Revolver Aus Samt


Von wegen Hippie: Für sein neues Album streckt sich der Freakfolker Devendra Banhart auch in Richtung Reggae und Jazz - und wäre gern der nigerianische Adam Green.

Natürlich ist auch an die Hauptstadt-Touristen gedacht worden: „Born to die in Berlin“ steht in Anspielung an einen Song auf diesen hässlichen, schwarzen Ramones-T-Shirts geschrieben, die eine komplette Kleiderstange belegen. Das Ramones-Museum in Berlin-Mitte ist heute für den Fanverkehr geschlossen, der einzige Hauptstadttourist, der hier aufläuft, heißt Devendra Banhart. In seiner knielangen Strickjacke und der Wollmütze steht er gerade im falschen Film, er fasst eines der Punkrock-Leibchen an, prüft das nächste und wandert ins Zentrum der Ramones-Sammlung, um uns etwas mitzuteilen: „Ramones – das ist die Musik, die mich in der Nacht berührt.“ Man spürt, wie es in ihm arbeitet; Devendra Banhart hat gerade einen hübschen Gedanken entwickelt, den er gleich rausschicken wird.

„Die Ramones bringen den Friedhof der Libido wieder zum Leben, all die Knochenzombies. Mitten in der Nacht machen sie eine Party. Danke, Ramones!“

Das war jetzt ein echter Banhart. Das feinghednge, langhaarige Wesen vor mir ist ein Gesamtkunstwerk aus Wort, Musik, Bild und Bart. Interviews mit dem ersten offiziellen Pin-up des sogenannten Freakfolk pendeln zwischen Wahrheit und Dichtung, der Künstler plaudert genauso aus dem Nähkästchen wie aus dem großen Phantasialand, das er zu gegebener Zeit anzapft, um den Gesprächspartner mit bizarren Beschreibungen zu überraschen. Dann griemelt er kurz und gesteht: “ Ich weiß, da sind mal wieder die Pferde mit mir durchgegangen, aber klingt doch cool, oder? „

Was unbedingt auch wieder tür das neue Album WHATWILL WE BE gilt, die erste Major-Company-Veröffentlichung des 28-Jährigen, Grundsätzlich scheint alles beim Alten geblieben, die Band, die Idee, der Sound. Banhart trommelte seine Liebsten und Besten für die Platte zusammen, um die Wonnen des Vereinslebens zu erfahren, Langzeitkumpel Noah Georgeson (Gitarre), Greg Rogove (Drums) und Lucky Remington (Bass, Gesang) sind dabei; festes Vereinsmitglied ist inzwischen auch Rodrigo Amarante von Little Joy (Gitarre, Gesang). Es gibt aber zwei, drei Songs, mittels derer sich die Band aus dem wuchernden Psych-Folk-Universum katapultiert und plötzlich im Jazz und Rock landet. Einer trägt den vielversprechenden Titel „16th & Valencia Roxy Music„. „Das ist gar nicht so meine Art von Musik, das ist auch sehr kommerziell“, sagt Banhart. „Aber der Song fängt diese Stimmung in den zwielichtigen Ecken von San Francisco so gut ein. Unbedingt dazu gehört auch: Roxy Music hören. Es beginnt mit einer Suche: Heute Nacht finde ich einen Lover, heute Nacht finde ich meinen Mann. Die Realität am Ende sieht ganz anders aus: kein Lover, kein Glück. Das ist ein fertiger Song, das Gemälde ist gemalt, die Arbeit war erfolgreich. Ein Marc Chagall: Du malst, bis etwas dich überrascht.“

Überrascht sein wird auch die Banhart-Fangemeinde, wenn sie tiefer in die neuen Songs hineinhorcht. Es gibt keine tanzenden Zähne und lachenden Zitronenbäume mehr, keine Bartwachslieder und Spinnenbeobachtungen im Schnee. Devendra Banhart ist heute im Hier und Jetzt angekommen. Für seine Verhältnisse jedenfalls. Sein Herz mag schief hängen und seine Seele flattern, aber der Anteil psychedelischer Seepferdchensongs und ins Surreale driftender Waldund Wiesendeutungen ist doch merklich zurückgegangen. Das sei noch nicht einmal mit Absicht passiert, meint Banhart im Interview. „Der ,/tsy-bitsy Spider‘ war ein gutes Insekten-Lied, ein Klassiker. Wenn ich so ein Lied diesmal geschrieben hätte, wäre es auch auf das Album gekommen.“

Das barocke Wimmern und Winseln ist aber geblieben. Es ist Teil seiner fürstlichen Aura. Devendra Banhart umgarnt seine Gemeinde mit einem effemimerten Falsett, das immer auch Rätsel aufgibt. Er surft ganz elegant durch den Geschlechterrollen-Parcours. Man machte es sich nur zu einfach, Devendra Banhart als Neoblumenkind in albernen Frauenklamotten zu beschreiben, er möchte uns nur für die planetarische Wende erwärmen: für Liebe, Frieden und Freiheit.

Aber Obacht, sage nie Hippie zu Devendra Banhart. „Ich bin kein Hippie. Ich bin ein afrikanischer Revolver aus Samt. Ich wäre gern als nigerianischer Adam Green bekannt geworden. Nenn‘ mich die jamaikanische K. D. Lang. Oder den Anführer des fünften Skarevivals. Wir fahren zum Mond mit Skamusik.“ Das ist nun schon wieder eine ziemlich exakte Beschreibung des finalen Tracks auf WHAT WILL WE BE. Die Band jammt sich durch so ein Roots-Ding im Rocksteady-Sound („Da haben wir gute Arbeit geleistet, was?“), das nur noch nach einem passenden Adjektiv verlangt – stoned.

Berauschend ist bei Banhart schon die Biografie, oder das, was er als solche ausgibt. Den Namen verdankt er einem indischen Mystiker, die ersten Lebensjahre verbringt er mit seiner Mutter in Venezuela. Später spielt Devendra Banhart in Restaurants und Schmuddelschuppen für ein paar Dollars, er reist durch die halbe Welt, bleibt in Paris hangen. Es hätte nicht viel gefehlt, so will die Legende das, und Banhart wäre kaum je einem größeren Publikum bekannt geworden. Eine entscheidende Rolle spielt dabei Vashti Bunyan. Der angebeteten Folksängerin schreibt er Briefe und E-Mails, damals ist er 17 und sucht jemanden, der ihm Mut macht. Devendra Banhart erzählt zur Abwechslung mal von früher. „Ich hatte einen Freund, der sich selbst zum Drummer ernannt hatte, er besaß zwei Drumsticks, wir spielten auf Schuhkartons, Blumentöpfen, Plastikteilen und Tellern. Damals war ich zwölf. Und ich fing an, über das zu singen, was ich beobachtete in meiner Umgebung: zum Beispiel meinen 80 Jahre alten Onkel unter der Dusche, was ein wirklich seltsamer Anblick war, weil er kastriert war.“

In seinen frühen Stücken hat er konsequent den Moment der Aufnahme festgehalten, die Zikaden, die singen, ein Auto, das hupt oder vorbeifährt. Viel schwieriger sei es gewesen, sich mit seiner Stimme rauszutrauen. Am Anfang hat er allein im Badezimmer gesungen, wenn niemand zu Hause war. „In den Klamotten meiner Mutter, yeah. Aber das hatte nichts mit Sexualität zu tun. Ich war acht damals, hörte Musik von Neil Young, den Rolling Stones und Guns N‘ Roses. Richtig männliche Stimmen, tiefe Stimmen. Ich war aber noch so klein und wollte singen. Was sollte ich tun? Als meine Mutter weg war, schlüpfte ich in ihr Kleid, flitzte ins Bad, drehte die Dusche auf, machte die Türe zu und sang. Wow, als Frau war ich gut, mit meiner hohen Stimme. So konnte ich singen. Plötzlich gehörte meine Stimme mir.“

Heute zählt Devendra Banhart zu den Aktivposten im Netzwerk der jüngeren US-Songwriterszene. Er ist der Strippenzieher in einer losen Gemeinschaft von Musikern, die sich um die Freakifizierung des Folk verdient machen und von den CocoRosie-Schwestern bis zu Six Organs Of Admittance und der Band seines Freundes Andy Cabic, Vetiver, reicht. Mit Beck nahm er einen Track für den Todd-Solondz-Film „Life During Wartime“ auf, mit Bert Jansen und Yoko Ono war er im Studio, mit Fab Moretti von den Strokes gründete er die komische Allstarcombo Megapuss. Auf Anfrage von Noel Gallagher remixte er sogar den Oasis-Song „(Get Off Your) High Horse Lady“. Und wenn Madonna mal ein Folk-Album machen sollte, wird sie Devendra Banhart anrufen oder sogar adoptieren, wer weiß. Devendra Banhart ahnt wahrscheinlich, wohin ihn die wachsende Popularität noch tragen kann. In einer Art Selbstschutz ironisiert er sein Auftreten von Zeit zu Zeit, spielt „Feel Just Like A Child“ unter dem grimmigen Grinsen der Ramones. Er zeigt mir seine Socken, zuerst den linken. „Ich habe Bob-Socken“ (mit dem Aufdruck „Bob“, Anm. d. Red.), „Devendra ist das Hindi-Wort für Bob.“ Dann zieht er das rechte Bein heran und zeigt mir den rechten Socken. „Das sind meine funky rooster rainbow socks.“