Der Gesang der Sehnsucht :: Von Thomas Mießgang

KIEPENHEUER & WITSCH. 222 SEITEN. 18,90 DM

Seit über zwei Jahren vollbringen die geriatrischen Topstars aus Kuba als „Buena Vista Social Club“ wahre Verkaufswunder. Da wundert es nicht, dass inzwischen sogar Jack White kubanische Verlagskataloge kauft und sich findige Produzenten alle über 90-Jährigen aus kubanischen Altersheimen holen, um ihnen eine Gitarre in die Hand und ein Mikro vor die faltigen Münder zu drücken. Dass dazu die Kubawelle in Form von Reisen, Zigarren, Tanzclubs und nicht zuletzt Büchern fast unkontrolliert durch Europa rollt, war abzusehen. Nun also ein weiteres Buch zum Boom, geschrieben vom selbsternannten Kuba-Kenner und Journalisten Thomas Mießgang. Der Mann verlangt dem Leser auf dem Weg zur Erkenntnis einiges ab. Edel sind zwar seine Motive, denn

Mießgang möchte „keine Wunschprojektionen zerstören, sondern uns die Wirklichkeit hinter Klischeebildern zeigen und hinter die Benutzeroberfläche des Landes (Kuba) vordringen.“ Aber wie er das tut, das tut weh. Um über die ersten 58 Seiten zu kommen, sollte man sich einen Liter kubanischen Rum zurechtstellen. Zunächst wird ewig auf der fast unbekannten Omara Portuondo herumgeritten, jener „Diva des Deliriums und der verzweifelten Sehnsuchtstöne“. Mießgang beschreibt uns bis ins kleinste Detail die Studiotemperatur, jede Taxifahrt, wobei er natürlich nicht fährt, sondern gleitet und das vorbei an „leeren Fensterhüllen, die zu Masken des Elends und der Verzweiflung“ werden. Nicht zu verachten: seine unfreiwillig komische Beschreibung eines Toilettengangs, wobei eine Toilette nicht einfach ein Klo ist, sondern eine „Schamzone der intimen Körperentleerung“. Jedes Becken und sämtliche Gerüche werden im Detail beschrieben. Weil jedoch so viel Vorinformation zu den späteren Ausführungen geliefert werden, kann man sich den langen, öden Einstieg nicht einfach sparen. Leider. Die zweite Hälfte de Buches ist, vom blumigen Stil abgesehen, dann doch ganz erträglich und interessant, bietet Anregungen zum Weiterforschen, und am Schluss des Buches finden sich ein interessantes Glossar, die hundert besten kubanischen Platten und ein ziemlich ergiebiges Namensregister. Wenn man also eine gute Flasche Rum und einen Kumpel zum Vorlesen der verdreht-deutschen Stellen hat: lesen, lachen und staunen. Wenn man ein gutes Fachbuch sucht: Der interessante Teil beginnt auf Seite 183.