South by Southwest 2012: der Festivalbericht


Beim South-by-Southwest-Festival 2012 in Austin, Texas, treten unter anderem Michael Kiwanuka, Kindness, The Magnetic Fields, Bonaparte, Blood Orange und Dry the River auf. ME-Redakteur Stephan Rehm ist dabei – und schreibt für uns ein Tagebuch.

Das South-by-Southwest-Festival (SXSW) in Austin, Texas, gilt als eines der weltweit wichtigsten Fan- und Branchenfestivals der Musik und des Films. Konzerte gibt es unter anderem von Michael Kiwanuka, Kindness, The Magnetic Fields, Bonaparte, Blood Orange und Dry the River. In diesem Jahr ist ME-Redakteur Stephan Rehm vor Ort und berichtet. Lesen Sie hier Teil 1.

SXSW, Tag 1

13. März – Die Experience beginnt mit dem Fahrer des Shuttle-Busses, der uns vom Hotel in die Innenstadt von Austin führt. Ein mitreisender Festivalbesucher möchte bereits vor dem vereinbarten Ankunftsort aussteigen. Der Fahrer erklärt ihm, dass das aus versicherungstechnischen Gründen nicht geht. „That’s alright, man“, sagt der Passagier, worauf der Fahrer erwidert: „I’m really sorry. I didn’t make up the rules. But these rules do make sense: They’re here for your safety. But I hear you – and I feel your pain!“ Ich lache kurz auf. Niemand sonst tut das. Oha. Der Taxler meint das offenbar ernst, er fühlt den Schmerzen dessen, der uns nicht schon ein paar Minimeter vor Zielort verlassen darf. Sind die etwa ganz schön höflich und mitfühlend, die Texaner? Zumindest setzt sich der Eindruck den ersten Tag über fort: Allein sich all den Pressekram wie Umhängeschilder und Armbänder abzuholen, läuft so smooth ab und wird von so viel Hilfsbereitschaft und Charme begleitet, dass einen der Gedanke daran schon etwas graut, vor Berliner Clubtüren bald wieder um – eigentlich zugesicherte – Gästelistenplätze kämpfen zu müssen.

Aber wir sind ja nicht hier, um soziologische Studien anzustellen. Musik will gehört werden! Das fällt zwar nicht schwer – an buchstäblich jeder Straßenecke spielt eine Band auf – nur lässt der Genuss dessen, was man hier zumindest an Tag eins serviert bekommt, noch etwas zu wünschen übrig. Ziemlich brav das alles, das meiste auf absolute Radiofreundlichkeit getrimmt. Ich versuche, frühzeitig in einen Laden zu kommen, in dem der Major Warner aus seiner Produktpalette vorstellt. Da ich dank diverser Accessoires als Pressevertreter zu erkennen bin, werde ich hurtig an einer endlos wirkenden Schlange von Menschen vorbeigeschleust, die vermutlich ganz reguläre Besucher sind und daher die stramme Summe von bis zu 600 Dollar bezahlt haben, um hier zu sein.  Das muss man sich schon mal vorstellen: 600 Dollar um zu achtzig Prozent namenlose Indiebands zu sehen – oder eben: um darauf hoffen zu dürfen, die zu sehen. Auf Konzerte von Big Names wie Bruce Springsteen schafft es hier sowieso kein Normalsterblicher, für solche Shows gibt es Extratickets und die werden verlost. 

Im Club spielte eine britische Künstlerin namens Neon Hitch, die sogar mal bei Mike Skinners Label The Beats unter Vertrag stand. Umringt von schwarzen Muskelmännern mit Kriegsbemalung und Stammestrommeln singt sie Eurodanceschrott wie „Fuck U Betta“ – das den Refrain tragende F-Wort verschluckt sie. Welcome to America. Danach Pausenmusik im Skrillex-Stil. Auch nicht viel besser. An die Bar. Dort gibt es Dosenbier, das einem mit einem Zitroneneck garniert wird. Es schmeckt nach Wasser mit Zitronensaft und enthält trotz eines Warnhinweises bezüglich der Schäden von Alkohol vermutlich überhaupt keinen Alkohol. Also ein neues, ein anderes. Man bittet eine Ortsansässige um eine Bierempfehlung. „Oh, you should really try ‚Lone Star’, it’s the best beer in the world“, heißt es. „Thank you – the last one we had tasted like water.“ – „Oh, this will taste like water, too!“, sagt sie und entschwindet selig grinsend mit ihrem behaupteten Rausch.

Als Nächstes steht Outasight auf dem Programm, ein durch und durch unsympathischer Dancepop-Künstler aus New York, der mit affiger Dieter-Bohlen-Fresse zu unerträglich existenzlosen „Songs“ über die Bühne hoppst und dazu auffordert, „some motherfuckin’ noise“ zu machen. Den bekommt er dann auch gemacht. Was für eine Wohltat danach: Theophilus London. Aufgebretzelt wie Parliament zeigen er uns seine Band, wie Musik gehen kann. Elegant, treibend und unberechenbar ist sein Set. Weil ihm nur eine knappe Dreiviertelstunde Zeit auf der Bühne gegeben wurde, bricht er mehrere Songs mittendrin ab, um auch noch andere zumindest kurz anzureißen. Bei einem der letzten Songs, „Let Me See Your Titties“, schüttelt man dann zwar etwas enttäuscht den Kopf, dem Künstler werden die BHs dennoch entgegengeworfen. Danach zeigt Santigold, dass sie eigentlich ganz schön langweilig ist. Selbst bei Hits wie „L.E.S. Artistes“ bewegt sich kaum jemand in der jetzt proppevollen Halle. Auch gegen die seit Jahren anhaltenden Gerüchte, sie sei eine ziemliche Zicke, unternimmt Frau White nicht viel. „ExCUSE me – can we have a new cable here?“, herrscht sie einen Techniker an, um nur eine Sekunde später hinzuzufügen: „I mean, like: NOW?!?“.

Ich mache mich auf den Weg in den Club „Hype Hotel“, dessen Abend vom angesagten Musikblog-Aggregator „The Hype Machine“ ausgerichtet wird. Die New Yorker Indiepop-Band Miniature Tigers spielt. Kann man heutzutage eigentlich noch eine reine Popband sein? Oder muss man sich zwangsweise ein „Indie-“ davorpacken? Miniature Tigers sind eine reine Popband, mit Pop-Hits fürs Popradio, ohne Reibungen. Für ein Uhr morgens steht ein „Special Guest“ aus „Long Beach, CA“ auf dem Programm! Mit der Hoffnung, dass das bestimmt Snoop Dogg sein wird, verharrt man und bedient sich an einem Stand mit Gratis-Tacos. Immerhin hat gestern, noch vor der offiziellen Eröffnung des Festivals, Jay-Z hier gespielt. Das wird schon Snoop Dogg sein. Wer außer ein paar Skatepunk-Bands kommt schon aus Long Beach? Wenn das schon so prominent dazugesagt wird. Es ist dann natürlich nicht Snoop Dogg, sondern The Delta Spirit. Schon wieder so aalglatte Musik. Man dürfe ja aber auch nicht auf die „offiziellen Shows“ gehen, lässt einen eine aufgeregte Besucherin wissen, die inoffiziellen seien ja viel cooler. Sie händigt einem eine Liste mit den ganzen inoffiziellen Shows aus – auf den ersten und zweiten Blick stehen darauf aber auch nur weitere Konzerte von Bands, die hier sowieso drei- bis vier Mal spielen. Man dankt, genehmigt sich noch einen verwässerten Mix aus Wodka und einem klebrigen Energy-Drink und dann darf der Jetlag auch mal gewinnen. Gute Nacht!