CocoRosie

Tales Of A GrassWidow

City Slang/Universal 24.5.

Die Prinzessinnen des Weird-Folk sorgen für große Überraschungen.

Bianca Casady und ihre Schwester Sierra haben sich ein kleines Musikparadies erschaffen. Inklusive Elfenbeintürmen und einem riesigen Spielplatz mit vielen komischen Instrumenten. Wer will schon erwachsen werden in einer Peter-Pan-Welt, in der Lieder so wunderbar bizarr, schief und krumm klingen und dann auch noch erfolgreich sind? Wer mag es den beiden Scheidungskindern verdenken, die nie die Erfahrung machen konnten, ein Heim aufzubauen oder wie Sierra (Rosie) mal sagte: „Wir tragen es wie Schnecken auf dem Rücken.“ Nun sind CocoRosie bei ihrem fünften Album angekommen. Wie schon bei den Vorgängern machen sie  ein paar Wege frei, die heraus aus ihrem Kokon führen. Allerdings schlagen sie gerade im ersten Drittel von TALES OF A GRASSWIDOW eine ungewohnt breite Schneise, denn nicht nur das Eröffnungsstück „After The Afterlife“ überrascht trotz aller spleenigen Sounds mit Rhythmik und Pop-Appeal. Auch das fast eskapadenfreie, von Elektrobeats angetriebene „Tears For Animals“ zeigt, wie weit CocoRosie mittlerweile in der Lage sind, sich von ihrem schrulligen Gemisch aus Trip- und HipHop, Freakfolk, Dream Pop, Indie, Kammermusik, Plunderphonics und Oper zu distanzieren. Auf dem Song ist der langjährige Freund der beiden, der mittlerweile inflationär als Gaststar eingesetzte Antony Hegarty zu hören. So prägend und manieriert seine Stimme auch klingen kann, hier ist sie zum Glück nur eine Facette. Auf „Child Bride“ setzen die Schwestern den Kurs trotz der verschwurbelten Nebengeräusche Richtung Pop fort. Man wartet regelrecht darauf, wann CocoRosie sich – erschrocken von ihrem eigenen couragierten Auftreten – wieder in ihr Schneckenhaus zurückziehen, um sich zu besinnen. Aber das passiert nicht, selbst das von einem Piano dominierte „Harmless Monster“ kommt genauso wenig ohne digitale Beats aus wie das entrückte „Gravediggress“. Bislang tasteten sich CocoRosie von Album zu Album vor, entwickelten sich behutsam. TALES OF A GRASSWIDOW beschleunigt diesen Prozess. Erstmals sind die Casady-Schwes­tern nicht auf dem Außencover zu sehen, weit und breit keine angemalten oder angeklebten Bärte, sogar die wiehernden Pferde wurden eingepfercht. Und im Hidden Track („Devil’s Island“) machen CocoRosie Gabba der speziellen Art.