M.I.A.

Matangi

N.E.E.T. / Interscope / Universal

Ihre Zunge kann sie nicht zügeln, aber in der Musik ist die britisch-tamilische Rapperin um Mäßigung bemüht.

Langsam war es an der Zeit, dass Mathangi „Maya“ Arulpragasam ihre Position überdenkt. Sie musste sich entscheiden, ob sie unaufhörlich an der Spirale der Provokation drehen will oder ob ihr die Kernaufgabe als Musikerin doch wichtiger ist. Zuletzt ist sie hauptsächlich mit Hardcore-Hetze, Splatter-Videos, politischem Aktivismus, Aufregung wegen eines Stinkefingers und – in weiser Voraussicht – der Auseinandersetzung mit Kontrollmechanismen im digitalen Zeitalter aufgefallen. Sie wurde in ihrer Wahlheimat USA zum Unruhe­herd. Erstaunlicherweise waren ihre neuen Geschäftspartner bei Interscope damit voll einverstanden. Die Hollywood-Studios sind voll von Action-Movies, inklusive Gemetzel und anderen Gewaltverbrechen, das versteht man drüben.

Als die Menschen bei Interscope dann zum ersten Mal MATANGI zu hören bekamen, waren sie verwirrt. Maya wollte die Friedenspfeife rauchen und sich anderen, tie­feren Inhalten zuwenden. Der Albumtitel spielt auf ihren Vornamen an und auf die tantrische Göttin der Kunst und Musik. Ein Hinweis, dass Spiritualität und nicht etwa Brachialität eine größere Rolle spielen soll.

Matangi beginnt mit einer Deklaration. „Ain’t Dalai Lama, ain’t Sai Baba, my words are my armour and you’re ’bout to meet your karma“, erklärt M.I.A. in einem Tonfall, der sanfte Gewalt andeutet. An diesen Inhalt hält sie sich die meiste Zeit. Ganz ohne bissige Kommentare kommt sie aber nicht aus. Maya wittert, dass Nachahmer ihr die Show stehlen wollen: „If you’re gonna be me, you need a manifesto, if you ain’t got one, you better get one, presto“. Einen Namen nennt sie auch: „We started at the bottom but Drake gets all the credit.“ Die Fehde mit dem Kollegen ist bekannt und wird hier noch einmal befeuert. Das zeigt sich auch an der Umwandlung des von Drake inflationär gebrauchten „Y.O.L.O.“ in „Y.A.L.A.“. „You only live once?“ Bei ihr heißt es „you always live again“.

Als Produzent tritt häufig Mayas alter Wegbegleiter Switch in Erscheinung. Er hat den großen Teil der Tracks bearbeitet: solide, teilweise gemütlich. Temperamentvoller hört sich das an, was sich Chauncey Hollis alias Hit-Boy für „Warriors“ überlegt hat. Ein paar Minuten lang wirkt alles lebendiger, die Perkussion klöppelt dynamischer, die Breaks sind einfallsreich und Maya unterstreicht ihren behutsamen Ansatz: „Gangsters, bangers, we’re puttin’ ’em in a trance“. Sie hätte bestimmt auch nichts dagegen, wenn sich die Strafverfolgungsbehörden beruhigen würden. Die Aufregung um den Super-Bowl-Mittelfinger-Vorfall kann sie immer noch nicht verstehen. Im kurzen „Boom Skit“ versetzt sie sich in Leute hinein, die wollen, dass sich M.I.A. zum Teufel schert. Es schleichen sich aber auch Momente der Leichtigkeit ein. In „Double Bubble Trouble“ gibt es den auf Reggae-Vibes fußenden und von hektischen Beats angepeitschten Sound des holländischen Teams The Partysquad, das als Diplo-Ersatz eine gute Figur macht. Im schon im Spätsommer veröffent­lichten „Come Walk With Me“ kommt Maya dem Bubblegum-Pop so nahe wie noch nie, trotz des sich angedeuteten Goa-Rave-Beschusses.

MATANGI ist ein komplexes Album einer nicht leicht zu fassenden Künstlerin, deren Stimmung und Vorliebe sich von Track zu Track verschieben kann. Obwohl M.I.A. problemlos Zugang zu wichtigen Personen des Musik-Establishments hat (sie wird seit 2012 von Roc Nation gemanagt), spielt sie weiterhin die Rolle der multikulturellen Party-Queen. Und das ist gut so.