So war das Reeperbahn Festival 2013 mit Kate Nash, Dagobert und OK Kid


Ziemlich beste Freunde, Zorro und die Flippers 2.0: Unser Reeperbahn Festival-Nachbericht vom Wochenende.

Donnerstag: Riot-Girl, ziemlich beste Freunde und ein Ü-18-Geheimkonzert

Die Reeperbahn ist am frühen Donnerstagabend noch verhältnismäßig leer.

Auch der schönste Auftritt des Tages findet vor einem überschaubaren Publikum statt, als um 20 Uhr in den Docks die ziemlich besten Freunde Stu Larsen und Natsuki Kurai den Festivaltag beginnen. Australier Larsen spielt in höchsten Tönen, begleitet wird er von der ergreifenden Mundharmonika des Japaners Kurai. Pärchen knutschen, Freunde rücken enger zusammen und Einsame wedeln mit Feuerzeugen, während sich Larsen und der wohl erzogene Kurai zu den musikalischen Erträgen unzähliger Road-Trips gegenseitig mit Komplimenten überhäufen, Folk aus dem Bilderbuch.  

Hierzu würde das Konzert des Isländers Ásgeir Trausti passen – er spielt im Anschluss im Imperial-Theater, doch vom Ende der Schlange aus kann man den Eingang des Theaters längst nicht mehr sehen. Also gibt es statt des isländischen Bon Ivers eben Kate Nash. Was viele nicht wussten: Nash macht jetzt Garagen-Punk, sie tritt mit einer Frauen-Band auf, ihr Album „Girl Talk“ ist kein biederer Kaffeeklatsch, sondern strotzt vor feministischer Riot-Girl-Attitüde. Ein bisschen Hole, Tito & Tarantula und ein Schuss „Death Proof“ liegen in der Luft. „You can’t own Kate Nash“ – süße Blümchenkleider und Zuckerpop sind Vergangenheit, soviel ist klar. Nur 100 Meter entfernt singt ein weißhaariger Kanadier einen Contry-Song über sexuelle Befreiung im niedersächsischen Oldenburg. „Set me free“ – das ist das Reeperbahnfestival.

Eigentlich spielt jetzt Casper im Grünspan ein Ü-18 Geheimkonzert, um dessen Einlass die Fans im Vorfeld emsig facebooken und twittern mussten. Wir sehen Ghostpoet im betonierten Mojo-Club Keller (einer exzentrischen Mischung aus Tiefgarage und Yuppie-Partykeller, somit ein wahrer Höhepunkt der Gentrifizierung). Der Bühnenaufbau des Engländers ist höchst technisiert, es blinkt und blitzt, eilig bedienen der Rapper und seine Band ihre Instrumente, drücken rote Tasten, drehen an Knöpfen und schielen auf Apple-Computer. Ghostpoet ist die schlafwandlerische Version von Faithless, im Publikum wiegen sich die eingelullten Köpfe. Sänger Obaro Ejimiwe selbst ist gutgelaunt, schweißgebadet und grinst hinter seiner Sonnenbrille. Der Empfang hier unten ist schlecht, sonst könnte man nebenbei das Casper-Geheimkonzert auf dem Handy gucken, es gibt eine Live-Übertragung aus dem Grünspan.

In der Prinzenbar beschließt eine Landsmännin von Ghostpoet den Abend: Clöe Howl. Sehr gut vorgetragener Electro-Pop, der nicht nur Howles roten Bubikopfs wegen an La Roux erinnert, hört man in der vollgestopften Bar. So abgeklärt und verrucht wie La Roux ist die 17-jährige Howl allerdings noch nicht – hilflos gickert sie sich durch Ansagen und technische Probleme, das Set (ist ja auch das Wichtigste) spielt sie dann aber doch routiniert durch.   

Freitag: Zorro, Königin und ein kommunistischer Piratenchor

Der Freitag beginnt ebenfalls überschaubar, um kurz vor acht sind noch keine Menschentrauben vor den Docks, und auch der Aufzug des Hochbunkers hatte schon wesentlich mehr Ähnlichkeit mit einer Sardinendose. Auch heute kommt die beste Vorstellung des Tages direkt zu Beginn: Oben im Terrace Hill steht Thees Ulmann schon bereit, kurz vor dem Auftritt der neu gesignten Van-Cleef-Band „East Cameron Folkcore“ ist der Raum gerammelt voll. Uhlmann erzählt, wie sein Manager ihn nächtelang mit teuren SMS aus Amerika bombardierte, schließlich anrief und dem verschlafenen Uhlmann in etwa „Megageil, die Kommunisten, die kaufen wir jetzt!“ ins Schlafzimmer schrie. Die teuren Textnachrichten haben sich gelohnt, denn kaum ist Uhlmann von der Bühne, übernehmen elf amerikanische Balkanpiraten das Publikum. Ein tosender Seemanns-Chor, durchdrungen von der rauchigen Stimme des Sängers, wuchtigen Harmoniegesängen, Trompeten, Mundharmonika, Getrommel und Geschrammel, nimmt die Anwesenden in Beschlag – auch Marcus Wiedebusch,  der Sänger von Kettcar, wippt beseelt mit. Die Bühne des Terrace Hill kann die elf Musiker kaum fassen… „Lets fight for a world with reason“ scheppert durch ein Megaphon, Balkan mischt sich mit Folk, Hardcore und Americana, Fleet Foxes treffen auf The Clash – in ein paar Tagen wird das Orchester im Molotow auftreten, politisch korrekt für umme.

Im Anschluss muss man zunächst die endlose Schlange vor dem Mojo-Club  überwinden und mit jeder Stufe, die man auf der Treppe nach unten steigt, weicht die Freude einem melancholischen Gefühl, wofür nicht nur der Beton hier unten sondern vor allem die elegische Kopfstimme von James Vincent McMorrow verantwortlich ist. Ein bisschen lauter als Bon Iver bellt der Ire ins Mikro, die Ähnlichkeit zu dem Amerikaner ist frappierend, dem Publikum gefällt’s.  

Auf dem Weg zum Grünspan bietet sich dann das allabendliche Bild: Prostituierte patrouillieren vor den Fenstern von Burger King, Junggesellenabschiede walzen sich von Strip-Club zu Strip-Club, Besoffene pflastern den Gehsteig mit Dönerresten. Der Eingang zur Großen Freiheit ist verstopft – hier steht Olivia Jones, die Dschungelkönigin der Herzen und weist zahlungswillige Hamburg- Besucher in die Geheimnisse des Kiezes ein. Die Führung ist fast schon zu Ende, fürs Geld gibt’s gleich noch einen Freischnaps in Olivias Bar.

Die Treppe zur Empore im Grünspan besetzt Casper, dabei war sein Geheimkonzert doch schon gestern? Drinnen windet sich Willis Earl Beal unter einem Tuch und schreit dabei ins Mikro. Im Programmheft steht, der Singer/Songwriter brauche nicht viel, um das Publikum sprachlos zu machen. Das stimmt, die alberne Performance mit Tuch und Zorro-Maske reicht vollkommen aus. Wenn er ohne Maske singt, ist die Darbietung gefälliger und durchaus hörenswert – Beal hat tatsächlich Soul in der Stimme.

Nebenan hat Left Boy Ladehemmung, die Bühnentechniker der großen Freiheit fummeln an Licht und Videoinstallation, irgendwas will nicht klappen – dafür fangen OK Kid im Uebel & Gefährlich sogar überpünktlich an, aber auch jetzt will es hier nicht voll werden. Dabei erzählen die jungen Kölner so schön von warmgehaltenem Kaffee, tanzen, hüpfen und liefern ein vorbildliches rogramm. Der letzte Gang des Abends führt ins Knust zur Ein-Mann-Show von Robert DeLong. De Long trägt alberne Gesichtsbemalung, die man ihm aber verzeihen kann, weil er wie ein Jongleur zwischen DJ-Pult, Schlagzeug, Mikrophon changiert und besser singt, als so mancher seiner Kollegen sampeln kann.

Samstag: Flippers 2.0, sphärische Dänen und die Weisheit einer Socke

Dagobert ist krank. „Die Energie liegt in mir wie Ballast“ seufzt der Schweizer und steht stocksteif da in seinem schwarzen Anzug, sein Gesicht leuchtet dabei so weiß wie der gestärkte Kragen. Durch das Uebel & Gefährlich wummert eine Grand Overture, die nahtlos in Schlager übergeht. Dagobert bewegt ab und zu die Hand, und trotz Heiserkeit ergreift dieser moderne Roy Black die zarten Herzen des Publikums und verpackt sie in Moll. Seine feinsinnige Melancholie (gelernt in den Schweizer Bergen) atmet Partykeller-Atmosphäre und dank Dagobert sind nun auch die Flippers angekommen am Puls der Szene: Das Schloss vom Wörtersee steht längst in Kreuzberg.

Auf der Bühne im Knust ist auf dem T-Shirt des Sängers von „Tunng“,in überdimensionierten Buchstaben das Wort „FOLK“ und somit das Programm für die nächste Stunde zu lesen. Zwischen ruhigen Harmoniegesängen explodiert elektronischer Sound, Intermezzi ergehen sich wie plötzliches Feuerwerk über ruhigem Wasser. Von dort aus geht es zurück auf den Kiez.

Vor dem Spielbudenplatz residiert Lilo Wanders, die Große Freiheit wird auch heute wieder von Drag-Kollegin Olivia verstopft, die die nächste Horde über den Kiez scheucht. Einmal in die Große Freiheit gelangt, trifft man auf die Dänen von Efterklang. Zu sechst breiten die ihre Klangwände aus und selbst die hartgesottenen Motorrad-Rocker vor uns schließen für einen kurzen Moment ihre Augen.

Vor dem Grünspan ist das Tentakel von Delphi bereits 100 Meter lang – dabei soll die Show drinnen erst in 40 Minuten anfangen. Um 0 Uhr 20 ist das Grünspan ein gerammelt voller Schwitzkasten, „unanständig heiß“ bringt Käptn Peng es auf den Punkt. Trotzdem halten er und die Band zumindest einen Song unter ihren Tiermasken durch. In den ersten Reihen gibt es einige, die Pengs komplette Reime mitsingen können, ihnen gebührt gleichermaßen Anerkennung für Gedächtnisleistung und Ausdauer, und im Gegensatz zur Band haben sie dort nicht einmal Wasser, um zwischendurch die Stimmbänder zu befeuchten.

Peng und seine Tentakel sind schon die ganze Festivalsession hindurch das ganz heiße Ding. Verdient natürlich, denn ihr HipHop glänzt durch funkyness, ist herrlich verspleent und ganz und gar frei vom branchenüblichen Testosteron-Gebahren. Und so hüpft und singt der Grünspan, und infiziert durch die Weisheiten von Käptn Pengs Socke kann man das Reeperbahnfestival dann auch beschließen: „Ja und Nein sind nichts Unversöhnliches, Schwarz und Weiß sind beide Licht und die Nonexistenz, die gibt es nicht.“ In diesem Sinne – Prost! Und bis zum nächsten Jahr.