Pink Floyd :: Piper At The Gates Of Dawn: 40th Anniversary Edition

Syd Barretts Vermächtnis: Jubiläums-Ausgabe des Brit-Psychedelic-Klassikers von 1967 in 3-CD-Deluxe-Edition.

Es gibt Genies, die brennen kreativ über einen kurzen Zeitraum lichterloh, um dann ebenso schnell wieder zu verlöschen. 13th-Floor-Elevator-Gründer Rocky Erickson zählt ebenso zu diesem Kreis wie Moby-Grape-Initiator Skip Spence, Seeds-Frontmann Sky Saxon sowie der 2006 verstorbene Syd Barrett, Spiritus Rector des späteren Prog-Rock-Dinosauriers Pink Floyd. Ohne Barretts „Russisches Roulette“ mit seinen Sinnen durch ein selbst auferlegtes LSD-Langzeit-Experiment von Herbst 1966 an wäre das Debüt von Pink Floyd sicherlich weit weniger brillant ausgefallen. Nahezu jeden Tag verabreichte sich der ehemalige Kunststudent hohe Dosen des 1938 von Chemiker Albert Hoffmann aus dem Mutterkorn derivierten Halluzinogens. Binnen weniger Monate machte das zwischen Blues und Pop belanglos oszillierende Quartett einen musikalischen Quantensprung, verwandelte sich zum bahnbrechenden Original, legte nach zwei exzellenten Singles („Arnold Layne“, „See Emily Play“) den Meilenstein The Piper At The Gates Of Dawn vor, der zu der Zeit entstand, als die Pop-Platzhirsche The Beatles eine Tür weiter in den Abbey Road-Studios Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band produzierten. Dass sich die Pforten der Wahrnehmung nicht ohne größere Opfer aufstoßen ließen, betonte schon LSD-Guru Timothy Leary: „Die Droge hat drei Begleiterscheinungen: verbessertes Langzeitgedächtnis, abnehmendes Kurzzeitgedächtnis und die dritte habe ich vergessen.“

Das Album The Piper At The Gates Of Dawn, das in der Neuauflage digital von James Guthrie remastert wurde, wurde augenzwinkernd benannt nach dem siebten Kapitel von Kenneth Grahames Kinderbuchklassiker „Der Wind in den Weiden“, das zu Syd Barretts Lieblingsbüchern zählte. Das Album besteht mühelos den Test der Zeit – elf Stücke, weniger Songs als Stimmungsbilder, manchmal nur exaltierte Klangcollagen und Lichtjahre vom Pop-Einerlei jener Ära entfernt. Acht davon steuerte Barrett bei, die zum Besten zählen, was der Summer Of Love 1967bereithielt. Versponnene Geschichten, in deren Mittelpunkt sich ein „Gnom“, Barretts Kater „Lucifer Sam“, eine Vogelscheuche („Scarecrow“) und ein mit Seele ausgestattetes Fahrrad als Akteure tummeln. Geschrieben im absurd-kauzigen Stil englischer Romanciers wie Kenneth Grahame, Lewis A. Carroll („Alice In Wonderland“) und A. A. Milne („Winnie The Pooh“): Syd Barrett schuf eine Fabelwelt voller Elfen, Feen und Zwerge. Er verbrachte Tage damit, aus Fragmenten seines Notizbuchs fertige Songtexte für verquere Akkordfolgen zu basteln. Die Aufnahmen begannen im März 1967 und setzten sich bis Anfang Juli fort, immer wieder unterbrochen durch den intensiven Tourplan. „Nachdem er den letzten Song fertig gestellt hatte, ging es merklich mit ihm bergab, die Kommunikation gestaltete sich immer schwieriger“, weiß Norman Smith von der Studioarbeit zu berichten. Ohnehin hielt der Aufnahmeprozess so manche Hürde für den Produzenten und seine Arrangeure bereit. Etwa die, dass Barretts Songskizzen vom Moment abhingen: „Innerhalb einer Viertelstunde änderte Syd Harmonien gleich mehrmals.“ Der spätere Floyd-Tyrann Roger Waters steuerte nur eine einzige Komposition bei: das schräge „Take Up Thy Stethoscope And Walk“, weniger ein richtiger Song als vielmehr ein monotones Riff. Auch die als Kollektivarbeiten angegebenen zwei Instrumentals, das Jazz-Scat-Gesang andeutende „Pow R. Toc H.“ und das Opus Magnus „Interstellar Overdrive“, gehen auf Barrett zurück.

Doch einigte man sich gruppenintern auf Tantiemensplitting, damit jeder daran verdienen konnte. Barretts Perfektionismus erstreckte sich selbst auf die Abmischung des Albums. Bei der lange vom Markt verschwundenen Monoversion etwa, die den zweiten Silberling der 40th Anniversary Edition mit einem von Grafik-Designer Storm Thorgerson gestalteten Cover einnimmt, saß er tagelang und dirigierte die Effekte, wie Toningenieur Peter Brown berichtet.

Als das Album schließlich am 5. August 1967 veröffentlicht wurde, verpackt in eine psychedelische Fotografie von Vic Singh, erhielt es Lob von der gefürchteten Londoner Journaille. Kritik äußerte hingegen die eingeschworene Clique des U.F.O.-Clubs, jenem Szene-Club in der 31 Tottenham Court Road in London, dem Pink Floyd seit Monaten als Band-Maskottchen dienten. Die hielten das Werk für Verrat an der ursprünglichen Idee, lehnten allerdings auch kategorisch die auf Disc 3 beigefügten Single-A- und B-Seiten „Arnold Layne“, „See Emily Play“ und „Apple And Oranges“ (in der Mono- und der Stereo-Version) ab. Dementsprechend lässt sich die Behauptung, dass Joe Boyd, Produzent von „Arnold Layne“ und U.F.O.-Mitbetreiber, der eigentliche Mann hinter dem Floyd-Sound sei, nicht ganz von der Hand weisen. Boyds wesentlich stringenter produzierter Take II von „Interstellar Overdrive“, eine weitere Überraschung auf der dritten CD der „40th Anniversary Edition“, unterstreicht diese These. Ein Mysterium bleibt allerdings, weshalb die als dritte Barrett-Single geplanten, aber zurückgezogenen Songs „Screarn Thy Last Scream / Vegetable Man“ weiterhin in den EMI-Archiven verkümmern.