Future, again!

Nach 28 Jahren erweckt Disney die Videospielwelt von Tron wieder zum Leben. Die Fortsetzung setzt erneut Standards für den Science-Fiction-, aber auch für den dreidimensionalen Film: Nichts bisher sah aus wie "Tron Legacy".

Nach 28 Jahren erweckt Disney die Videospielwelt von Tron wieder zum Leben. Die Fortsetzung setzt erneut Standards für den Science-Fiction-, aber auch für den dreidimensionalen Film: Nichts bisher sah aus wie „Tron Legacy“. Mit Daft Punk übernahmen zudem die erklärten futuristischen Heroen des Elektro-Pop den Soundtrack – ein gewagtes Experiment. Deshalb beschäftigt sich unsere Titelgeschichte auch mit dem Verhältnis Popmusik – Science-Fiction. Im Interview kommt schließlich der Autor William Gibson zu Wort, der Erfinder des „Cyperpunk“.

1982. Attentat auf den Papst. Falklandkrieg. Libanon. „Ein bisschen Frieden“. Thriller. Computerwelt von Kraftwerk ist ein Jahr alt. Am 11. Juli des Jahres bringt Disney „Tron“ in die amerikanischen Kinos. Es ist die bislang ambitionierteste Produktion des Studios diesseits von „Fantasia“, dem dritten abendfüllenden Disney-Zeichentrickfilm, der ist allerdings von 1940. „Tron“ kostet für damalige Verhältnisse stattliche 17 Millionen Dollar. Es ist ein revolutionärer Film. Erstmals sind längere computergenerierte Passagen zu sehen, in die die Schauspieler auf neuartige Weise hineinkopiert werden. Weil die Arbeitskapazität der Computer damals nicht ausreicht, entstehen viele ursprünglich als CGI (mittels 3-D-Computergrafik erzeugte) geplante Bilder handgezeichnet. Der Film greift die Ästhetik gängiger Videospiele der Zeit auf, stellt das grobpixelige Treiben auf den Bildschirmen jedoch tief in den Schatten. Kein Film davor hat auch nur im Entferntesten so ausgesehen.

Die Hoffnungen sind groß. Sie werden sich nicht erfüllen. Zwar ist „Tron“ mit einem Einspielergebnis von 26,9 Millionen Dollar längst nicht so ein Debakel wie „Blade Runner“, der andere große Science-Fiction-Film des Kinosommers 1982, der unter die Räder von Steven Spielbergs unaufhaltsamem „E.T. – Der Außerirdische“ gerät und gerade einmal lächerliche 1,4 Millionen Dollar umsetzt. Aber das Ergebnis ist angesichts der Erwartungen weder Fisch noch Fleisch. Dass Hollywood tatsächlich Visionäres und Bleibendes geschaffen hat mit „Tron“ und „Blade Runner“, offenbart sich erst im Nachhinein, als der alles überstrahlende Ruhm von „E.T.“, der bis 1997 erfolgreichste Film aller Zeiten, zu verblassen beginnt.

„Blade Runner“ wird bald schon als verkanntes Meisterwerk aus der Mottenkiste befreit und in den Kanon der Filmgeschichte aufgenommen: Seine zeitlose, düstere Sicht auf die Gesellschaft und das Wesen des Menschseins treffen dauerhaft einen Nerv. „Tron“ jedoch gerät in Vergessenheit. In der kollektiven Erinnerung ist er ein ungelenker, von Zeit, Technologie und Mode überholter Versuch eines modernen Films.

26 Jahre nach dem Scheitern von „Tron“ ist Joseph Kosinski bereit, eine Bombe platzen zu lassen. Kosinski, ein unauffälliger, hagerer Kerl mit einer Habichtnase und einem dünnen Hals, an dem jedes Hemd zu schlabbern scheint, ist zu diesem Zeitpunkt 34 Jahre alt. Er hat noch keinen Film gedreht, aber wegen seiner technologisch und visuell unheimlich fortschrittlichen Werbespots für Games wie „Halo 3“ und „Gears Of War“ haben mehrere Studios Interesse bekundet, ihn unter Vertrag zu nehmen. Es ist der 24. Juli 2008, als er in San Diego ankommt, der erste Tag der 38. Comic-Con, eine seit 1970 jährlich stattfindende Großveranstaltung für Comic- und später auch Gamesfans, die Kathedrale der Nerd-Kultur, die zum sommerlichen Gottesdienst ruft.

Erst vor ein paar Jahren hat Hollywood die Veranstaltung für sich entdeckt, als Marketingplattform für kommende Comic- und Gamesverfilmungen oder Effektspektakel, die für die Klientel der Comic-Con interessant sein könnten. Disney hat ein Panel zu seinem Family-Entertainment-Film „Die Jagd zum magischen Berg“ angekündigt – nicht unbedingt einer der Bringer auf der Comic-Con. Die Bude ist trotzdem gerammelt voll. Es hat sich wie ein Lauffeuer verbreitet, dass es eine Überraschung geben soll, sozusagen ein Bonbon nach dem Ende des Abspanns. Man hat sich nicht zu viel versprochen.

Joseph Kosinski hat eine zweieinhalbminütige Testaufnahme dabei, eine Anmutung, wie ein neuer „Tron“-Film im auslaufenden ersten Jahrzehnt des neuen Jahrtausends mit dem fortgeschrittenen Potenzial der Computeranimation aussehen könnte. Nicht von ungefähr trägt sie den sexy Titel „VFX Concept Test“. Angeblich hatte Disney zu diesem Zeitpunkt bereits knapp zehn Jahre darüber nachgedacht, ob und wie es mit „Tron“ weitergehen könnte. Bislang hatte allerdings die nötige Vision gefehlt. Immerhin waren die von Kosinski geäußerten Vorstellungen aufregend genug, ihm das Geld für Testaufnahmen zu geben. Vor der Comic-Con ist „Tr2n“, wie er damals noch hieß, Theorie. Als das Licht in San Diego nach einer zweiminütigen Verfolgungsjagd auf den Lightcycles genannten Motorrädern wieder angeht und tosender Applaus aufbrandet, ist er eine Realität. „Tron Legacy“ ist geboren.

Die Parallelen zwischen den beiden „Tron“-Filmen sind verblüffend. Beide begannen ihr Leben mit Testaufnahmen, von denen niemand wusste, wie das Ergebnis aussehen würde. Beide wurden von Regisseuren gedreht, die keinen Filmindustrie-Ballast mitbrachten (wobei „Tron“-Regisseur Steven Lisberger 1979 mit der Zeichentrickkomödie „Die Dschungel-Olympiade“ zumindest schon einen Film produziert hatte). Beide Filme entstanden zu Zeitpunkten, an denen das Kino vor grundlegenden technologischen Neuerungen stand: Vor 28 Jahren begann Computertechnologie eine zunehmend dominante Rolle zu spielen, heute geht es um die Etablierung von 3-D als Kino-Standard.

Auch wenn der Film damals keinen Erfolg hatte, kann sich „Tron“ doch immerhin rühmen, so etwas wie der Velvet Underground des Science-Fiction-Films zu sein. Die Band von Lou Reed und John Cale verkaufte zu Zeiten ihres Bestehens auch kaum Platten – doch jeder, der eine erstanden hatte, so will es die Legende, habe daraufhin eine Band gegründet. „Tron“ bewegte den künftigen Pixar-Chef John Lasseter dazu, den traditionellen Zeichentrick hinter sich zu lassen und sich mit Computern zu beschäftigen. Der legendäre Disney-Hauszeichner Glen Keane berichtet, entscheidend von der Pionierarbeit von „Tron“ inspiriert gewesen zu sein. Und Tim Burton gehörte sogar zu den Animatoren, die an dem Film gearbeitet hatten. Insofern war Lisbergers eigenartiger Film schon lange ein wichtiger Meilenstein, bevor die Popkultur ihr Achtzigerjahre-Revival und damit die kuriosen Designs dieser Zeit feierte und so schließlich „Tron“ als wegweisendes Manifest für sich reklamierte.

Der Flop als Kult: Die rückwirkende Rehabilitation eines längst als Fehlgriffs abgelegten Films durch die Kräfte des Pop war sicherlich ein wesentliches Argument dafür, dass man bei Disney ein Potenzial für eine Fortsetzung (oder einen Reboot oder einen Reload oder eine Reinterpretation etc.) von „Tron“ sah. Begünstigt von einem Klima, in dem sich Studios an große, aufwändige (sprich: teure) Filme nur dann noch wagen, wenn sie sich als Marke verkaufen lassen und jenes Brand entsprechend eine ikonische Strahlkraft über die Kinoleinwand hinaus besitzt, begann die Konzeption der ursprünglichen Idee in Form einer Wiedergeburt, einer Neuerfindung. Der eigentliche Film ist in diesem Konstrukt nur ein Puzzleteil, wenn auch ein entscheidendes. Entscheidend, weil der Film und seine Kinoauswertung Motor ist, um all die anderen Märkte, die sich mit der Marke „Tron“ bedienen lassen, flächendeckend zu bedienen: Musik, Game, Mode, Merchandising, Themenparks, Websites werden erschöpfend befüttert. Zwischen Original und Fortsetzung liegen 28 Jahre, die Mechanismen der Unterhaltungsbranche haben sich in dieser Zeit so grundlegend geändert, dass auch Jahrhunderte dazwischen liegen könnten. Und dass das Budget etwa zehnmal so hoch gewesen sein dürfte, verdient zumindest eine Anmerkung.

Sicher, „Tron Legacy“ steht in der Tradition des ersten Films. Er greift die Prämisse des Originals auf und spielt im selben Universum. Die Handlung setzt 28 Jahre nach der ursprünglichen Handlung ein. Und mit Jeff Bridges konnte auch der damalige Hauptdarsteller erneut zur Mitwirkung überredet werden, auch wenn sein Kevin Flynn eine Figur ist, die sich gewandelt hat. Wenn man will, kann man die Verpflichtung von Daft Punk für den Soundtrack – ein Geniestreich, keine Frage – auch als logische Entsprechung des Einsatzes von Wendy Carlos als Komponistin des ersten Films ansehen und natürlich unbedingt Parallelen entdecken, dass beide Produktionen die Möglichkeiten des filmisch Machbaren ausgereizt haben. Doch nüchtern betrachtet, ist „Tron Legacy“ auf gerade lehrbuchartige Weise ein Film aus einer anderen Galaxie, voll wissender Verweise auf „2001“, „Clockwork Orange“, Bowies Aladdin Sane (siehe das von Michael Sheen mit einem Maximum an Theatralik gespielte Programm Castor, das auf irre exaltierte Weise im Spannungsfeld zwischen Chaplin, Mae West, Alex DeLarge und eben Bowie oszilliert), Kraftwerk und, kurioserweise, ausgerechnet „Blade Runner“, subsummiert in einer Kleinster-gemeinsamer-Nenner-Handlung, die angesichts der Komplexität der technischen Durchführung fast realsatirisch simpel ist.

Aber sie spielt in diesem in Designhinsicht so herausragenden Film auch nur eine untergeordnete Rolle, dient als verbindender Lichtstrahl zwischen den einzelnen Setpieces, die jedes für sich außerhalb jeder Kritik stehen. Es ist erstaunlich, wie frei Kosinski seine kreativen Entscheidungen treffen durfte – und wie verblüffend anders das Resultat aussieht, das alle kreativen filmischen Konventionen ständig unterläuft. (Während die Story sie unentwegt bestätigt.)

Das Vertrauen des Studios war enorm. Einen so enorm kostspieligen Film von einem Debütanten realisieren zu lassen und ihm dann auch noch zu gestatten, eine Reihe der kreativen Schlüsselrollen hinter der Kamera ebenfalls mit weitgehend filmfremden Kräften zu besetzen: Daft Punk hatten noch nie an einem Spielfilm gearbeitet. Claudio Miranda hat zwar einen Namen als genialischer Ausleuchter, aber konnte als ernstzunehmenden Credit als Kameramann lediglich „Der seltsame Fall des Benjamin Button“ vorweisen. Als Vehikeldesigner wurde der Berliner Daniel Simon an Bord geholt, der davor für Bugatti Karosserien entworfen hatte.

Das Brechen von Regeln wurde zur Regel gemacht. Die Innovationen von „Tron Legacy“ sind beachtlich. Es ist der erste Film mit selbstleuchtenden Kostümen, der erste in Emotion Capture gedrehte Film, was es den Machern erlaubte, einen digital erstellten Kopf mit dem Körper eines Schauspielers zu erstellen, der erste digital mit 35-mm-Objektiven gedrehte Film und der erste Film, in dem ein Schauspieler gleichzeitig als er selbst und als eine jüngere Version von sich zu sehen ist. Was einem egal sein könnte, wenn das Resultat nicht so beeindruckend wäre: Beschränkte sich das Original noch darauf, farbige Streifen über die Leinwand zu jagen, um den Eindruck zu vermitteln, man sähe gefährlichen Wettrennen zu (und ansonsten seine Schauspieler in Tableaus zu arrangieren, die auch in „Barbarella“ oder „Flash Gordon“ nicht fehl am Platz gewesen wären), ist die Welt von „Tron Legacy“ so plastisch und greifbar, wie es aktuell eben vorstellbar ist. Oder man sich in kühnen Gedanken vorstellen könnte, dass es vorstellbar ist. Selbst 3-D-Zweifler (der Autor eingeschlossen) werden zugeben müssen, dass der Film die Technologie wirklich optimal ausnutzt – wofür sich die abgebildete Welt auch anbietet.

„Tron Legacy“ ist ein kleiner Schritt für die Menschheit, aber ein wichtiger Film für Disney. Das liegt an den gewaltigen Investitionen und bisweilen bizarr anmutenden Bemühungen, die Welt von „Tron“ in den vergangenen zwei Jahren auch als Lifestyle-Phänomen zu etablieren, das Auswirkungen auf die Design- und Modewelt und den Planeten Pop hat: Wenn dieses Ding nicht einschlägt, wird das Studio sicherlich größere Probleme haben als damals, als der erste Film mit Mühen in die schwarzen Zahlen stolperte. Hier werden die Weichen gestellt für künftige künstlerisch aus dem Rahmen der 3-D-Leinwand fallende Projekte, zumal „Tron Legacy“ zu einer geschäftlich prekären Zeit für das Studio kommt: Vor einem Jahr wurde die Managementriege ausgetauscht. Zwar wurde der Film noch unter dem alten Chef Richard Cook auf den Weg gebracht, aber Erfolg oder Misserfolg werden dem neuen CEO, Rich Ross angerechnet werden, der vom „Disney Channel“ (und Erfolgsfranchises wie „High School Musical“) in die erste Liga befördert wurde.

„Tron Legacy“ ist ein wichtiger Film für die Zukunft von 3-D: Mehr als bei allen Produktionen seit „Avatar“ spielt die Dreidimensionalität eine entscheidende Rolle beim Gesamtkonzept. Nach einem weitgehend in 2-D gehaltenen ersten Akt in der realen Welt öffnet sich der Film buchstäblich in die dritte Dimension, wenn der jugendliche Held auf der Suche nach seinem Vater in die Computerwelt von The Grid gesogen wird. Das hat etwas von „Wizard of Oz“ oder „Alice im Wunderland“, was den Verantwortlichen Hoffnung machen dürfte: Wenn „Tron Legacy“ genauso vom Publikum rezipiert wird, wird man auf die nächste Fortsetzung nicht wieder 28 Jahre warten müssen. Garantiert.

„Tron“ (1982)

******x{2002}(Visionäre Kraft des Films)

****x{2002}Wertung im Zeitkontext)

**1/2*x{2002}Wertung aus heutiger Sicht)

Nichts altert schneller in Hollywood als Filme, die es sich erlauben, einen visionären Blick in die Zukunft zu werfen. Was heute noch aufregend, gewagt und neu ist, cutting-edge eben, ist morgen meist schon von der Realität überholt. Und ein paar Jahre später schmeckt das Bahnbrechende von einst wie Kaffee, der damals aufgesetzt wurde und seither vor sich hin köchelt. Visionäre Filme erzählen von einer Vorstellung einer möglichen Zukunft und sind im Rückblick jedoch vor allem der Zeit verhaftet, in der sie entstanden sind. So gesehen ist „Tron“, 1982 von Steven Lisberger als eine Art Warnung vor der Computerwelt beabsichtigt, nicht gut gealtert, um es mal diplomatisch auszudrücken. Wenn man den Film heute betrachtet, in einer Zeit, in der das Kino am Computer jede nur vorstellbare Welt absolut fotorealistisch simulieren kann, sieht er einigermaßen lächerlich aus, steif, naiv. Es fällt schwer, sich vorzustellen, wie „Tron“ auf sein Publikum damals gewirkt haben muss: Kritikerpapst Roger Ebert („Chicago Sun-Times“) jubelte: „Was für eine Welt!“ Man selbst kann nur mit den Schultern zucken.

„Tron legacy“ (2010)

******x{2002}(Visionäre Kraft des Films), ****x{2002}(Wertung)

Lassen wir einfach gelten, dass „Tron“ ein Durchbruch für das 1982 noch in den Kinderschuhen steckende Genre des Spezialeffektspetakels war, dann ist das die Messlatte, die man für die Fortsetzung „Tron Legacy“ anlegen muss. Das Regiedebüt von Joe Kosinski überspringt sie, mit auf dem Rücken gebundenen Händen: Die Produktionsleistung ist überwältigend, die Bilder von einer Transparenz und Klarheit und Textur und Dichte wie nichts, was man jemals gesehen hat. Besser als dieses scheinbar greifbar reale Computeruniversum ist bestenfalls das Soundkostüm – diesseits von „The Social Network“ noch nie etwas so Beeindruckendes gehört. Doch leider brauchen auch Filme wie „Tron Legacy“ eine Handlung. Die ist so dünn wie Bilder und Sound fett sind. Sohn sucht nach dem Vater, den er niemals hatte – hach, aller Düsternis und Grimmigkeit zum Trotz ist es doch eine Disney-Produktion. Garrett Hedlund ist ein passabler Held, aber er wirkt dennoch die längste Zeit wie der Stand-in von James Franco, der derzeit gespürt in jedem Film mitspielt, nur hier nicht auftauchen will. Was hat man nur falsch gemacht? Ihn an der Seite von Jeff Bridges als Videogame-Guru Flynn zu sehen, der vor zwei Jahrzehnten von seiner eigenen Kreation geschluckt wurde und seither außerhalb der Computerstadt The Grid in einer Felsenhöhle in seinem weißen Eames-Chair meditiert, als versuchte der Dude aus „Big Lebowski“ den Spirit der Jedi-Ritter zu kanalisieren. Kämpfen ist doof und führt nur zu noch mehr Kämpfen, so die Botschaft. Die hätte dem Anthropologen und Schriftsteller Carlos Castaneda gefallen, führt aber in einer Hollywood-Großproduktion zu einem fehlenden dritten Akt. Weswegen auch „Yoda“ Bridges wieder zu den Waffen greift und seinem Gegenspieler – seinem – Achtung, SPOILER! – jüngeren Selbst – zeigt, wo man einem den Pazifismus hinschieben kann. Ja mei. Hirn ausschalten. 3-D-Brille aufsetzen. Und dann bloß nicht überlegen, wie albern und überholt all das in 30 Jahren aussehen mag.

Future, again!

„Wir trugen weiße Strumpfhosen“

Der Regisseur machte von seiner Rückkehr sein Mitwirken abhängig: Der 61-jährige Oscar-Preisträger Jeff Bridges erzählt davon, ein zweites Mal in die Videospielwelt von „Tron“ einzutauchen.

Wie nahe steht Ihnen die Welt von „Tron“?

Jeff Bridges: Wenn ich ehrlich sein darf: Ich habe diese Welt damals nicht verstanden und ich verstehe sie heute nicht. Aber das macht ja auch ihre Faszination aus. Dinge wie das Internet waren damals noch wenigstens zehn Jahre entfernt, die wenigsten Leute besaßen überhaupt einen Computer. In einem Film wie „Tron“ hatte ich noch nie mitgewirkt. Ich war neugierig und wollte Teil von dieser Unternehmung sein, die mit einer ganz neuen Technologie arbeitet. Das war der Grund, warum ich jetzt wieder zugesagt habe. Einen Film ohne Kameras drehen? Aufregend.

Erinnern Sie sich, was Sie 1981 dachten, als Sie „Tron“ gedreht haben?

Ich erinnere mich an Sets aus Plastiksamt, auf die man Klebeband gepappt hatte. Das war’s. Wir trugen weiße Strumpfhosen mit Tanzgürteln. Es war unmöglich, sich damit ordentlich hinzusetzen. Wenn man nach einem Drehtag in dieser Schwarzweißwelt in die Realität zurückkehrte, wurde man von all diesen Farben förmlich überwältigt.

Sie gelten als sehr wählerisch, was Ihre Rollen anbetrifft. Von Joseph Kosinski, dem Regisseur von „Tron Legacy“, weiß man, dass er den Film nicht hätte machen wollen, wenn Sie nicht mit dabei gewesen wären.

Die Aussicht, bei etwas mitmachen zu dürfen, das völlig neue Wege beschreitet, war sehr verlockend. Aber mir lag auch die Geschichte am Herzen. Wenn es nur um die Technologie gegangen wäre, hätte ich abgewinkt. Aber die Idee, einen Mythos über moderne Technologie zu erschaffen, war stark. Alles entwickelt sich so schnell, und unsere Ethik hinkt immer zwei oder drei Schritte hinterher. Das kann schnell in eine ganz falsche Richtung laufen, wenn wir nicht aufpassen.

Was haben Sie empfunden, als Sie sich erstmals auf der Leinwand als eine jüngere Version von sich selbst sahen?

Es fühlt sich … merkwürdig an. Wissen Sie noch, wie es war, als Sie zum ersten Mal ihre Stimme auf einem Kassettenrekorder gehört haben? So war es, besser kann ich es nicht beschreiben. Natürlich bin ich es gewohnt, mich in meinen alten Filmen als jungen Mann zu sehen. Aber hier ist es ja so, dass das gar nicht wirklich ich bin. Es ist eine künstliche Version von mir.

Was bedeutet Ihnen der Oscar, den Sie für Ihre Darstellung des Countrysängers Bad Blake („Crazy Heart“, 2009) gewonnen haben?

Ich war davor schon ein paar Mal nominiert gewesen. Das fühlt sich immer gut an, weil es so ist, als würden einem alle Kollegen auf einmal auf die Schulter klopfen und sagen: „Gut gemacht.“ Dann doch noch gewonnen zu haben, sehe ich als Ermutigung, jetzt nicht aufzuhören, sondern weiterzumachen. Ich liefere gerade gute Arbeit ab.

Mit dem Lightcycle von A nach B

Ein Film über einen Programmierer, der sich in einer Computerwelt verliert. Perfekte Vorlage für ein Videospiel. Oder?

Sich in Ausführlichkeit und vor allem mit blühender Fantasie vorzustellen, was in einem Computer so abläuft, setzt voraus, dass man Technik liebt. Und ihr ein gewisses Maß an Eigenleben, an Lebendigkeit unterstellt. „Tron“ ist äußerst lebendig, als Film, obwohl gefangen in einem gnadenlosen technokratischen Geisteskonstrukt, einer Welt, die aus Bahnen, strengen, widerphysikalischen Wegen besteht. Doch in dieser Welt werden die Programme menschlich und das (Video-)Spiel zwischen Gut und Böse eines um (tatsächliches) Leben und (tatsächlichen) Tod. Computer waren vor 30 Jahren noch schrankgroße Maschinen, die geheimnisvolle Dinge taten. Deshalb wurden Welten wie die von „Tron“ erdacht, damit wir besser verstehen, was in diesen Maschinen geschieht.

Das Computerzeitalter ist heute Realität. Diese Welt wird auch im Videospiel „Tron Evolution“ zum zentralen Thema. Das Spiel krankt allerdings am selben Problem wie die vorherigen elf(!) „Tron“-Spiele. Es gibt uns Welt und Pfad vor und ignoriert die Grundidee des Films vom Menschen im Computer, und zu welchen unvorhersehbaren Dingen dieses Zusammentreffen führt. Das ist schade, technisch wäre es wohl möglich gewesen, ein Spiel zu produzieren, das uns vorgaukelt, in einer unendlichen, pulsierenden Digitalwelt unterwegs zu sein.

Doch so ist „Tron Evolution“ doch nur wieder ein beliebiges Videospiel zu einem Film geworden. Es scheint, als hätten die Entwickler den „Prince Of Persia“ entführt, in ihre Kulissen gesetzt und alles mit einer schwammigen Steuerung ausgestattet. Und so langweilt man sich schließlich bald durch eine neonbunte, vorgescriptete Welt. Da helfen selbst die speziellsten Specialmoves, die heiß erwarteten Rennen mit den Lightcycles und alles Discswerfen nichts. Vielleicht erwartet man aber auch zu viel von einem Spiel, das uns dorthin führen möchte, wo das Gaming seinen Ursprung hat.

Thor van Lingen

Gefangen im Raster

Warum läuft in Science-Fiction-Filmen eigentlich fast nie Zukunftsmusik? Auch Daft Punk ändern mit ihrem Soundtrack zu „Tron Legacy“ die Konventionen des klassisch orchestrierten Hollywood-Score kaum.

Text von Dirk Peitz

Die Stimme tönt dunkel aus dem Off: „The grid, a digital frontier“. Streicher-Stakkati schwellen an, der Beat hallt, als sei er einem gemäßigten menschlichen Schreiten durch einen endlosen Gang nachempfunden, gleichwohl einem bestimmten Ziel entgegen: „I tried to picture clusters of information as they moved through the computer. What did they look like? Ships, motorcycles, with circuits like freeways …“ Kurze Pause. „I kept dreaming of a world I thought I’d never see. And then …“ Längere Pause. „One day …“ Dramatisch lange Pause. „I got in.“ Und los geht die mächtige synthetische Fanfare.

Was für ein feuchter Geek-Traum: Ein Programmierer digitalisiert sich selbst und steigt, gleichsam als humanoide App, in die virtuelle Realität eines Computers, in den Grid, das Raster, das so aussieht wie ein Videospiel und exakt so funktioniert, als Kette von Ausscheidungskämpfen, hier nun aber zwischen Softwares, die menschliche Gestalten angenommen haben, mal gute, mal böse. Erschaffen hat dieses digitale Jenseits: der Programmierer. Der Mensch als Gott und Teufel zugleich, gefangen in seiner selbst gemachten Cyberwelt, das war 1982 die verwegene Plot-Idee des Science-Fiction-Films „Tron“ und ist es nun auch in der späten Fortsetzung „Tron Legacy“. Sie wirkt heute nur weniger verwegen als 1982.

Die Stimme aus dem Off gehört Jeff Bridges, der in „Tron“ die Hauptrolle spielte und nun auch in „Tron Legacy“ spielt, jetzt aber nur die zweite, denn das Drehbuch der Fortsetzung hat ihm einen Sohn geschenkt, 27 Jahre alt, der auf der Suche nach seinem verschollenen Vater das Raster betritt – aus dem er keinen Weg hinaus findet. Die Außenwelt beider Filme bildet die jeweils aktuelle Gegenwart ab, 1982 und 2010, Bridges spricht also aus dem virtuellen Raster ins reale Heute, zu den Anfangsklängen des Soundtracks, den Daft Punk komponiert und mit einem – je nachdem, welcher Presseankündigung man glaubt – ungefähr 85- bis 100-köpfigen Orchester eingespielt haben.

Die synthetische Fanfare, die im Laufe des Films auch von „natürlichen“ Instrumentengruppen variiert wird und das einzige wiedererkennbare musikalische Leitmotiv dieses Filmscores bleibt, sozusagen sein etwas tumber Tristan-Akkord: Die Fanfare gilt nicht den menschlichen Protagonisten oder irgendeinem Gefühl, einer Handlung, sie gilt dem Grid, dem Raster, letztlich der Technik, und das ist nicht die einzige Denkwürdigkeit dieses Scores, der alles Mögliche ist, aber kein reguläres Daft-Punk-Album.

Den Score zum Ursprungs-„Tron“ komponierte 1982 die Elektronikpionierin Wendy (vormals Walter) Carlos, sie benutzte ebenfalls sowohl elektronische Klänge als auch die „natürlichen“ eines Orchesters. Letztere allerdings nicht ganz freiwillig, die Disney-Studios, so heißt es, bestanden auf einen halbwegs konventionellen Hollywood-Score – der nicht notwendigerweise, aber doch in aller Regel klassisch orchestriert ist. Und der (nirgendwo hallt vor allem Richard Wagners Schaffen mehr nach als in der Filmmusik Hollywoods) den Kompositionsregeln der Oper bis zur Romantik folgt: Die auftretenden Figuren werden eindeutig musikalisch gekennzeichnet durch wiederkehrende Motive; sie werden Gut und Böse zugeordnet durch verschiedene Instrumentengruppen, Klangfarben, Melodieführungen; und die Beziehungen zwischen den Figuren und der Fortgang der Handlung werden wesentlich durch die Modulation von Tempo, Lautstärke, Tonhöhe verdeutlicht.

Das Genre der Science Fiction ist filmisch bereits ein Sonderfall, weil in dessen Zentrum notwendigerweise die Begegnung mit etwas existenziell Unbekannten, Fremden steht: Außerirdische betreten die Erde, Monster bedrohen sie (meist in der jeweiligen Gegenwart); Menschen betreten unbekanntes, fremdes Terrain, sie reisen in unvorstellbarer Geschwindigkeit durchs Weltall zu anderen Planeten, in andere Sonnensysteme, an Orte, an denen nie zuvor ein Mensch gewesen ist („Star Trek“), reisen gar zwischen verschiedenen Zeiten hin und her („Zurück in die Zukunft“); sie steigen wie in den „Tron“-Filmen von der Gegenwart unmittelbar in eine virtuelle Alternativwelt des Computers oder bewegen sich zwischen verschiedenen virtuellen, simuliert virtuellen und realen Welten der Zukunft wie in den „Matrix“-Filmen; wir sehen die Erde, wie sie in einer Zeit nach uns aussehen könnte, meist sieht sie dabei gar nicht gut aus, etwa in „Blade Runner“ oder in den „Terminator“- und „Mad Max“-Filmen; schließlich lernen wir eine unserer Welt technisch total überlegene kennen, von der man uns aber sagt, sie habe paradoxerweise vor langer Zeit in einer weit, weit entfernten Galaxis existiert. Letzteres ist der berühmte Beginn der „Krieg der Sterne„-Saga, der unmittelbar klarmacht, dass diese Filme im Reich der Mythen und Märchen spielen, sich also gleichsam auf den Spuren einerseits Wagners Gesamtkunstwerk befinden – nicht zufällig prägte „Krieg der Sterne“ den Begriff der „Space Opra“.

Jeder Science-Fiction-Score hat also zunächst mal die Aufgabe, dieses Fremde, Unbekannte musikalisch zu markieren. Allerdings, das verkompliziert die Sache: Die gleiche Aufgabe hat auch das Sound-Design, nur viel konkreter.

Für die Geräuschkulisse galt im Unterschied zur Musik stets das gleiche wie für alles Visuelle: Selbstverständlich nutzte jeder Science-Fiction-Film den jeweils neuesten Stand der Technik für seine Idee von Zukunft, Unbekanntem, Fremdem; bestenfalls kam zum Nie-zuvor-Gesehenen auch das Nie-zuvor-Gehörte.

Dass das für die Musik nicht galt, hat indes nur zum Teil etwas mit einem vermeintlichen (oder tatsächlichen) Hollywood-Konservatismus zu tun, der die vermeintliche (oder tatsächliche) Eindeutigkeit eines orchestrierten Scores der vermeintlichen (oder tatsächlichen) Uneindeutigkeit eines elektronischen Experiments vorzog. Richtig ist, dass im klassischen Hollywood das Unbekannte auf der Musikebene meist nur durch orchestrale Dissonanz und Atonalität gekennzeichnet wurde, nicht etwa durch elektronische Sounds, die doch am ehesten eine klangliche Ahnung von „Zukunft“ hätten vermitteln können.

Passend zum Fortschritt der Raketen- und Satellitentechnik wurde seit den späten 50er-Jahren das Weltall-Abenteuer endgültig das populärste Subgenre der Science-Fiction, entsprechend musste auch die Filmmusik eine Metaphorik für die Unendlichkeit des Alls finden. Stanley Kubrick zeigte 1968, ein Jahr vor der Mondlandung, für die Anfangssequenz von „2001: Odyssee im Weltraum“ Sonne, Mond und Erde zu den Klängen von Richard Strauss‘ grandiosem „Also sprach Zarathustra“. Unterhalb dieses Pathos war dann eigentlich keine Weltallmusik mehr denkbar. Das hat niemand besser verstanden als John Williams, dessen „Krieg der Sterne“-Score einer der aufgeblasensten der Filmgeschichte ist, brillant bei Johann Strauss Junior und Richard Wagner zusammengeklaut.

Die musikalische Raumbeherrschung, das ist offensichtlich auch das größte Problem von Daft Punk bei „Tron Legacy“ gewesen. Zwar spielt der Film nicht im Weltall, sondern im Cyberspace, also müsste der Grid logischerweise irgendwo enden, denn er hat ja einen Ein- und Ausstieg. Außerdem, das kommt erschwerend hinzu, wechselt der Film beim Betreten des Grids von 2-D zu 3-D: Der virtuelle Filmraum ragt also plötzlich in den realen Kinozuschauerraum, und konkurriert nun mit der musikalischen Überwältigung, die zuvor dank Dolby-Surround-Sound konkurrenzlos „im Raum“ gespielt hatte.

Daft Punk reagieren auf diese Herausforderung zunächst mal mit purer Penetranz: Mehr als 100 der 127 Minuten Filmlänge von „Tron Legacy“ sind musikalisch unterlegt, die Tonspur ist regelrecht vollgesuppt, auch weil zusätzlich noch die Grenzen zwischen Klangdesign und Musik-score maximal verwischt werden. Überhaupt scheinen Daft Punk sich vorgenommen zu haben, eher einen Sound für diesen Film zu entwickeln als eine Musik, denn dafür, dass sie ein riesiges Orchester engagiert haben, sind die verwendeten musikalischen Mittel erstaunlich tumb: Die Streicher spielen entweder stumpf Stakkati oder stumpf Flächen, die Bläser dürfen bloß dräuen, dafür haben die Pauker mutmaßlich Überstunden schieben müssen, und im Computer wurden dann ein paar Drones und Loops dazugemischt und noch viel, viel mehr Flächen.

Sollten Daft Punk dabei die Idee gehabt haben, eine Art synthetisch-organischen Ambient-Score zu komponieren, haben sie vergessen, dass auch Ambientmusik eine emotionale Wirkung hinterlassen sollte. Das tut der Score von „Tron Legacy“ so wenig wie die total vorhersehbare Handlung des Films.

Der Aufwand, den Thomas Bangalter und Guy-Manuel de Homem-Christo für die „Tron Legacy“-Musik betrieben haben, war dennoch relativ beispiellos. Die beiden haben alle anderen musikalischen Aktivitäten aufgegeben, sind extra nach Los Angeles gezogen und haben dann zwei Jahre nichts anderes getan als eben: diesen Soundtrack zu komponieren und einzuspielen. Als Inspiration nennt Bangalter in einem Interview für den „Tron Legacy“-Soundtrack unter anderem eben die Filmkompositionen von Wendy Carlos und Bernard Herrmann, aber auch die von Max Steiner, Vangelis und Maurice Jarre.

Mal abgesehen von Steiner, der ein klassischer Hollywood-Orchesterkomponist war und unter anderem die Scores schrieb für „Casablanca“, „Vom Winde verweht“ und die frühen „King Kong“-Filme: Das sind auch die großen Namen des experimentellen Science-Fiction-Scores. Es fehlt bloß der von Don Davis, der für die „Matrix“-Filme unvergleichlich vielschichtigere Musik geschaffen hat als Daft Punk nun für „Tron Legacy“. Thomas Bangalter und Guy-Manuel de Homem-Christo reichen mit ihrem ersten Filmscore an keinen der Genannten heran. Aber „Tron“, der Originalfilm, reichte ja damals auch nicht an „Blade Runner“ heran, der ebenfalls 1982 in die Kinos kam, mit dem ersten Ambient-Score der Filmgeschichte, komponiert vom großen Vangelis. Düsterer und kaputter sah die Zukunft selten aus als in „Blade Runner“, die Gegenwart des Cyberspace in „Tron Legacy“ hingegen, die schaut bloß dunkel aus und blankpoliert. Wenn Musik sichtbar wäre, dann wäre auch die von Daft Punk dazu bloß: dunkel und blankpoliert.

Gibson und wie er die Welt sieht

Der amerikanische Autor William Gibson hat mit seiner Romantrilogie „Neuromancer“, deren erster Teil 1984 veröffentlicht wurde, ein Standardwerk der Science Fiction erschaffen. Damals schien seine deprimierende Utopie weit entfernt. Nun ist Gibson in der Gegenwart angekommen.

Text von Aileen Gallagher

Seit Ihren ersten Büchern hat sich die Welt rasend schnell verändert. Findet die Gegenwart in Ihre neuen Bücher?

William Gibson: 1981 war ich ein Futurist, der über das 21. Jahrhundert schrieb. Nun bin ich im 21. Jahrhundert angekommen, und wenn ich darüber schreibe, macht mich das wohl zu einem literarischen Naturalisten. Zum Glück gab man mir auf der Sci-Fi-Akademie einen Handwerkskasten mit auf den Weg, der ungemein hilfreich ist, wenn man das 21. Jahrhundert verstehen lernen will.

In einem Interview sagten Sie 1986 einmal: „Wenn ich einen Text lese, vor allem einen fantastischen Text, dann spüre ich instinktiv, dass es die eigentlich überflüssigen und nicht relevanten Details sind, die das Gefühl von Fremdheit konstituieren.“ In Ihren neuen Büchern werden Kleidungsstücke und Räumlichkeiten detaillierter beschrieben als Menschen.

Die Wahrnehmung der Welt wird in einem Roman wie „Zero History“ durch die Perspektive von zwei Charakteren gefiltert. Alles was in diesem Buch passiert, sieht man durch ihre Augen. Es gibt in meinem gegenwärtigen Stil keinen durchgängigen Erzähler. Würde sich ein allwissender Erzähler derart mit Details beschäftigen, bekäme es eine völlig andere Bedeutung. Die Details, die beide Protagonisten wahrnehmen, sind Teil ihres Charakters; es sind nicht Objekte, die zufällig in der Welt herumschwirren. Im ersten Kapitel mit der endlosen Beschreibung eines privaten Londoner Hotels wird Hollis in gewisser Weise in eine geschlossene Anstalt eingewiesen: Das Hotel hat ihre Gedanken und ihre Gefühle kolonialisiert. Wir leben nun mal in einer Welt der Artefakte. Meredith, einst Model, inzwischen Designer, sagt zu Hollis: „Designer werden die Idioten der Maschinen. Maschinen geben vor, was du zu tun hast.“ Definieren sich Designer nur noch dadurch, welche Maschinen sie benutzen?

Eine Maschine der verarbeitenden Industrie gibt Parameter vor, die eingehalten werden müssen. Designer können Sachen entwerfen, die dann aber nicht hergestellt werden können – was natürlich keinen Sinn hat. In der Kleidungsindustrie arbeiten sie noch heute mit Maschinen vom Anfang des letzten Jahrhunderts; oft genug ist es unmöglich, neue Maschinen mit den gleichen Funktionen zu kaufen. Also werden alte Maschinen gekauft, die natürlich konstant repariert werden müssen. In Manhattan gab es ein ganzes Viertel, das nur auf den Verkauf von Ersatzteilen für diese Maschinen spezialisiert war. Es gab dort ausschließlich Coffee-Shops und Läden mit Ersatzteilen für Nähmaschinen. Heute stehen dort nur noch Apartment-Klötze.

Das heißt also, dass alte Ersatzteile nicht mehr benötigt werden?

Doch. Sie werden in den Prä-Post-Industrie-Nationen gebraucht, die sich noch nicht komplett auf Marketing und Branding verlegt haben.

In „Zero History“ schreiben Sie auch, dass der Terrorismus „primär vom Branding, zum kleineren Teil aber auch von der Psychologie der Lotterie lebt“. Wie darf man das verstehen?

Nehmen wir mal an, Sie sind ein Terrorist – oder ein nationaler Held, je nach Blickwinkel. Terrorismus lebt vom Branding, weil deine Marke so ziemlich das Einzige ist, was du als Terrorist hast. Terroristen verfügen über praktisch keine Hilfsmittel. Wobei ich das Wort „Terrorist“ eigentlich nicht gebrauchen mag; es ist wenig geeignet, um das Phänomen zu beschreiben.

Wie würden Sie es denn nennen wollen?

Asymmetrische Kriegsführung. Die findet unweigerlich statt, wenn ein Kleiner gegen den übermächtigen Großen kämpft. Und dem Kleinen stehen in diesem Kampf verschiedene Strategien zur Verfügung, von denen die wichtigste das Branding ist. Deshalb meldet sich nach jedem Attentat ein anonymer Anrufer und sagt: „Wir haben das Kaufhaus in die Luft gejagt.“ So kreiert man eine Marke. Oder dadurch, dass jemand anruft und sagt: „Dieses Mal waren wir es aber nicht!“. Auch das gehört zur Markenbildung.

Hat der Terrorismus das ideale Zeitfenster gewählt, weil es heute so einfach ist, eine Marke international zu verbreiten?

Die heutige Welt unterstützt die Verbreitung von allen nur erdenklichen Marken und Informationen. Es ist das Zeitalter des Brandings. Vergessen wir mal den Terrorismus. Ich sträube mich, dieses Wort weiter zu benutzen, es leistet nur einer ignoranten Rhetorik Vorschub. Wenn der Terrorist erreicht hat, dass du ihn als solchen wahrnimmst, hat er schon ein Ziel erreicht. Der Rest ist das, was ich die Psychologie der Lotterie nenne: Es ist mathematisch höchst unwahrscheinlich, dass du oder ich Opfer eines terroristischen Angriffs werden. Die Leute füllen trotzdem Lottoscheine aus. Irgendjemand wird gewinnen, aber nicht du. Und genauso funktioniert der Terrorismus.

Aber bei der Lotterie geht es um Hoffnung, beim Terrorismus um Angst.

Wenn du ein radikaler Freiheitskämpfer bist, dann ist Terrorismus durchaus mit Hoffnung verbunden. Der Freiheitskämpfer lebt in der Hoffnung, dass er die Ungerechtigkeiten eines Regimes beenden kann. Und die Menschen, die in diesem Regime zu Hause sind, leben in der Angst, dass der Terrorist kommen und etwas Furchtbares anrichten wird. Die Terroristen sind auf ihre Art viel schlauer. Sie haben gewonnen, wenn sie dir Angst einimpfen. Und sie haben gewonnen, wenn du aus Angst deine Gesellschaft derart deformierst, dass die Lebensqualität gemindert wird.

Verlieren wir nicht das Bewusstsein, von einem konkreten Ort auf dieser Erde zu stammen? Niemand in „Zero History“ etwa scheint aus einem identifizierbaren Ort zu stammen.

Ich fühle mich am wohlsten unter Menschen, die sich vom traditionellen Konzept des Nationalismus losgesagt haben, in multi-kulturellen, post-nationalen Umgebungen, zu denen inzwischen alle Metropolen zählen. Unlängst musste ich an meinen ersten Europa-Trip im Jahr 1970 denken: Jedes Land hatte nicht nur seine eigene Währung, sondern auch seine eigenen Zigaretten, seinen eigenen Kosmos. Jedes Land in Europa war ein kleines Universum für sich. Es war eine wundervolle Erfahrung, aber die Zeit ist vorbei. Heute kommt alles aus der EU, Amerika oder Japan. Ich kann mir nicht vorstellen, wie man diesen Zustand hätte verlängern können. Und ich habe auch keinerlei nostalgische Anmutungen. Ich bin mehr denn je überzeugt, dass Nostalgie eine fundamental ungesunde Verhaltensweise ist. Wann immer man auf Nostalgie stößt, verbirgt sich dahinter meist eine ernsthafte Fehlentwicklung. Wir sind nun mal auf dem Weg zu einer globalen Kultur.

Mit welchen Nebeneffekten müssen wir rechnen, wenn es nur eine einzige Kultur gibt, die ihre Produkte über die ganze Welt verkauft?

Wenn es eine wirklich globale Kultur ist, dann wird es auch kein einzelnes Land geben, das diese Kultur exportiert. Aber ich mache mir über „die Zukunft“ eigentlich keine Gedanken.

Das wird Ihre Leser überraschen.

Das war aber von Anfang an meine Position: Ich weiß nicht, wie sich die Dinge entwickeln werden. Von einem Sci-Fi-Autor wird das vielleicht erwartet, aber als ich mit dem Schreiben anfing, war mein Genre nicht Science Fiction, auch wenn ich als Erzähler Sci-Fi-Strukturen benutzt habe.

Inwieweit fühlen Sie sich denn heute noch dem Genre verbunden?

Science Fiction ist die literarische Kultur, aus der ich stamme. Ich stamme auch aus dem Südwesten Virginias, verhalte mich aber nicht unbedingt wie ein durchschnittlicher Mann aus Virginia – genauso wenig schreibe ich wie ein typischer Sci-Fi-Autor.

Wenn also jemand in diese neue globale Welt hineingeboren wird, hat er dann überhaupt noch so etwas wie eine angeborene Kultur?

Es gibt Entwicklungen, die von keinem Futuristen vorausgesagt werden können – seien es Sci-Fi-Scharlatane wie ich oder Anthropologen, die von der Industrie konsultiert werden, um vorherzusagen, was die Menschen in zehn Jahren bevorzugen werden. Eine der unbekannten Größen ist die Frage, wie die Menschheit mit neuen Technologien umgeht. Niemand hätte vor Hundert Jahren voraussagen können, wie sehr sich die Welt durch immer neue Technologien verändert. Neue Technologien sind der wichtigste Faktor des Wandels – und das war schon immer so. Technologie ist wichtiger als Politik, Technologie ist wichtiger als Religion. Insofern stellt sich mir auch nie die Frage, ob Technologie „eine Bedrohung“ ist. Ich bin jetzt 52 und habe noch fast alle meine Zähne – was früher keine Selbstverständlichkeit war. Ich bin ein Cyborg, der dank medizinischer Technologien immun ist gegen tödliche Seuchen. Ich sitze auf dieser gewaltigen Technologie-Pyramide, die mit der Stein-Axt begann, und finde mich gerade in einem Hotelzimmer in Austin wieder, von dem aus ich mit jemandem telefoniere, der Tausende Kilometer entfernt ist. Wir haben gar nicht die Option, nicht-technologische Kreaturen zu sein.

Was gefällt Ihnen denn noch am Buch?

Sie geben mir die größtmögliche Kontrolle über ein Produkt, das schließlich beim Konsumenten landet. Bücher können nicht geremixt werden. Diese altmodische Form, auf der man Wörter in einer Zeile schreibt, ist für mich ideal. Ich bewundere die Leute in Film und Fernsehen – nämlich dafür, dass sie damit leben müssen, dass ihnen unzählige Leute reinreden. Das Schreiben von Büchern ist dagegen ein absolut cleaner Prozess: Eine Person ist für das gesamte Resultat verantwortlich.