Benjamin Clementine

At Least For Now

Caroline/Universal 17.04.2015

Brit-Chansons eines hochbegabten Geschichtenerzählers.

Es gibt im ersten Stück dieses Albums nach knapp drei Minuten einen tollen Moment, in dem Benjamin Clementine plötzlich wie Udo Jürgens klingt. Man hört sich diese Passage von „Winston Churchill’s Boy“ immer wieder an: Wie der junge Brite da die Harmonie ins Dramatische kippen lässt, viele Wörter in den Vers packt, dazu Klavier spielt und die Streicher durch die offene Tür bittet – doch, doch, das ist Udo Jürgens.

Die Sache ist zu erklären, denn auch Benjamin Clementine ist tief in der Chanson-Kultur Frankreichs verwurzelt. In wenigen Minuten ein ganzes Leben auf den Punkt zu bringen, das ist die große Aufgabe der Chansonniers. Und das gelingt auch diesem Schlaks, der auf dem Cover ausschaut wie ein bislang unbekannter Sohn der göttlichen Nina Simone – und häufig auch so singt. In „Winston Churchill’s Boy“ geht es um Randolph Churchill, den einzigen Sohn des großen Staatsmannes, einen Dandy, Trinker, Reporter – und tatsächlich später auch Abgeordneten. Den Schatten des Papas wurde er dennoch nie los, und so ist der Song auch eine Fabel, die von allen Söhnen mit starken Vätern handelt: „Don’t you ever judge Winston boy“.

„London“ ist eine autobiografische Erzählung: Clementine verließ die britische Hauptstadt, um sein Glück in Paris zu suchen. Dort spielte er Gitarre in der Metro – und hörte die Sirenen, die zum Abbruch des Abenteuers riefen: „London is all in you, why are you denying the truth.“ Waren die ersten beiden EPs, mit denen sich der Künstler in die Hoffnungslisten für 2015 spielte, meditative und lichtscheue Platten, lässt er auf dem Album mehr Licht an seine Kompositionen. Mehr Pop, weniger Neo-Klassik. Das macht AT LEAST FOR NOW noch immer nicht zu einer einfachen Platte. Aber zu einer sehr guten.