Kino

Fell in Love with a Girl

Silver Linings

von David O. Russell, USA 2012

mit Bradley Cooper, Jennifer Lawrence, Robert De Niro

Flirting With Disaster: Die beste Komödie des Jahres erzählt auch die schönste Liebesgeschichte.

Wann genau die Karriere des einstigen Hoffnungsträgers David O. Russell zum Sinkflug ansetzte, lässt sich nicht so genau sagen. Vielleicht, als auf YouTube ein Video der Dreharbeiten von „I Heart Huckabees“ auftauchte, in dem man miterleben durfte, wie der Regisseur seiner Schauspielerin Lily Tomlin förmlich ins Gesicht explodierte? Oder als ihm sein ungefähr 2008 gedrehtes Folgeprojekt „Nailed“ um die Ohren flog, das weiterhin auf Abschluss und Veröffentlichung wartet? Fest steht: Russell ist das Gefühl nicht fremd, tief zu fallen und ganz unten aufzuschlagen. Seit seinem Comeback „The Fighter“ weiß man auch, dass er weiß, wie es ist, sich wieder aus dem Dreck zu ziehen. Er hat es getan. Das macht einem gleich eine gewisse Hoffnung für die Hauptfigur von Russells neuem Film „Silver Linings“, die recht unverkennbar autobiografische Züge trägt. Nach Monaten in der Psychiatrie versucht der Enddreißiger Pat, sein in Trümmer gegangenes Leben und seine Beziehung wieder zu kitten – ohne recht zu wissen, wie er das anstellen soll. Fest steht für ihn lediglich, dass er seine Frau zurückgewinnen will. Was nicht die einfachste Aufgabe ist, wenn einem richterlich untersagt wurde, sich ihr auf weniger als 150 Meter zu nähern: Er hatte sie mit ihrem Liebhaber unter der Dusche erwischt und ihn in einem unkontrollierten Wutanfall krankenhausreif geprügelt. Das klingt zunächst nicht unbedingt nach einem Film, den man glaubt, sofort sehen zu müssen. Aber Russell macht kein Befindlichkeitskino, sondern Filme, die wild um sich schlagen und gerade in Momenten größter Verzweiflung am lautesten lachen müssen. Wie seine Hauptfigur bettelt auch „Silver Linings“ nicht um Mitleid, sondern macht das Beste aus einer Situation, die nicht schlimmer sein könnte. Dass sich mit der Ankunft der gut aussehenden Tiffany, deren Leben nach dem Tod ihres Mannes ebenfalls aus dem Ruder gelaufen ist, eine Liebesgeschichte abzeichnet, ist abzusehen. Was für unfassbare Volten sie dabei schlägt, dass sie sich selbst innerhalb von Szenen nie in die Richtung entwickelt, die man erwartet, und ausgerechnet Bradley Cooper und Jennifer Lawrence den darstellerischen Adelsschlag verpasst, ist ein großer Glücksfall für das Kino. Und ungefähr so schön, wie sich hemmungslos zu „Fell In Love With A Girl“ von den White Stripes zu schütteln.

****** Start: 3. Januar

Der Geschmack von Rost und Knochen

von Jacques Audiard, Frankreich 2012

mit Marion Cotillard, Matthias Schoenarts

Der wilde Schlag ihres Herzens: eine Liebesgeschichte mit Blut, Schweiß und Tränen.

Von der Liebe erzählt auch Jacques Audiard in seinem neuen Film. Aber er macht das eben so, wie man es von dem Regisseur von „Ein Prophet“ erwarten würde: direkt, animalisch, körperlich, jede Szene ein Punch, jedes Bild, als hinge davon das Leben ab. Zwei Menschen führt der Film unter der Sonne Südfrankreichs zusammen, die man zusammen nicht erwarten würde: die filigrane Walfischtrainerin, die bei einem Unfall beide Beine verliert, und den ungeschlachten Kickboxer, der als alleinerziehender Vater seines Sohnes erstmals Verantwortung übernehmen muss in seinem Leben. Die eine hat die Lust am Leben verloren, der andere weiß es nicht besser als zu leben. Und dazu spielt der Trentemøller-Remix von Springsteens „State Trooper“. Manchmal sind Filme die noch bessere Musik.

****** Start: 10. Januar

Life of Pi – Schiffbruch mit Tiger

von Ang Lee, USA 2012

mit Suraj Sharama, Rafe Spall

Unverfilmbar gibt’s nicht: Ang Lee knackt Yann Martels Bestseller.

In einem Roman von der Odyssee eines Schiffbrüchigen in einem Rettungsboot mit einem Bengalischen Tiger zu erzählen, ist eine Sache: Man darf auf die Fantasie des Lesers vertrauen. In einem Film muss man das zeigen. Unfassbar genug, dass Lee das vermeintlich Unzeigbare scheinbar spielend auf die Leinwand bannt. Die Geschichte eines fragilen Burgfriedens ist indes nur Ausgangspunkt für ein an Fabulier- und Bilderlust kaum zu übertreffendes Plädoyer für den Überlebenswillen, das so viele Ideen und Einfälle hat, dass sie nur in 3D überhaupt auf die Leinwand zu passen scheinen. Ein Film über die Macht der Spiritualität, der sich ungeachtet aller religiöser Konstrukte nur einem Glauben verschreibt: der Kraft des Geschichtenerzählens.

***** Start: 26. Dezember

Beasts of the Southern Wild

von Benh Zeitlin, USA 2012

mit Quvenzhané Wallis, Dwight Henry

Magischer Realismus: Wo die wilden Biester wohnen.

„In my heart is a place called swampland“, singen die Scientists. Und könnten damit genauso das verblüffende Filmdebüt des jungen Amerikaners Benh Zeitlin beschreiben, der eine Welt entstehen lässt, wie man sie noch nie gesehen hat. In einem Land vor unserer Zeit und doch nach dem Hurrikan Katrina ist die Geschichte des kleinen Mädchens Hushpuppy angesiedelt, die mit ihrem Vater im Waschzuber lebt, wie das aus der Zeit gefallene Stück Sumpfland heißt, in dem sie mit anderen Renegaten leben und die Ankunft biblischer Bestien erwarten. Das fühlt sich so ungewohnt und neu an, als hätte man Emir Kusturica gebeten, seine Version von „Wo die wilden Kerle wohnen“ zu erzählen – und ist doch tief im Herzen ein erschütternder Stoff über einen Mann, der sein Kind so sehr liebt, dass er es nicht übers Herz bringt ihm zu sagen, dass er sterbenskrank ist – und auf seine Weise für die Zeit danach rüstet.

***** Start: 20. Dezember

Zero Dark Thirty

von Kathryn Bigelow, USA 2012

mit Joel Edgerton, Jessica Chastain, Mark Strong

Männer bei der Arbeit: die Jagd auf Osama bin Laden.

Um Männerwelten und ihre Rituale geht es im Kino von Kathryn Bigelow. Daran ändert sich auch in ihrem ersten Film seit ihrem Oscar-Triumph „The Hurt Locker“ nichts, der sich minutiös der Jagd auf Osama bin Laden annimmt. Keiner toppt Bigelow, wenn es darum geht, Profis unter Hochdruck zu zeigen. So auch in „Zero Dark Thirty“. Und doch steht hier eine Frau im Mittelpunkt und muss sich in der militärischen Machowelt behaupten. Wie sich Bigelow, Ex-Gattin von James Cameron, in der Machowelt Hollywoods behaupten muss. Immerhin weiß sie, dass sie es besser kann als die meisten ihrer männlichen Kollegen. Und so ist auch Jessica Chastain das Zünglein an der Waage, das den Erfolg der Mission sichert. Schweiß ist gut. Gehirn ist besser.

keine wertung Start: 10. Januar