Scott Walker

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Bish Bosch

4AD/Beggars/Indigo

Musikalische Zerreißproben mit dem Gestus eines schwer dechiffrierbaren Künstlers

Scott Walker wird mit dem Alter wieder schneller. Jeweils elf Jahre lagen zwischen Climate Of Hunter (1984), Tilt (1995) und The Drift (2006), jetzt erscheint der Nachfolger Bish Bosch bereits nach sechs Jahren. Seit der gebürtige Amerikaner sich Ende der Sechziger aus dem Teenie-Pop-Traum Walker Brothers in das Leben eines romantischen Songwolfs verabschiedet hatte, der den existenziellen Fragen des Daseins nachspürte, tickt seine Uhr jenseits des gewöhnlichen Pop-Betriebs. Die raren musikalischen Rufzeichen aus Walkers Elfenbeinturm gerieten zu „Kunstsensationen“, die der Wichtigsprechung durch die Feuilletons harrten – ein „göttliches

Genie“ (Untertitel einer Walker-Compilation) auf dem Weg zum enigmatischen Visionär, der sich von Songstrukturen entfernt hatte, um in einer radikalen Neuordnung von Klängen Katharsis zu finden. Das Cover von The Drift gab den Blick frei auf kaum mehr als ein schwarzes Loch, wer wollte, konnte da noch ein paar Spiralnebel entdecken. Bish Bosch steht nun fast formatfüllend in weißen Lettern auf schwarzem Grund, die Farbe zerläuft, scheinbar eilig hingepinselt. Das mag so gar nicht zum Werk des niederländischen Malers Hieronymus Bosch (1450-1516) passen, den Walker im Albumtitel zitiert – versehen mit dem Hinweis des britischen Journalisten Rob Young: Vielleicht sollten wir uns Walkers Musik wie einem Gemälde von Bosch nähern, ausgehend von der obsessiven Beschäftigung mit Details, die im besten Falle und einige Hördurchläufe später im Verständnis des großen Ganzen endet.

Scott Walker unterwirft sich auch 2012 keinem der gängigen Formate, die man der Ü-50-Generation im Pop zugesteht. Er setzt Soundblöcke und kurz aufblitzende Klangfeuer gegen Kunstlieder. Er verrätselt und schlägt Fußnoten auf, die seinen Texten so etwas wie Halt geben sollen im Gestrüpp aus Poesie und maschinellen Geräuschen von Zerstörung und Zerfetzung. Hab’ ich da einmal das Bellen eines Hundes in „Corps De Blah“ gehört? Zur Eröffnung („See You Don’t Bump His Head“) schickt der Künstler uns digitale Druckwellen ins Haus, die die Katastrophe annoncieren. Walker macht sich auf, seinem Schwanengesang die Federn zu rupfen. Zum erlösenden Ende („The Day The ‚Conducator‘ Died“) berichtet er, diesmal nur mit Gitarre und Keyboards, aus dem Innenleben des rumänischen Diktators Ceausescu. Mehrheitlich ist Walkers zum Kunstheulen gewordener Bariton ein weiteres Instrument, das sich über das Minenfeld der Töne schleppen muss, das aus frei detonierenden Beats, verzerrten Industrial-Music-Gitarren und orchestrierten Geräuschen gebaut ist, und immer wieder der Stille, die einem Schuss folgt. Wer mag, nennt das intensiv. Ich mag nicht. Die Zerreißproben, mit denen der 69-Jährige sein Publikum konfrontiert, entbehren auch nicht einer gewissen Eitelkeit, sie erzählen von einem schwer dechiffrierbaren Künstler, der sich so schwer tut in einer schwer dechiffrierbaren Welt. Das Publikum ist sein Gefangener, es darf Zeugnis ablegen vom Wahnsinn. Wie will man ein Album bewerten, dessen Überbau die Musik schon gefährlich weggefressen hat?

Key Tracks: „See You Don’t Bump His Head“, „The Day The ‚Conducator‘ Died“

Frank Sawatzki