Paul McCartney & Wings – Wingspan: Hits And History :: Silly Love Songs

Für seine Verdienste als eine Hälfte des Autorengespanns Lennon/McCartney gepriesen, erfuhr das Post-Beatles-OEuvre des Multitalents McCartney entweder höflich distanzierte Zurückhaltung oder gar harschen Spott. Zu unrecht, wie die 2-CD-Retrospektive Wingspan: Hits And History unter Beweis stellt. Die von Peter Mews und Ceoff Emerick remasterte 40 Track-Kollektion, Eckpfeiler eines Multimedia-Projekts, das drei Jahre zur Ausarbeitung in Anspruch nahm und auch einen zweistündigen TV-Film beinhaltet-am 11. Mai im US-Sender ABC erstausgestrahlt (ein Sendetermin für Deutschland steht noch nicht fest) – knüpft leider nicht an das großartige Konzept der Beatles-Anthology-Reihe an. Doch die als normale und limitierte (im 3D-Cover-Artwork) Doppel-CD sowie als Vierfach-Vinyl erhältliche Wings’sche Songsammlung präsentiert bis auf eine Ausnahme – das 1971 entstandene „Hey Bop/Hey Diddle“ – nur bekanntes, von Paul McCartney höchstpersönlich ausgewähltes Material. Seltsam, dass sich das Set mit über 150 Minuten Spieldauer nicht ausschließlich auf die Bandaktivitäten konzentriert, sondern auch Solistisches der Prä- und Post-Wings-Ära bis ins Jahr 1984 einschließt. Wingspan ist aufgeteilt in eine CD mit nahezu sämtlichen Hitsingles und einer weiteren, die populäre Albumtracks und rare Cuts vorstellt. Mit diesem Konzept wurde im Grunde die Chance ein wenig vertan, die Wings als formidable Popband zu rehabilitieren. Während seine Ex-Beatles-Kollegen nach immer verquereren Elaboraten sich schließlich als Hausmann verdingten, ins Filmgeschäft abdrifteten oder einfach die Grenzen ihres minimalen Talents erkannten, schielte Paul mit dem facettenreichen Konzept der drei letzten Beatles-Alben im Hinterkopf-noch immer auf vordere Chartsplätze, unterzog sich als oft gescholtenes Pop-Chamäleon immer wieder neuen Häutungen, wagte es, was puristische Gemüter wohl als unverzeihlich betrachteten, sich im Glam-Rock-Outfit („Hi Hi Hi“, Jet“,“Juniors Farm“, „Helen Wheels“), als Tongue-In-Cheek-Discotänzer („Goodnight Tonight“) oder als New Wave-Apologet mit Hang zur Selbstironie („Coming Up“) zu präsentierten. Selbst für populäre Marketingaktionen wie den superben Soundtrack zum ersten James Bond-Abenteuer mit Roger Moore, „Live And Let Die“ ’73), oder den selbst produzierten, zugegeben, stinklangweiligen Kinofilm „Give My RegardsTo Broad Street“ (’84), der mit „No More Lonley Nights“ abermals einen weltweiten Top 10-Knüller fabrizierte, war sich Paul nicht zu schade. Andererseits demonstrierten sentimentale,in Reihe hingepinnte Ohrwürmer wie „My Love“,“Mull Of Kintyre“,“Pipes Of Peace“,“Let ‚Em In“ oder „With A Little Luck“ McCartneys Versuch, noch einmal ein „Yesterday“ oder „Michelle“ aus dem Ärmel zu schütteln. Dem gleichen unerschütterlichen Ehrgeiz ist es zu verdanken, dass das unter erschwerten Bedingungen (kurz vor Abreise verdrückten sich zwei Bandmitglieder, Paul und Linda wurden auf offener Straße überfallen und sämtlicher Demos beraubt!) in Lagos, Nigeria, eingespielte BAND ON THE RUN – mit fünf Auszügen (u.a. „Let Me Roll It“, „Bluebird“, „Band On The Run“) vertreten – überhaupt entstehen konnte. Gelang McCartney doch mit diesem Konzeptwerk ein dem letzten Beatles-Opus ABBEY ROAD ebenbürtiges Album. Wohl nicht ganz so weit obenauf Pauls persönlicher Favoritenskala steht das nahezu gleichwertige Follow-Up VENUS AND MARS mit gerade mal drei Songbeispielen (u.a. „Listen To What The Man Said“ und „Call Me Back Again“). Dass er sein von der Kritik gescholtenes Solodebüt von 1970 mit sage und schreibe fünf Tracks im Nachhinein zu legitimieren versucht, ist wohl nur auf seinen erstaunlichen, oft kolportierten Dickkopf zurückzuführen. Bis auf das phantastische „Maybe I’m Amazed“ – vielleicht Pauls bester Song überhaupt -, ursprünglich für eine weitere, nie produzierte Beatles-LP angedacht, lässt sich der Rest (u.a. „The Lovely Linda“, „Every Night“, „Man We Was Lonely“) mit dem Titel des ebenfalls enthaltenen „Junk“ trefflich umschreiben. Bei dem gern in den gleichen Topf geworfenen ’71er Nachfolger RAM hingegen handelt es sich um ein übersehenes kleines Meisterstück, das den Vergleich mit Lennons IMAGINE nicht zu scheuen braucht. Exemplarisch stehen „Back Seat Of My Car“, „Too Many People“, „Heart Of The Country“ und die Pop-Suite „Uncle Albert/Admiral Halsey“ für ein hochwertiges Album mit Pauls rustikalländlichen Impressionen im Geiste von Bob Dylan und The Band. Spekulationen darüber, ob McCartney ohne die schwere Bürde des Beatles-Erbes überhaupt eine Chance als Komponist, Musiker, Sänger und Bandleader gehabt hätte, sind selbst nach dem Genuss der Songs aus den eher mittelmäßigen Alben WILD LIFE, RED ROSE SPEEDWAY, WINGS AT THE SPEED OF SOUND, LONDON TOWN, BACK TO THE EGG, MCCARTNEY II, TUG OF WAR und GIVE MY REGARDS TO BROAD STREET müßig, da sich noch heute jede überdurchschnittliche Brit-Pop-Band glücklich schätzen dürfte, ein Talent wie MCartney in ihren Reihen zu haben. Auch der oft gehörte Vorwurf, Paul wäre ohne Johns aggressiven Zynismus der totalen Seichtigkeit anheim gefallen, wird alleine schon schon durch den Meilenstein BAND ON THE RUN widerlegt. Schade nur,dass die mit zwei CDs knapp bemessene Kollektion zwangsläufig einige Details, u.a. die kontroverse Frühsiebziger-Single „Give Ireland Back To The Irish“, den vertonten Nursery Rhyme „Mary Had A Little Lamb“, oder die Songs des ambitionierten Triple-Livealbums WINGS OVER AMERICA ausklammert. Zu Weihnachten soll aber dann eine komplette Werkschau inklusive unveröffentlichter Aufnahmen als 4-CD-Box zum gleichen Thema erscheinen, www.paulmccartney.com back-katalog