Iron And Wine :: Kiss Each Other Clean

Next Stop: Orchesteralbum. Sam Beam erweitert beständig die Grenzen eines Genres. Und am Ende fragt man sich dann: Ist das noch Indie-Folk oder schon der neue Soft-Pop?

Mit Bands wird es immer dann spannend, wenn man merkt, dass bei ihnen etwas in Bewegung gerät. Am besten gleich so, wie es bei Iron And Wine vor vier Jahren mit The Shepherd’s Dog der Fall war. Just in dem Moment, als sich im amerikanischen Indie-Rock die Angewohnheit einschlich, beschaulichen Folk-Pop mit viel Harmoniegesang und sonst nicht viel mehr zu machen, unternahm Leader Sam Beam einen Ausbruchsversuch nach dem anderen. Tanzbare Songs mit Afro-Pop-Ingredienzen? Dub-Reggae? Adrenalinstöße am Bar-Piano? Alles plötzlich kein Problem. Beam wollte nicht mehr der verschlafene Typ sein, der zu Hause in seinem Musikzimmer mit Gitarre und Banjo zart vor sich hinflüstert und den enigmatischen Eremiten gibt. Hier war jemand, der sich zu öffnen bereit war und mit der Welt in Kontakt treten wollte. Das hat ihm offenbar sehr gefallen, denn er macht da weiter, wo er aufgehört hatte. Erneut präsentiert sich Beam wie ein entdeckungshungriger Junge auf der Spielwiese. Die Songs sind wieder üppig instrumentiert, ohne überladen zu wirken. In „Rabbit Will Run“ fallen Panflöte, quengelnde Gitarren, tropisch-schwüle Atmosphäre und ein Hauch Jazz ebenso auf wie eine Stimme, die der Paul Simons immer ähnlicher wird. Da kommt echtes Gänsehautgefühl auf. Besonders auffällig ist dieses Mal auch die offensive Art, mit der sich der aus South Carolina stammende, in Florida aufgewachsene und jetzt in Austin, Texas, lebende Sänger mit der Musik der Südstaaten auseinandersetzt. Manch Fan der ersten Stunde wird bei „Big Burned Hand“ glauben, er habe das falsche Album heruntergeladen, denn Iron And Wine grooven hier wie eine Funkband aus New Orleans. Piano, Orgel und Vibrafon greifen unterstützend ein und ein Saxofon macht auch mit. „Your Fake Name Is Good Enough For Me“ ist erst ein Math-Rock-Flirt, der im Jazzkeller endet, ehe das Ganze am Ende mit eindringlichem Gesang nach Neil-Young-Art zum Höhepunkt kommt. Wer auf die alte Beschaulichkeit nicht völlig verzichten will, wird mit „Godless Brother In Love“ noch mal sanft liebkost. Aber das bleibt eine Ausnahme. Angesichts der Entwicklung von Beams Band fühlt man sich zunehmend an den Karriereverlauf von R.E.M. erinnert. Die waren zuerst kapriziös und entwickelten sich dann zur selbstbewussten Stadionband. Bei Iron & Wine wird es nicht ganz so weit gehen. Die Musik eignet sich nicht für den Konsens. Aber mit diesem erneut beeindruckenden Album wird diese Band weiter punkten, da kann man sich sicher sein. Und dann? Next stop Orchesteralbum?