Moderat

II

Monkeytown/RTD

Auf ihrem zweiten Werk vertont die Berliner Elektro-Supergroup den Moment, in dem die Party zu Ende geht und das Leben beginnt.

Computer ächzen. Synthies sinnieren. Stimmen rufen aus dem Geisterreich. Moderat legen ein zweites Werk vor, das tief in seinem Inneren vor allem von Verzweiflung erzählt. Die elf Tracks von II berichten von dem Augenblick, in dem die Nacht sich wieder zurück in den Tag verwandelt, in dem die Party endet, von den Ängsten, wenn das Vertraute verschwindet und dem Unbekannten Platz machen muss.

Wer sollte dieses Leben im Übergang besser in Töne verwandeln können als Sascha Ring, der als Apparat die Grauzone zwischen Tanz und Traum erforscht, und Sebastian Szary und Gernot Bronsert, die als Modeselektor die Festivals weltweit in Wallung versetzten, um anschließend brav zur Kleinfamilie in den Berliner Speckgürtel zurückzukehren. Fünf Jahre nach ihrem Debütalbum, das Moderat nur halb im Scherz einmal als „Ü-30-Party“ bezeichnet haben, geht die Feier für den modernen Menschen im besten Alter nun weiter.

Der aber ist lange nicht mehr zufriedenzustellen mit einer geraden Bassdrum und ein paar schick darüberliegenden Synthieflächen. Deshalb wohnt jedem Moderat-Track das Wissen um die Schnelllebigkeit des eigenen Genres und die damit einhergehende Verunsicherung inne: „Milk“ ist eigentlich ein klassischer Club-Track, der sich schier endlos um seinen schwer schabenden Beat dreht und immer lauter und intensiver wird, bis er auf einen Höhepunkt zusteuert, den er dann doch verweigert. Auf der anderen Seite des Spektrums versagt sich ein auf den ersten Blick gemütlich dahinschlurfender Popsong wie „Bad Kingdom“ in letzter Konsequenz die wohlige Selbstsicherheit, indem durch den berückenden Gesang von Apparat irritierenderweise eine Art Elefantentrompeten quietscht. In „Therapy“ wehen über einem funky Beat bloß noch die kaum zu erkennenden Reste jener Soulstimmen, die einen House-Gassenhauer zum Fliegen bringen. In „Ilona“ bröckelt der Rhythmus, die Bassline grummelt missmutig und die Gesangsmelodie löst sich im Nichts auf. Es ist nicht der einzige Track, der wie ein großes Versprechen wirkt, das nie eingelöst wird und genau deshalb einen verführerischen Reiz entwickelt.

Am deutlichsten herausgearbeitet wird der Grundkonflikt, der auf II verhandelt wird, wohl in „Versions“. Plötzlich verschwindet alles Beiwerk und der Rhythmus wird reduziert auf seinen Kern. Es ist ein beliebter DJ-Trick, der die bis eben noch tanzenden Massen in einer verunsicherten Anspannung halten soll, auf dass sie umso euphorischer das Einsetzen des Boller-Beats begrüßen. Moderat benutzen diesen Trick zwar, allerdings nur als schattenhafte Version seiner selbst. Statt Spannung aufzubauen, klingt das Break verschwommen, und wenn der Beat zurückkehrt, dann ist das keine Erlösung, sondern eher eine Erleichterung, dass das Herz doch wieder im richtigen Rhythmus schlägt und das Leben weitergeht, wenn auch mit größerer Komplexität.

Das allein wäre noch kein Grund, II als Meisterwerk zu feiern. Doch die Fachkräfte, aus denen sich Moderat zusammensetzen, garantieren, dass die Verzweiflung Musik gebiert, die neue Töne für allzu oft beschrittene Wege aufzeigt. Dass nicht nur jedes Klangdetail wie ein Unikat wirkt, dass nicht nur die Melancholie ihren Platz findet, sondern der Bass bombastisch genug ist, eine Party in Gang zu bringen, auf der bis dahin Menschen in ihren besten Jahren über Kinder­erziehung, biologische Ernährung und das Motiv der Vergänglichkeit im letzten Tarantino geplaudert haben. Auf zur Ü-30-Party, so schlimm wird’s schon nicht werden.