Nick Cave And The Bad Seeds

Skeleton Tree

Bad Seed Ltd/Rough Trade

Der Quasi-Soundtrack zur Filmdoku „One More Time With Feeling“. Nick Caves Meisterwerk des Minimalismus im Songformat.

Es grenzt ja an ein Sakrileg für die Jünger der Kirche Nick Cave, die – aus heutiger Sicht – späteren Alben ihres Gottes, nicht so toll zu finden. Also nicht schlecht finden, aber auch nicht so super, wie es die zerebralen Orgasmen, mit denen die Journalisten hinterher ihre Medien übergossen, es vermuten lassen würden. Mit Abstrichen haben Cave & die Bad Seeds auf jedem Album seit NOCTURAMA (2003) auf einer Meta-Ebene mehr desselben geboten. Aber ABATTOIR BLUES / THE LYRE OF ORPHEUS? Aber DIG, LAZARUS, DIG!!! ? Ja, freilich, gab es Unterschiede, Ausschläge in die eine oder andere Richtung, die einem aber den „Spaß“ an Nick-Cave-Alben nehmen konnten. Die Bühnenpersona Nick Cave, der Geschichtenerzähler von der dunklen Seite, drohte mit seinem Goth-Kammer-Folk zu einer Selbstparodie zu werden je bekannter, je Feuilleton- und „Aspekte“-tauglicher er wurde. Mit dieser Politik des Mehrdesselben befand sich Cave aber in guter Gesellschaft mit den großen Songwritern, die er selbst bewundert: Bob Dylan, Leonard Cohen, Neil Young – wieviele Alben, die so ähnlich wie HARVEST klingen, haben wir gekauft, nur um dann doch wieder zu HARVEST zu greifen, wenn wir HARVEST hören wollten?

Auf Caves letztem Album PUSH THE SKY AWAY (2013) hatte sich dann eine gewisse Ambience eingeschlichen, die wir dem zunehmenden Einfluss des Multiinstrumentalisten und Soundtrack-Komponisten Warren Ellis innerhalb der Bad Seeds zuschreiben wollen. In „Jesus Alone“, dem Eröffnungssong des neuen Albums, brummt und zirpt und wabert es bedrohlich. Aber keine Angst, Nick-Cave-Fans, es gibt hier Piano und Vibraphon und akustische Gitarren, aber diese Instrumente hat Co-Produzent Warren Ellis hinter einem Vorhang versteckt, der sie eins werden lässt mit der Ambience, die er mit dem Synthesizer und den Loops erzeugt.

Es scheint so, als wäre die Künstlerpersona Cave in seiner Musik noch nie so nah an dem Menschen Cave gewesen und dafür mussten die Zöpfe der Vergangenheit abgeschnitten werden. Über SKELETON TREE steht der Tod von Caves 15-jährigem Sohn Arthur im Sommer 2015. Dieser Schmerz ist in jeder Note und jeder Pause zwischen den Noten präsent. Wer den Titelsong hört, die Zeilen „I call out, I call out right across the sea. But the echo comes back empty. Nothing is for free“ hört und keinen Kloß im Hals bekommt, der ist kein Mensch. Auf einen Nick Cave, der seinen dunkelgrauen Idealen treu bleibt und sich dabei gleichzeitig neu erfindet, dürften sich alle einigen können, Jubelperser genauso wie Skeptiker wie du und ich.