Jazz

Blechschaden amerikanisch: Daß Lester Bowies Brass Fantasy den einzigen Standardsong zum Titel ihrer LP I Only Have Eyes For You (ECM) gekürt hat, führt in die Irre. Die acht Bläser um den Mann im weißen Medizinkittel spielen bei aller Verbundenheit mit Blues und Ellington souveränen neuen Jazz – ambitionierter als die Dirty Dozen Brass Band, aber kaum weniger unterhaltsam. (5) Blechschaden deutsch: Das United Jazz & Rock Ensemble gibt’s jetzt im halben Dutzend billiger: Die gesammelten Werke der All-Star-Band für knapp fuffzich Märker. Die Überdosis dieser harmlosen Droge macht deutlich, nach welchem Motto hier Jazz popularisiert wird: Allen wohl und niemand weh. (3) Wer ungeglättete Soli sucht, landet vielleicht bei dem 40-Minuten-Opus Scott Free, das Trompeter Cecil Bridgewater für das Max Roach Quartett geschrieben hat. (Soul Note, 4) Freunde eng verzahnter Ensemblemusik hingegen lassen sich maybe auf Jan Garbareks eigenbrötlerisches It’s Okay To Listen To The Grey Voice ein. So freundlich der Skandinavier unlängst mit Shankar klang, so gewohnt grauverhangen sind die Stimmungsbilder, zu denen im Quartett der Gitarrist David Thorn irritierende Klänge beisteuert. (ECM, knapp: 4) Rainer Wiedensohler aus Aachen verfolgt mit seinem Nabel-Label (Vertrieb: EfA) Ziele, mit denen manch aufrechter Produzent baden ging. Amerikaner wie der Saxofonist Dave Liebman sollen als fester Bestandteil deutscher Formationen wie der Klaus Ignatzek Group eine Rolle spielen. Mit seinen Tender Mercies knüpft das Quartett an den kompositorisch wie solistisch erstaunlichen Standard des Erstlings The Spell an. (4) Was hat „Portugals Jazzsängerin Nr. 1“, Maria Joao, auf Nabel verloren? Sie geht mit deutschem Nachwuchs auf Tour. Cem Caminhos hat sie mit Landsleuten eingespielt. Ohne Hemmungen vor Brubecks ausgelaugtem „Take Five“, das sie ebenso wie „My Favourite Things“ im exzessiven Raffund Dehnstil einer Betty Carter improvisiert. Ansonsten bleibt sie verhalten, singt neben Klassikern dezente Balladen einheimischer Komponisten. (4) Für eine echte Entdeckung halte ich Peter Herborns Acut Insights, eine „kammermusikalische Mini-Bigband“ aus der Köln-Essener Szene, deren Ambitionen jenseits romantischer Aufgüsse liegen. Obwohl weitgehend durchkomponiert und der E-Musik oft nicht fern, ist Subtil Wildness eine gänzlich unakademische Jazzplatte. (5) Nabel-Bestseller war bislang das Debüt des Trios Engstfeld-Plümer-Weiss. Auch auf DRIVIN‘ spielt der Tenorsaxer treudeutsch-soliden Mainstream, wie er im Umfeld von Changes und Jazztrack üblich ist. (3) Und Austria? Hat mit Airmail dem US-Bassisten Mike Richmond drei g’standene Musikanten an die Seite gestellt: Wolfgang Puschnig, Harry Pepl und Wolfgang Reisinger spielen verzwickte Unisono-Themen und Meditatives, das ihr Prayer For Peace für Münchens Gleichmannstraße interessant machen könnte. (MOERS, 4) Bobby Watson vertritt den aufgeklärten Hard-Bop, wie sich das für einen Schützling Art Blakeys gehört. Advance ist zupackener Club-Jazz. (4) In die Bar nebenan paßt das Doppelalbum Digital Works des Pianisten Ahmad Jamel. Lockerer Latin-Funk, Soul und Swing – ehrenwerte Backgroundmusik. (Atlantic, knapp: 4) Fusion-Ereignis des Herbstes sind die Digital-LPs von GPS, einem Label der Routiniers Dave Grusin und Larry Rosen. Keyboarder Grusin hat mit Lee Ritenour bei Harlequin auf akustische Klänge und brasilianischen Gesang (Ivan Lins) gesetzt. Auch Flötist Dave Valentin, Trompeter Dizzy Glllespie und Gitarrist Kevin Eubanks wurden nicht auf gängige Fusion-Schemata festgenagelt, (alle: 4) Vergleichsweise seelenlos: Billy Cobhams Warning und die Modern Manners der Band Special EFX. (beide: 3)