The Clash :: London Calling: 25th Anniversary Edition

Das größte Rock-Album des 20. Jahrhunderts als Jubiläumsausgabe - mit ausnahmsweise wirklich sensationeller Beilage.

Auf Jack, den Plattenhändler meines jugendlichen Vertrauens, habe ich ein einziges Mal nicht gehört. Am 20. Dezember 1979 sagte er: „Lass das lieber. Die ist eher poppig.“ Ich habe London Calling trotzdem gekauft und den folgenden Winter und die folgenden 25 Jahre mit der besten Platte aller Zeiten verbracht, ohne ein einziges Mal ernsthaft nachzudenken, ob vielleicht eine andere Platte besser sein könnte.

Es hat fast ein Jahr gedauert, bis Seite vier zum ersten Mal unter den Saphir kam (weil schon Seite eins bis drei so himmelarschmäßig gut waren), und fast 25, bis ich was gefunden habe, was als „Seite fünf durchgehen könnte (die Libertines, aber das lassen wir jetzt). Also: Was ist so gut an LONDON CALLING? Musik, Texte, Produktion, Atmosphäre, Ausstrahlung, Attitüde, Cover, die beteiligten Menschen, noch was anderes? Alles zusammen und noch vieles andere, was sich nicht festnageln lässt. Kurz: Es kommt in der Popmusik darauf an, wer etwas macht, was er macht, wie, wo, wann, mit wem und warum. Und wenn alles hundertprozentig passt, dann kommt LONDON CALLING raus, das größte Popmusik-Album aller Zeiten. Punkt.

Nun gibt es die Platte als eine dieser beliebten „Editions“, was heißt, dass sie möglicherweise „remastered“ sein wird oder auch nicht, ist ziemlich wurst; das Vinyl-Original klingt nach wie vor am besten. Des Weiteren muss bei so etwas heutzutage eine DVD hinzu, mit „Footage“ und derlei Sachen. Das ist schön und erfreulich , doch wäre es noch schöner und erfreulicher, wenn endlich jemand eine DVD-„Edition“ machen würde, in der einfach alles drin ist, was es von Clash an Gefilmtem gibt, aber gut, auch das ist nebensächlich. Die wirkliche Sensation ist die zweite CD mit den „Vanilla Tapes“, die entstanden im Frühsommer 1979 und gingen „verloren“; Näheres nebenan. Dieses unauftreibbare Objekt brennender Begierde jedes Clash-Bootleg-Sammlers gibt es nun also (nicht vollständig, aber zumindest mit den „besten Versionen“ aller Songs: 21 von 37 erhaltenen Tracks) auf Datenträger, und was da ertönt, ist weit mehr als Vorbereitungsarbeit für ein Album. Es ist ein fesselndes, elektrisierendes, höchst aufschlussreiches Dokument der Entstehung von Popmusik in einer Zeit, als Popmusik vollkommen anders entstand als „normal“, als sie auch eine vollkommen andere Bedeutung hatte (das eine bedingt das andere).

Einige Songs waren im Grunde „fertig“ und mussten bloß noch gespielt werden, und wenn man die Demoversionen von „Lost In The Supermarket“, „I’m Not Down“ und „Four Horsemen“ hört, meint man die Schmierblätter förmlich zu sehen, die Mick Jones vorsieh liegen hat; man erahnt, wie da gekritzelt, umgestellt, an Texten gefeilt wurde, und erstaunt stellt man (mal wieder) fest, was für ein großartiger Songwriter der Kerl war, wie genial er in seinen besten Clash-Songs diese explosive Verbindung von Emotion und Pose hinbekam, die wir Rock’n’Roll nennen. Dann gibt es Songs wie „Guns Of Brixton“ („Paul’sTune“), die während der Sessions „von selbst“ entstanden, und wieder ist der Eindruck filmisch: Man glaubt, dabei zu sein, wie Mick und Joe im Raum herumrennen, sich gegenseitig Akkorde zeigen, schimpfen (wenn mal wieder jemand was nicht spontan kapiert) und lachen (wenn alles hinhaut und mehr rauskommt, als vier Leute hineinstecken können). „Es war wie Pingpong, mit der Musik als Ball“, sagt Paul Simonon. Manchmal waren auch er und Topper Headon zuerst da und spielten drauflos-der Autodidakt (der erst seit drei Jahren wusste, wie man einen Bass hält, und jetzt Jazz, Reggae und Funk spielen wollte, als wäre es nichts) und der erfahrene Alles-Trommler. Was für eine fantastische Rhythmusgruppe diese Kombination ergab, wie großartig diese Band insgesamt spielte und war und was für eine Lebendigkeit. Freude, Freiheit, Wut, Intelligenz, Natürlichkeit und, ja mei: Genialität sie ausstrahlte- das kann man sich nicht vorstellen; man muss es hören.

Zu guter Letzt gibt es noch den Heiligen Gral der Nerds: die unveröffentlichten Songs. Ein (Punkrocker: bitte hinsetzen!) Bob-Dylan-Cover („The Man In Me“ von NEW MORN1NG hier im Arrangement der Brit-Reggae-Pioniere Matumbi) und vier Originale: „Heart And Mind“ (ein Rocker, der deutlich an „Cheapskates“ erinnert und den ioiers-„Hit“ „Keys To Your Heart“ zitiert), „Where You Gonna Go (Soweto)“ (entspannter Reggae), „Lonesome Me“ (Country-Punk) und das eher belanglose Bluesrock-Instrumental „Walkin‘ The Slidewalk“. Warum keines davon es aufs Album schaffte, ist nachvollziehbar; schon deshalb hört man sie gerne. Ebenso „Remote Control“, weil es die unglaubliche Entwicklung zeigt, die Clash in kaum drei Jahren durchgemacht hatten. Wir sammeln uns und stellen fest: Menschen, denen Popmusik nicht mehr bedeutet als ein Hintergrundgeräusch beim Autofahren und Einkaufen, müssen diese Demos nicht hören. „