Art Department :: The Drawing Board

Eat this, Amy Winehouse! Kenny Glasgow und Jonny White bringen den Soul zurück in die House Music.

Unter Auslassung der diversen Nebenschauplätze gilt: Die Entwicklungsgeschichte der tanzbaren elektronischen Musik war eine Geschichte der Reduktion. Vom Soul zu Funk zu Disco zu House/Electro und Techno hatte jede Entwicklungsstufe mit dem Weglassen von Soundelementen zu tun. Bis dann beim (noch) aktuellen Minimal Techno/House nicht mehr viel als der Beat übrig geblieben ist. Jeder Schritt war auch mit einem Verlust von Seele verbunden. So reizvoll manche Resultate dieser Beschränkung aufs vermeintlich Wesentliche auch gewesen sein mochten, war klar, dass irgendwann die Grenzen des Negativwachstums erreicht sein würden, wenn man nicht unbedingt die absolute Stille am Ende der Kausalkette akzeptieren wollte.

Seit mehr als einem Jahrzehnt wird in einem Paralleluniversum der elektronischen Musik Disco, als direkter Vorfahre von House, in all seinen Variationsmöglichkeiten bis in die letzten Winkel ausgelotet. Dass aber der archaische Soul, der Ausgangspunkt der Entwicklung von Techno/House, als Einflussgeber für aktuelle elektronische Musik bisher keine große Rolle gespielt hat, muss man nicht unbedingt verstehen können. Stattdessen wurde Soul in der musikalischen Evolution über die Jahrzehnte zum „contemporary R’n’B“ und die Oldschool-Variante kampflos dem Mainstream überlassen, der sich in der puren Rekonstruktion eines Retro-Sounds gefallen hat. Das immer wieder groß heraufbeschworene, aber gar nicht so groß gewordene Soul-Revival mit Amy Winehouse, Aloe Blacc, Cee-Lo Green et al. war ja auch nur um die Wiederherstellung eines Wohlgefühls bemüht, der Versuch, ein Stückchen Vertrautheit zurückzubringen. Rekonstruktionen, die nur um sich selbst kreisen, aber waren noch nie Ausgangspunkt für entscheidende Entwicklungen im Pop. Ernsthafte Bemühungen, den Soul in die elektronische Musik zurückzubringen, waren selten. Nach der Singularität von Thomas Brinkmanns nie oft genug zu erwähnender Soul Center-Serie ab den späten Neunzigern ist es aber gerade in den vergangenen Spielzeiten vermehrt zu Soul-Indikationen und -Dekonstruktionen gekommen: Fritz Kalkbrenner, James Blake und – demnächst in diesem Theater – Jamie Woon.

Hier kommt Art Department ins Spiel, ein neues Duo aus Toronto, Kanada, mit gar nicht mal so neuen Mitgliedern. Kenny Glasgow, einer der Väter der House Music, und Jonny White, Besitzer des No. 19-Labels, bringen den Soul zurück ins Spiel und setzen damit die fortschrittliche elektronische Musik zurück auf null. Mit ihrem Track „Without You“ hatten Art Department im Sommer 2010 die Tanzböden zum Federn gebracht. Ein Smasher mit funky Bassline, Glasgows charakteristisch wehmütigen Vocals und verziert mit deepen Synth-Ornamenten ist nicht unbedingt der Guide-Track für dieses Debütalbum. Da ist mehr, sehr viel mehr. Art Department lassen Chicago House, Soul und Oldschool R’n’B in allen Farben leuchten. In ihren Tracks, die man gerne auch Songs nennen darf, spielt neben dem in alle Richtungen aufbrechenden Synth-Sound vor allem die Melodie eine große Rolle. Dass die Instrumentaltracks, die unter den soulful Vocals dahinwabern, am Experiment und an düsteren Stimmungen interessiert sind, dass diese Musik nicht die Ohren verschließt vor den Entwicklungen der vergangenen Jahre, sondern sie organisch integriert in diese bunten Soundentwürfe, ist das Hauptmerkmal, das Art Department von den Revivalisten unterscheidet. „We Call Love“, featuring Soul Clap & Osunlade, wirkt wie der Abschied vom Deep House, wie wir ihn kannten. Diesem Schwanengesang geben Art Department noch eine kräftige Soulinfusion mit auf den Weg. „In The Mood“ ist die zeitgemäße Variation von everybody’s favorite R’n’B-Song, inklusive ungeraden Rhythmen und flächigen Synth-Sounds. In „Robert’s Cry“, einem Novelty-Instrumental, spielen Glasgow und White mit den Sounds aus der Neo-Disco, die in den vergangenen zehn Jahren in Fleisch und Blut übergegangen sind und konterkarieren sie mit Spookyness aus der Geisterbahn.

The Drawing Board könnte für die Zehnerjahre das bedeuten, was das Debütalbum von Metro Area 2002 für die Nullerjahre gewesen ist. Das Schlüsselalbum für ein Jahrzehnt, das mit einem Blick über die Schulter den Sound der Dekade definiert.