Hercules And Love Affair – Hercules and Love Affair

Wir behaupten jetzt ganz kühn, Hercules And Love Affair sind nach LCD Soundsystem der zweite Act aus dem Programm des durch und durch exzellenten DFA-Labels, der das Potenzial besitzt, jenseits der 12-Inch-Käufer auf einen breiten Konsens zu stoßen. Ohne dabei gleich den Teufel der Scissor Sisters an die Wand zu malen, deren Gay-konnotierte Ironisierungen mittlerweile gehörig auf den – um beim Thema zu bleiben – Sack gehen. Hercules And Love Affair ist das Ein-Mann-Projekt des New Yorker Produzenten Andrew Butler. Der hat eine nette Posse von Gastvokalisten aus der New Yorker Gay-Künstlerszene verpflichtet: Antony Hegarty (of-The-Johnsons-fame), die DJane Kim Ann Foxman und die CocoRosie-Assoziierte Nomi. Gemeinsam entwerfen sie die geschmeidigste, schillerndste und glamouröseste Variante von Neo-Disco-Musik seit Erfindung des musikalischen Recyclings.

Ende der 70er Jahre war Disco Dank „Saturday Night Fever“ im kollektiven Bewusstsein des musikalischen Mainstream angekommen – die rhythmusbetontere Variante des 70er-Jahre-Soul, die ein paar Jahre später reduziert auf ihre wesentlichen Bestandteile als House (neben Techno) als letzte nennenswerte Innovation in die Geschichte der populären Musik eingehen sollte. Disco war eine Zeitlang so übermachtig, dass sich der stampfende Viervierteltakt Ende der 70er Jahre sogar zu den Songs von Bands wie Rolling Stones und Pink Floyd Zutritt verschaffte, was die um Bewahrung der Tradition bemühten Rockhörer als das Ende „ihrer“ Musik werteten. Auf der einen Seite der konservative Rock als Ausdruck des heterosexuellen Machismo, auf der anderen Seite das hedonistische Disco mit seinen buntschillernden Paradiesvögeln und solchen Unmöglichkeiten wie tanzenden Männern. Disco wurde bald von der Schwulenszene vereinnahmt. Hercules and love affair ist nach einem halben Jahrzehnt der Aufarbeitung von Disco, als Neo-, Space- und -Punk durch die weltweite Elektronik-Community der nach den ewigen Gesetzen von Untergrund und Mainstream folgerichtige Schritt hin zu einer breiteren Popularisierung des Themas – aus der ja nicht gleich das globale Disco-Revival hervorgehen muss.

Hercules And Love Affair verweben auf ihrem Debütalbum Disco 100 Prozent ironiefrei und kunstvoll mit den Erkenntnissen zeitgenössischer Electronica. Und zwar genau an der historischen Schnittstelle, an der Disco noch nicht ganz zu House und House noch nicht ganz Disco-frei geworden war. Phillystreicher, funky Basslines, glockenklare Sequencer, dezente Acid-Modulationen, DFA-Kuhglocken, die Kraft und die Herrlichkeit eines ganzen Fuhrparks an vintage Synthesizern durchziehen diese zehn Tracks. Und alles ist dabei im Fluss. Schon im ersten Track „Time Will“ wird die große Produzentenkunst des Andrew Butler offenbar: Antony Hegartys souliger Falsettgesang, der zartbittere Text, die wolkenweichen Beats, die kristallklaren Synthsounds, das farbenfrohe Gebleepe, die ausladenden Sequencerfiächen werden von Butler zu einem Klassiker zeitgenössischer Tanzmusik komponiert. Das federnde „Blind“ (wieder mit Antony-Vocals) wird der Song sein, der die Skeptiker mit Disco versöhnt. Sie werden fassungslos und mit Tränen in den Augen auf der Tanzfläche stehen und bestaunen, wie Bläserstakkatos und Streicher aus dem Synthesizer, eine funky Bassline und südamerikanische Percussions sich zu einem hüftschwingenden Pop-Kunstwerk zusammenfügen. Unter „Blind“ wie unter allen zehn Tracks dieses Albums steht geschrieben: POP, und zwar in Großbuchstaben.

Mit den Umdeutungen homophob gemeinter Begriffe und Symbolik begann in den 70er Jahren der Kampf der Schwulenbewegung um Anerkennung. Das ursprünglich als abwertend gebrauchte Wörtchen „schwul“ wurde als positiv besetzter Identifikationsbegriff etabliert, Symbole heterosexueller männlicher Stärke auf die schwule Seite gezogen. Der mythologische Hercules, vielleicht der archetypische Macho, wird hier in einem Atemzug mit der Blümchenromantik einer „love affair“ genannt. In diesem Sinn ist die Rückholung von Disco/House durch Hercules And Love Aff air auf schwules Terrain eine musikhistorisch legitimierte Notwendigkeit. Disco und sein direkter Nachfahre House waren in ihrer Übergangszeit fest in schwuler Hand als wichtige Identifikations- und Determinationspunkte eines schwulen Selbstverständnisses, als Schwulsein noch längst keine Selbstverständlichkeit war. Larry Levan hätte seine Freude an dieser Musik gehabt. Frankie Knuckles hat sie – und einen unglaublichen Remix von „Blind“ angefertigt. VÖ: 14.3.

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