Talking Heads :: Talking Heads 77; More Songs About Buildings And Food; Fear Of Music; Remain In Light

New Wave: Der erste Schub einer Generalretrospektive im klangtechnisch optimierten Double-Disc-Format.

In einer Ära der Retrokultur, die via Zitat auf alles zurückgreift, was sich als halbwegs substantiell erweist, scheint es angebracht für Bands, sich seihst in Erinnerung zu bringen, bevor man sich als Hintergrundbeschallung in Supermärkten, Kaufhäusern und Fahrstühlen oder aber in Basiskonzepten junger Bands wie Franz Ferdinand, Arcade FireundClap Your HandsSay Yeah wiederfindet.

Die Talking Heads, die als New-Wave-Pioniere künstlerische Innovation mit inhaltlichem Anspruch zu verbinden wußten und zeitweise als der Pop-Avantgarde-Weisheit letzter Schluß galten, haben nach mehr als drei ahrzehnten nichts von ihrer Verschrobenheit und Genialität verloren. Seit ihren Gründungstagen versteht sich die Band als Gesamtkunstwerk, bedienen sich die Musiker als Absolventen einer Kunstakademie schon früh der Ästhetik des Videoclips. Da erstaunt es nur wenig, daß der erste Schub der von Kevboarder und Gitarrist Jerry Harrison überwachten Retrospektive aller acht Studiowerke die jeweiligen Promo-Filmchen enthalten. Zusätzlich zum Originalalbum finden sich auf jeder CD diverse unveröffentlichte Bonustracks (AJternate Versions, Acoustic Demos), während der audiovisuelle DVD-Twin in 5.1. Surround-Qualität nachlegt, Songtexte, Fotogalerien und bewegte Bilderbringt.

Spektakulär schon die Initiation: TALKING HEADS 77 4 – wie auch die in etwa zeitglcich erschienenen Debüts von Blondie, Ramones, Television, Patti Smith undSuicide- fußt auf der Basis von Punk, Pop und Kunst. Unter Anleitung von Produzent Ed Stasium zimmert sich das Quartett ein ureigenes Fundament, tönt hemdsärmelig, aber auch futuristisch. Der Einstieg in die Weh deT Talking Heads ist ein herausforderndes Hörerlebnis: verwegene Harmonien, unterlegt mit Stolperrhythmen. Tempiwechseln sowie David Byrnes hyperventilierenden, hysterischen Vokalismen, die inhaltlich zwischen politischem Bewußtsein („Don’t Wottv About The Government“), kryprischer Verschwommenheit („TentativeDecisions“) und naivem Liebreiz (die Non-Album-Single „Love/ Building On Fire“) oszillieren. Schließlich noch die No-Disco-No-Funk-Hymne „Psycho Killer (Qu’est-ce que ce)“.

Im Juli 1978 folgt der zweite Streich, verpackt in ein mit 529 Polaroid-Close-ups gestaltetes Cover. MORE SONGS ABOUT BUILDING & FOOD 4 behält die Rezeptur bei, hinterläßt unter dem Einfluß des von nun an produzierenden britischen Querdenkers Brian Eno einen nahtlosen Gesamteindruck. Songs geraten lebendiger, Gitarrenspuren nicht mehr ganz so ruppig-schroff, und Byrne kultiviert die Nervosität und Unsicherheit als Tugend. Die eigenartige -Rhythmus-Section formt sich unter Enos Obsession für unheilige Stilkombinationen in den Compass Point Studios auf den Bahamas zum anti-stromlinienförmigen No Wave Funk. Die als Single ausgekoppelte Coverversion von AI Greens „Take Me To The River“ tönt fast besser als das Original, während ,.The Big Country“ sarkastisch das Leben durchschnittlicher US-Amerikaner beobachtet.

Einen fast radikalen Bruch liefert fear OF music 5 im August 197g. Inspiriert durch den Soul/ Funk der Afroamerikaner, aber auch mit zaghaften Annäherungen an das Genre World Music, entwickelt sich das Konzept in Richtung Experiment. In exotischer Atmosphäre und einer bedröhnt machenden Tanzbarkeit beschwören die Talking Heads archaische Rauschzustände -von der laurmalerischen afrikanischen Rhvthmusstudie „I Zimbra“ über stakkatohafte Impressionen mit Titeln wie „Mind“, „Cities“, „Heaven“ und „Drugs“ bis hin zum distanziert-ironischen Blickwinkel der45er „Life During Wartime“. FEAR OF MUSIC fungiert imTH-Kanon aber auch als Übergangs werk auf dem Weg hin zum absoluten Manifest, zum Meilenstein: REMAIN IN LIGHT 6 präsentiert die Band unter komplett veränderten Vorzeichen. Die Besetzung erweitert sich um Musiker wie Gitarrist Adrian Belew und Trompeter Ion Hassell. Komplex verwebt sich Polyrhythmisches in Wall-Of-Sound-Arrangements zu einer kunstvollen Musik, die der Popwelt eine Absage erteilt. Klassisches Songwriting rückt in den Hintergrund. Genre-Zuweisungen lassen komplexe Songs wie „The Great Curve“ und „House In Motion“ nicht zu. Byrnes Texte entziehen sich mehr denn je einer Interpretation – dennoch entwickelt sich „Once In A Lifetime“ zum Kulthit. Dazu: vier erstklassige Outtakes aus dem Byrne-Eno-Projekt viY LIFE IN THE BUSH OFGHOSTS. Die mehrmonatige Aufnahmephase hinterläßt Spuren: Bis 1983 legen die Talking Heads eine Pause ein, die eine erneute Metamorphose nach sich ziehen wird.

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