Rock im TV: Die Kinder von Peter Rüschel & Pepsi Cola


Der siechende Patient bekommt nun doch noch eine Infusion: Zwei neue Fernsehprogramme wollen beweisen, daß Musik und TV keine unvereinbaren Gegensätze sind. ME/Sounds ging der Frage nach, wie die altgedienten Macher altbekannte Fehler vermeiden wollen.

Ob öffentliche Anstalt oder privates Kommerzfernsehen – Rockmusik spielte in den TV-Programmen nur noch eine zweite Geige. Allenfalls in Nischen, sei’s zu nachtschlafener Zeit oder in sonntäglicher Herrgottsfrüh, duldete man die lärmigen Zeitgenossen. Traditionsprogramme wie die von dem österreichischen Team Rossacher/ Dolezal betreute „Musikszene“ wurden vom Ersten in die dritten Programme geschoben und dann ganz gekippt. Das unter Live-Bedingungen aufgezeichnete „Ohne Filter“, entwickelt und geprägt von Redakteur Michael Au, wird nach dessen Wechsel von Baden-Baden nach Köln 1990 nur noch sporadisch zu sehen sein. Die Privaten, anfänglich noch Hoffnungsträger, haben nach der Versuchsphase nahezu alle Experimente gestoppt. Wo Einschaltquoten das allein Seligmachende sind, werden Ratings-Schwächlinge sofort liquidiert.

Kein Wunder, daß „Tittensender“ RTL plus seinen „Rock TL“-Versuch nach einem Jahr beendete. Der Pop-Nachfolger „Ragazzi“ nimmt’s sehr leicht und versendet sich, ebenso wie das Tele 5-Pendant „P.O.P.“, zur Unzeit samstagnachmittags. Mal abgesehen vom Clip-Gehackten à la MTV, sah es zu Beginn der 90er nach musikalischer Hungerkur im Fernsehen aus. Doch, wie so oft: Dem Katzenjammer folgt derzeit behutsame Hoffnung.

Im Frühjahr 1990 flimmern gleich zwei neue Musiksendungen über die Mattscheibe: „Rocklife“, eine Coproduktion von WDR und HR, sowie „Music News“, ein von Pepsi gesponserter Programmneuling auf SAT 1.

Die Erstausstrahlung, erfolgt am 10. Februar, läßt hoffen. Alan Bangs. Moderator und Redakteur in Personalunion, sollte nach ursprünglichem Konzept bloß beratend mitwirken. Bis alle Beteiligten erstaunt feststellten, daß der populärsten Einer bereits mit am Tisch saß: Alan Bangs. „Von und mit“ heißt es folglich im Abspann der auf zwölf Sendungen angelegten, mit 25 Minuten arg kurzen Programmreihe.

Und dieses Vertrauen ist für Bangs ein Grund zur Freude. Denn in seiner Doppelfunktion kann er nun endlich ausspielen, was in der Vergangenheit durch teambedingte Demokratie oft kompromißlerisch verwässert wurde: eigener Geschmack und umfassende Kenntnis. „Ein siarres Konzept habe ich nicht – und will ich auch nicht. Es braucht schon zwölf Sendungen, um die Ideen, die man hat, adäquat umzusetzen“, sagt der 39jährige Wahl-Kölner. Unterstützt von Regisseur Christian Wagner (Ex“Rockpalast“) und ausgestattet mit dem nötigen Kleingeld, möchte er von wechselnden Musik-Schauplätzen berichten und anstelle der ausgelaugten Videos „durch andere Bilder“ überzeugen: „So wenig wie möglich moderieren, so oft wie möglich die Bilder sprechen lassen.“

Auch thematisch will er das Spiel ohne (enge) Grenzen: sei es, wie im Erstling, der Bericht über einen britischen Piratensender, seien es musikbezogene Phänomene wie Lifestyle oder Design. Redakteurin Uphues versteht sich bei diesem Bangs’schen Alleingang „als das gute Gewissen von SAT 1“, wohlwissend, daß es gegen Musikfanatiker wie Bangs kein probates Mittel gibt. Und Bangs ist mit seinen 25 Minuten glücklich: „Alles muß auf den Punkt gebracht werden. Tempo ohne Hast. „

Mehr Zeit gewährten die Fernseh-Fürsten den „Rocklife“-Redakteuren Peter Rüchel (WDR) und Gerd F. Schultze (HR): 60 Minuten mit Hintertürchen im Nachtprogramm. Alle 14 Tage – geplant sind 15 Sendungen im laufenden Jahr, ¿ DIE KINDER VON

unterbrochen von einer Sommerpause – werden die ARD-Partner zeitversetzt zu „Rücklife“ einladen, samstags um 23 Uhr im Dritten des WDR, zwei Tage später zur selben Zeit beim Hessischen Rundfunk.

Rüchel und Schultze, zu „Rockpalast“-Zeiten Teamkameraden des neuen SAT 1-Duos Bangs/Wagner, suchen ebenfalls nach Wegen, die Misere der Musikpräsentation im Fernsehen zu beenden. Das Konzept: komprimierte Livemitschnitte ohne konzertbedingte Durststrecken.

Basislager ist die Kölner „Live Music-Hall“. Dort werden Konzerte vor Publikum aufgezeichnet, die dann später im Schneideraum fernsehgerecht zusammengekürzt werden. Die wechselnden Moderatoren (bei Redaktionsschluß waren noch keine Namen bekannt) sollen zwischen Konzertmitschnitt und Magazin-Beiträgen thematische Brücken bauen und Begegnungen ermöglichen. Es wäre so recht nach dem Geschmack von „Rockpalast-Erbauer Rüchel, wenn „im Bermuda-Dreieck zwischen Bühne, Bildschirm und Konzerthalle“ Unerwartetes geschieht. Das können unorthodoxe Musiker-Paarungen sein: ein E-Gitarrist, der vor laufender Kamera mit einer akustischen Klampfe konfrontiert wird; der internationale Star, der mit der geplanten „Rocklife“-Hausband seinen Lieblingssong präsentiert.

Auch hier gibt es, so Gerd F. Schultze, „kein festes Reglement, aber eine klare Vorstellung, wie Rockmusik im Fernsehen präsentiert werden sollte – so live wie möglich und so mediengerecht wie nötig. Wer die „Sportschau“ kennt, weiß, daß man aus langweiligen 90 Minuten einen spannenden Zusammenschnitt machen kann. „Befreit von dem Druck, die Fernschnation einen zu müssen, befreit auch von der Einschaltquoten-Diskussion, wollen die „Rock-Life“-Macher gezielt nach neuen Wegen suchen.

Wohin diese Wege führen, weiß man spätestens nach dem Stapellauf am 7. April, wenn – Änderungen vorbehalten – Johnny Clegg und Daniel Lanois, Bobby Womack und The Alarm aufeinandertreffen.