tag des Hurricane, auch über 73.000 Besucher Live-Shows von The National, Portishead, Rammstein und Sigur Rós. Unter Regen und Sonne und auf vier Bühnen.
Den eigentlich undankbaren Eröffnungsslot bespielen die Arkells aus Kanada, und das machen sie mit einem Nena-Cover („99 Luftballons“) und einem Frontmann, dessen Stimme in ihren guten Momenten an die Beatsteaks erinnert, so okay, wie man es Freitagmittag um 15 Uhr machen kann. Die folgende, ebenfalls kanadische, aber hierzulande ungleich größere Schweinerockband Danko Jones hätte eine spätere Bühnenzeit verdient, aber unangemessene Zeiten und Bandüberschneidungen – was am Freitag nur Portishead betreffen sollte – sind ja sowieso die Crux eines jeden größeren Festivals. Über den plötzlichen Sonnenschein ist Sänger Danko Jones jedenfalls nicht glücklich, „ich will für Euch im Regen spielen!“.
Ganz anders die Shout Out Louds auf der blauen Bühne. Ihr Indiepop funktioniert fast ausschließlich wegen der Sonne, über deren Rückkehr sich Sänger Adam Olenius so freut. Und es ist vor allem die Zweitstimme von Keyboarderin Bebban Stenborg, die Songs wie „Impossible“, „Comeback“ und „Please Please Please“ so betörend macht. Der anschließende Auftritt von Tame Impala musste, so verriet die Hurricane-App, „wegen Transportproblemen“ leider ausfallen.
Zurück an der grünen Bühne beweisen Boysetsfire, warum melodischer Hardcore auch 2013 und über eine Dekade nach ihrem Erfolgsalbum AFTER THE EULOGY und einer Trennung noch eine Existenzberechtigung hat – sogar „Whatsapper“ Mc Fitti steht im Publikum und freut sich. Turbostaat spielen auf der roten Bühne vor Fans im Matschpogo eine der smartesten und hinterhältigsten Versionen von Punkrock, die Deutschland 2013 zu bieten hat. Gogol Bordello untermauern mit ihrer wahnsinnigen und multinationalen Ska-Folklore ihren Ruf als Festivalband schlechthin. Im Wohnzimmer muss kein Mensch diese Musik hören, dem Hurricane Festival beschert sie um 18:30 Uhr ihren ersten Stimmungshöhepunkt. Und von dort an folgen ein paar Rockbands, die man vor ein paar Jahren wohl nicht heute noch als Festival-Headliner gewähnt hätte.
The Hives, die Kerle von damals mit den weißen Anzügen, großen Egos und zackigen Hooklines, legen ein knapp einstündiges Best-Of ihrer Karriere hin. Ähnlich beeindruckend wie ihre Standfestigkeit ist nur das fast fließende Deutsch von „Howlin“ Pelle Almqvist („Liebe Damen und Herren, was willst Du hören in Deine Öhren?!“) – und das Durchhaltevermögen von Billy Talent, der nächsten Rockband, die sich zwar bereits auf ihrem Debüt einen Trademark-Sound zugelegt hatte, den andere Bands ihr ganzes Leben nicht finden, die keifende Intensität von Frontsau und Iggy-Pop-Look-A-Like Ben Kowalewicz auf Dauer aber ermüdender für das Publikum als für ihn und seine Band selbst ist. Dann doch lieber nebenan das erste wirkliche Hurricane-Highlight 2013 erleben.
Bühne frei für The National in der Abendsonne. Deren neues Album TROUBLE WILL FIND ME ist im Mai erschienen, und seitdem hat Matt Berninger sich seine Nervosität, die er bei der Live-Premiere in Berlin noch hatte, offenbar vom Leib singen können. Die neuen Songs von „Demons“ bis „Graceless“ kommen an, sie wachsen weiterhin, und Berninger, über den uns Bassist Scott Devendorf vorher im Scherz sagte, er würde sogar in seinem Anzug schlafen, ist zu Scherzen aufgelegt. „Hey, Mr. Security Guy mit der Nummer 2001! Du bist der erste der zu unseren Songs tanzt – und es ist schwer, dazu zu tanzen!“ Stimmt, und dafür haben Berninger und Band sich und das Publikum gut im Griff. Die tanzen zu den Trompeten bei „Conversation 16“, und plötzlich glaubt Berninger noch eine Premiere ausgemacht zu haben: „Hat mir da wer Unterwäsche auf die Bühne geworfen? Oder für den Sicherheitsmann? Nein, das ist ja eines unserer T-Shirts – die könnt Ihr hier nicht umtauschen!“ Großes Finale zu „Terrible Love“: Berninger im Publikum. Von dieser Band werden wir weiterhin viel hören. Unter anderem im Musikexpress – Kollege Overbeck hat The National rund um ihren Hurricane-Auftritt begleitet.
Portishead danach haben die Tageszeit – während ihres Auftritts nach 22 Uhr bricht langsam die Nacht an – auf ihrer Seite und doch ein Problem namens Rammstein. Während Beth Gibbons, die Songs der drei Portishead-Alben und der elegische TripHop ihrer Band einmal mehr wachsen und wachsen und ihre Show die Videos gar nicht bräuchte, entern Rammstein die grüne Bühne. Das tun sie natürlich mit Feuerwerk, Flammen und Fanfaren.
Till Lindemann sieht aus wie ein aufgequollener Iggy Pop. Das tut seinen dumpfen Texten und dem stahlharten Industrial Rock seiner Jungs natürlich keinen Abbruch. Aber sobald man sich an ihm und der Bühnenshow von Rammstein sattgesehen hat, bleibt nur der Geruch von Verbranntem. Rockdeutschlands größter Exportschlager fährt mit Kettensägengeräuschen, gewetzten Messern und Schüssen das ganze Besteck der für sie so typischen Soundeffekte auf. Lindemann trägt mal rosa Plüsch, mal, zu „Mein Teil“, die Fleischerschürze, und nach knapp zwei Stunden bleibt eine auch nach über 15 Jahren noch eindrucksvolle Live-Band, die gleichzeitig außer mit provokantem Merchandise (T-Shirts mit der Aufschrift „Manche folgen, manche führen“) und den üblichen Bühnen-Explosionen kein Überraschungsmoment mehr auf ihrer Seite hat – außer dem, als Lindemann nach dem letzten Song seine erste Ansage ans Publikum richtete. „Danke, war sehr schön bei Euch“, sagte er mit ruhiger Stimme fast so unschuldig, wie die Plüschjacke des Berserkers vorher aussah.
einen Überraschungsmoment haben Sigur Rós übrigens auch nicht. Aber einen erhabeneren Abschluss als den märchenhaften Postrock der Band aus Island kann ein Festivaltag um zwei Uhr nachts nicht kriegen. Ob in Scheeßel oder sonstwo auf der Welt.