Rocko Schamoni :: Tag der geschlossenen Tür

Wenn dir St. Pauli auf den Geist fällt. Michael Sonntag leidet auch mit Ende 30 weiter an sich und der Welt.

Im Video zum Song „Wenn dir St. Pauli auf den Geist fällt“ fährt Frank Spilker, der Sänger der Hamburger Band Die Sterne, mit dem Rasenmähtraktor über das Spielfeld des leeren Millerntorstadions – die Titelzeile bekommt so einen Zug ins Verträumte, Melancholische. Wenn Michael Sonntag, dem Ich-Erzähler von Rocko Schamonis neuestem Roman, St. Pauli auf den Geist fällt, hört sich das deutlich wütender an. Es ist mal wieder Schlagermove: „Sie kommen zu uns und bematschen St. Pauli. Mit ihrer Musik, ihrem Müll, ihrem Urin, dem Sperma und den Exkrementen, die als Zeichen ihres Sieges zurückgelassen werden.“ An anderen Stellen des Buches schimpft Sonntag über Motorradgottesdienste, Rauchverbote und überhaupt: „Ich vermisse das Unnütze hier in diesem Viertel und in der ganzen Stadt immer mehr. Ich liebe das Unnütze, denn schließlich bin ich ein Teil davon.“

Leser von Schamonis vorherigem Roman, „Sternstunden der Bedeutungslosigkeit“, werden nicht nur die Hauptfigur Michael Sonntag wiedererkennen, sondern auch dessen Weltekel. Inzwischen ist er ein Enddreißiger, aber einen Sinn des Lebens hat er nicht gefunden und sucht auch nicht sonderlich ernsthaft danach. Er setzt gelegentlich Kolumnen für die Stadtzeitung ab, sammelt Verlagsabsagen für Romananfänge und muss sich der immer absurder werdenden Geschäftsideen seines Kumpels Novak erwehren. Sonst passiert nicht viel, sodass reichlich Zeit bleibt für die Pflege von hypochondrischen Krankheiten, unausgesprochenen Liebeswünschen und eigensinnigen Selbstbeschäftigungsmaßnahmen – wie etwa als Guerilla-Museumswärter. All das ist beschrieben in kurzen, anekdotischen Kapiteln, die mal ins Slapstickhafte, mal ins Albtraumhafte wandern.

Dieser stete Fluss der Negativität entwickelt einen Sog; unterbrochen wird er durch unerwartete und vom Protagonisten fast unerwünschte zärtliche Momente, die zeigen, dass hinter dem vorgeblichen Menschenfeind Sonntag in Wahrheit eine Art Humanist steckt. So ist auch der Hass auf die Eventisierung und Funktionalisierung seines Viertels zu verstehen. Rocko Schamoni ist nicht nur Betreiber des Pudelclubs und Teil des Humoristenkollektivs Studio Braun, sondern auch eines der Sprachrohre der in Hamburg und anderswo virulenten Anti-Gentrifizierungsbewegung. In diesem Roman macht er klar, dass die Veränderung der Städte nicht nur eine Frage der Architektur ist, sondern auch die Seelen der Menschen, die in ihnen wohnen, betrifft. In Städten, in denen Menschen wie Michael Sonntag keinen Platz mehr finden, würde man nicht leben wollen. Das Unnütze gehört dazu.