The Beatles :: The Capitol Albums Vol. 2

Pop: Ausgabe zwei einer mehrteiligen Box-Set-Reihe: Wie die Fab Four Amerika eroberten und warum Europa kopfschüttelnd dabei zusehen mußte.

Seit Dezember 2004 spaltet sich die weltweite Beatles– Fangemeinde in zwei Lager. Aufgeregt wird in Foren und in Blogs über Pro und Contra einer mehrteiligen Boxset-Reihe diskutiert, die mit THE CAPITOL ALBUMS VOL. 1 ihren Ausgangspunkt fand. Die Gemüter werden erregt durch die amerikanischen Ausgaben der Beatles-Alben, die sich bis zum Jahr 1967 erheblich von den europäischen unterschieden. Ihre Freude bringen in erster Linie jene Amerikaner zum Ausdruck, die nach fast 20 Jahren endlich wieder die US-Versionen der Fab-Four-Alben in Händen halten dürfen. Auch die Mehrheit der europäischen Fans gerät über die sinnvolle Ergänzung ihrer an sich schon stattlichen Sammlungen ins Schwärmen immerhin wird so auf luxuriöse Weise der Hunger nach „neuem“ Beatles-Produkt gestillt. Doch es gibt auch eine puristisch ausgerichtete Gruppierung beiderseits des Atlantiks, die bei The Capitol Albums Vol. 2 abermals „eklatante Geschichtsfälschung“ und „Zwangsmarginalisierung“ der Liverpooler Pop-Kreuzritter wittert.

Der Aufwand, der hier betrieben wird, ist enorm: Hochwertige Longbox im Slipcase-Format, die vier CDs in Pouchette-Covers (Mini-Sleeves), dazu ein 54-seitiges Booklet mit Anmerkungen von Beatles-Spezialist Bruce Spizer plus rare Fotos. Zudem finden sich die digital optimierten Tracks gleich zwei Mal: in der Mono-Fassung, und im gesuchten Stereo-Mix. In einigen Fällen auch im Duophonic Sound – eine in den Pioniertagen der High Fidelity kurzzeitig durchaus übliche Praxis der elektronischen Nachbearbeitung von Aufnahmen zwecks Erzeugung eines gefakten Stereo-Effektes. Reichlich gewöhnungsbedürftig ist es dennoch, liebgewordene Originale im völlig ungewohnten Klang zu hören. Die bis dahin wohlgeordnete Beatles-Welt hängt nach dem ersten Durchhören in Fransen. Aus drei europäischen Langspielplatten, auf denen Hitsingles nicht zu finden waren, weil John, Paul, George und Ringo es als Betrug erachteten, ihren Fans zweimal Geld aus der Tasche zu ziehen, wurden vier US-Alben zusammengeschustert: THE EARLY BEATLES, BEATLES VI, HELP Und RUBBER SOUL. Nur zwei von vier Albumtiteln sind in Europa geläufig. Und es fehlen Songs: HELP muß ohne „Yesterday“, „Act Naturally“ und „It’s Only Love“, RUBBER SOUL gar ohne „Drive My Car“, „Nowhere Man“ und „What Goes On?“ auskommen. Mit A Hard Day’s Night fiel – schändlich zerrupft und zerteilt ein ganzes Album der Schere zum Opfer.

Frühes, nach dem Durchbruch der Beatlemania von Capitol aus den Klauen von US-Billig-Labels wie Vee-Jay, Swan und Tollie geklaubtes Material wie „Love Me Do“, „Please Please Me“, „Do You Want To Know A Secret“ und „P.S.: I Love You“ unterzog man einer besonderen Tortur: Künstlich klangveredelt mit bis zum Anschlag aufgedrehtem Hall, konsequent aufbereitet von einem Genie namens Dave Dexter Jr., der auch noch die Frechheit besaß, Produzent George Martins Namen aus den Credits zu streichen – freilich alles, ohne Zustimmung der Beatles und ihres Managers Brian Epstein. Über so viel Unbill helfen allerdings Ringos noch nie so plastisch klingende Extravaganzen in „Every Little Thing“, Pauls melancholisch interpretiertes „A Taste Of Honey“ und energisch verabreichter Good Time Rock’n’Roll wie „Dizzy Miss Lizzy“, „Twist And Shout“ und „Kansas City“ hinweg.

Der Eindruck des Andersartigen und Unbekannten entkräftet sich letztendlich zwar ein wenig, aber beim Anblick krude durcheinander gewirbelter Tracklistings auf seltsam betitelten Longplayern wie THE EARLY BEATLES, 3 Sterne, und BEATLES VI, 3 Sterne befällt einen das kalte Grausen: Belanglosigkeiten wie „Baby It’s You“, „Anna (Go To Hirn)“, „Chains“, „Words Of Love“ und „Yes It Is“, die mehr an eine kreuzbrave Coverband beim Sonntagnachmittagstanztee erinnern, als an die manischen „Boys“ der Star Club- und Cavern-Ära, die das Sozialverhalten junger Menschen der westlichen Welt für alle Generationen nachhaltig prägen sollten, wurde von den Amerikanern der Vorzug gegeben. Selbst das vergleichsweise harmlose „Eight Days A Week“ nimmt sich auf Beatles VI aus wie ein nitroglyzerinhaltiger Fremdkörper, der versucht ist, ein belangloses Medley spießiger Nettigkeiten zu sprengen. Schließlich schien ja das biedere Sittenbild der Amerikaner, angesichts so wilder, langhaariger Teufel aus dem fernen Großbritannien, ernsthaft in Gefahr zu sein. Dank derart eklatanter Einschränkungen avancieren selbst rare bis kuriose Novitäten zum Hauptgewinn: Help!, 4 Sterne, enthält neben sieben Originalen auch den über zwölf Minutenlangen instrumentalen Soundtrack-Score. Schmalzige Geigenfanfaren, fesche Tiroler Marschmusik, hippe James Bond-Impressionen und von indischen Studiomusikern fernöstlich auf der Sitar Gezirptes. Und jenes Werk, das Beach Boy Brian Wilson zu PET SOUNDS ermutigte, was wiederum die Beatles antrieb, sich Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band auszudenken, klingt in der US-Version-ebenfalls um einige Songs beraubt – merklich softer: RUBBER SOUL, 5 Sterne. Der Opener „I’ve Just Seen A Face“ stammt ebenso vom Vorgänger HELP wie „It’s Only Love“. Um den Monomix von „I’m Looking Through You“ gab es schon im Vorfeld der Box-Veröffentlichung einen kleinen Eklat, weil es sich, zumindest bei einem Teil der ersten Auflage, wohl um eine Fehlpressung handelt. Originale wie „If I Needed Someone“, „Drive My Car“ und „Nowhere Man“ sucht man vergebens und muß auf einen weiteren US-Verschnitt namens Yesterday… And Today warten. Und spätestens hier wird klar, daß The Capitol Albums Vol. 3 mit den Sonderausgaben von Revolver und Magical Mystery Tour garantiert bald kommen wird.

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