High-Rise :: Ben Wheatley

Inszenatorisch wunderschöne Dystopie mit hässlichem Kern.

Geld und Macht verderben den Charakter. Wer zu einem ansehnlichen Vermögen gekommen ist, nimmt es mit der Moral nicht mehr so genau. Da gelten plötzlich neue Gesetze. Das kennt man ja heutzutage. Der britische Autor J.G. Ballard nahm sich in „High-Rise“ genau dieser Thematik an. Nur hat sein Roman mittlerweile 41 Jahre auf dem Buckel. Aktuelle Relevanz hat die dargestellte dystopische Schlacht im Wolkenkratzer trotzdem.

„The love you gave me, nothing else can save me, SOS“, singt Beth Gibbons von Portishead und währenddessen wird in einem 40-stöckigen Gebäudekomplex alles kurz und klein geschlagen. Nix mit Liebe. Keine Rettung in Sicht. Dabei hatte sich Architekt und Hausinhaber Royal (Jeremy Irons) bei dem Bau des modernen Koloss’ viele Gedanken um Harmonie und Balance gemacht. Nur fehlte dem in Watte gepackten Reichen einfach die nötige Erfahrung. In den unteren Stockwerken des Hauses fällt immer häufiger die Elektrizität aus, die Müllentsorgung und so einiges anderes funktioniert nicht. Der Aufstand der Normalbürger, angeführt vom Dokumentarfilmer Wilder (Luke Evans), kann beginnen. Schließlich leben die Wohlsituierten in den oberen Etagen wie die Maden im Speck. Partys auf Ponys, Sexorgien, Champagnerduschen und Kuchen.

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Irgendwo zwischen den Superreichen und dem Mittelstand befindet sich Laing (Tom Hiddleston), der Neuling im Hochhaus, der begehrte Junggeselle. Er bandelt mit einer Frau nach der nächsten im Gebäude an (unter anderem Sienna Miller und Elisabeth Moss) und je dreckiger und anarchischer es um ihn herum wird, desto wohler fühlt er sich. An moralisch richtiges Handeln denkt auch er nicht mehr. Viel wichtiger: Welcher Grauton ist der passende für das frisch bezogene Apartment?

Gesellschaft, wie komplett krank bist du eigentlich? So etwas wie Nächstenliebe scheint es nur in Märchen zu geben. Jeder dreht sich in „High-Rise“ nur um sich. Das bringt Regisseur Ben Wheatley perfekt auf den Punkt. Steigen die Vermögenden in den Fahrstuhl nach ganz oben, dann sehen sie dank unzähliger Reflektionen nur ihr eigenes Spiegelbild. Was der Zuschauer des fast zweistündigen Satire-Horrors sieht: potthässliche Fratzen.

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Interieur und Kleidung der Hochhausbewohner sind ganz klar in den 70er-Jahren zu verorten. Das Thema, diese totale Degeneration der Menschen, scheint dennoch der Gegenwart entsprungen. Eigentlich besteht „High-Rise“ nur aus einer Aneinanderreihung stilsicher-schockierenden Szene, alles hat eine Vogue-Hochglanzoptik. Und alles Eklige könnte – so ganz abstrahiert gesehen – auch aus einer Kochshow mit Jamie Oliver stammen. Hübsch, nett aufregend, aber in seiner Aussage ziemlich egal. Weil den Menschen im Film auch das Meiste ziemlich gleichgültig ist. Wichtig ist nur die nächste Feier. Gegen die Konkurrenz ankommen. Ansonsten: eine Mini-Nation, bestehend aus Zombies.

Mit „High-Rise“ hat Brite Ben Wheatley allerdings nur vom Look her ein neues Meisterwerk kreiert. Sein Vorgänger-Grusel „Sightseers“ (2012), in dem ein frisch verliebtes Pärchen Amok läuft, war doch um Längen liebevoller und runder in seiner Erzählweise. Außerdem bleibt Tom Hiddleston ein Durchschnittsschauspieler mit zwei nur minimal sich unterscheidenden Gesichtsausdrücken. Das Buch „High-Rise“ von J.G. Ballard ist immer noch die bessere Wahl. Allein für den Look dieses verfilmten Wahnsinns hat sich Ben Wheatley allerdings größten Respekt verdient.

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