Stevie Nicks – Prinzessin auf der Erbse


Zwischen Samt und Seide, Pianos und Stornieren empfing Stevie den ME zum Interview. Der Anlaß: Das sensible "Baby" von Fleetwood Mac hat sich gerade auf eigene Füße gestellt und ihr erstes Soloalbum BELLA DONNA veröffentlicht. Sylvie Simmons sprach mit ihr in Los Angeles.

Könnte man Interviews mit Duftnote vermitteln, so würde dieses mit Sicherheit nach Räucherstäbchen, Rosen und Meer riechen. Stevie Nicks‘ Apartment, gleich hinter dem mondänen Yachthafen Marina del Ray in Los Angeles, befindet sich im zweiten Stock, und bietet einen atemberaubenden Ausblick aufs Meer. Fleetwood Mac’s Frontfrau lebt hier zwischen Pianos, Pflanzen, Samt, Satin, noch mehr Pianos, einer Großfamilie von Stofftieren und einem (offensichtlich nicht ausgestopften) Pudel.

Ich sehe einem Hausmädchen beim Bügeln eines ihrer Chiffon-Gewänder zu, während Stevie für den Fotografen verschönt wird. Schließlich weht sie ins Zimmer — umgeben von fließender Seide und goldenem Haar (romantische Heldinnen sind nie einfach nur „blond“). Sie sieht aus wie eine in Spritztechnik verewigte kosmische Tortenverzierung —- eine schöne Frau, die in natura weitaus natürlicher und intelligenter wirkt als auf Fotos.

In einer Umgebung wie dieser, die wie geschaffen scheint fürs Liederschreiben, klingt es nur natürlich, wenn Stevie beteuert, dies bedeute für sie überhaupt keine Arbeit: „Ich liebe es mehr als alles Andere auf der Welt. Ich liebe es, wenn ich hier am Klavier sitze— ein Glas Wein, ein Räucherstäbchen, gedämpftes Licht und ein guter Einfall…“

Wenn nur alle zwei oder drei Jahre eine Platte erscheint, hast du eigentlich genügend Luft. Ich schreibe relativ viel, manchmal drei oder vier Titel im Monat. Ich habe ein so riesiges Reservoir an Material, daß ich überhaupt keinen Song mehr schreiben müßte. Ich könnte schon morgen mit den Aufnahmen für mein nächstes Solo-Album anfangen! Es ist wirklich frustrierend, wenn dann jemand kommt und meint: Was, du bist schon wieder am Schreiben? Wir brauchen keine Stevie Nicks-Songs mehr, du hast doch genug!‘ Und ich frage mich dann: ‚Bin ich wirklich so blöd? Soll ich stattdessen vielleicht lieber rumsitzen, fernsehen oder anderweitig meine Zeit totschlagen?“

„Mein Solo-Album hat überhaupt keine Zeit gekostet. Ich war in zweieinhalb Monaten mit meiner Arbeit fertig, es lief alles wie der Blitz. Ich merkte schon am ersten Tag, daß es völlig unproblematisch sein würde. Es war wie mit einem Buch, bei dem du nicht willst, daß es aufhört und das du darum zum Ende hin immer langsamer liest.“

Nur ein Song wurde in letzter Sekunde noch hinzugefügt: „Outside The Rain“; und zwar als Bindeglied zwischen Fleetwood Mac und Stevies Soloalbum.

,Dies wäre nämlich genau das Stück gewesen, welches die Band aufgenommen hätte. Es lebt von diesen typischen ‚Dreams‘- oder Sarah‘-Harmonien. Es war mir schon wichtig, daß es da eine Verbindung gibt,“ betont Stevie, „denn schließlich ist es für mich von Bedeutung, daß Fleetwood Mac in meinem Leben noch immer eine bedeutende Rolle spielen. Und daß sie verstehen, was ich mache.“

Aber warum sollen sie es nicht verstehen? Schließlich machen sie doch auch ihre Solo-Alben?

„Schon, aber ich bin bei Fleetwood Mac immer noch das Baby -— haha! Und das mit 33! Ein ziemlich altes Baby, aber es ist schwer für sie mitanzusehen, wie ich meine eigenen Ideen verfolge. Jeder in der Band ist sehr besitzergreifend — mich eingeschlossen — undsehreifersüchtig. Deshalb wird es auch nie langweilig, weil immer Zündstoff in der Luft liegt. Ich habe schon so oft versucht, Fleetwood Mac in meinem Kopf zu analysieren, aber du kannst ihnen nicht auf den Grund komm en, es ist ein e h öchst m erkwürdige Gruppe von Menschen. John ist ewig am Strand, Mick bei der „Renaissance Fair“ (einem mittelalterlichen Flohmarkt in LA — Red.), Lindsay geht laufend zu seinem Schneider, und Christine ist halt so, wie sie in ihren lässigen Klamotten immer aussieht.“

Stevie amüsiert sich angesichts der absurden Situation, in der sich diese fünf platinierten Menschen befinden. „Es ist schon haaresträubend, wenn man uns kurz vor dem Auftritt zusammensieht. Wir sehen so lächerlich aus! Absolut lächerlich! John in abgeschnittenen Hosen, T-Shirt und Baseball-Mütze, Mick mit seinen samtenen Knikkerbockern, Trikot und den Schuhen, die er schon seit hundert Jahren trägt. Wenn er das anhat, würdest du es nicht mal in 20 Metern Abstand bei ihm aushalten -— speziell am nächsten Abend nicht, nachdem er das verschwitzte Zeug den ganzen Tag im Bus hatte, wo es natürlich nicht trocknen konnte. Lindsay schließlich zieht abwechselnd seinen grauen und seinen weißen Armani-Anzug an…“ Und Stevie trägt jeden Abend ihre Tischdecke.

„Es war mir klar: Wenn ich bei Fleetwood Mac aufgenommen werden wollte, brauchte ich einen Gimmick— wie Ballett oder irgendetwas anderes, was keiner sonst konnte. Denn zunächst hatten sie keinen Bedarf für eine zusätzliche Sängerin. Sie brauchten einen Gitarristen. Ich weiß, daß ich quasi als Zusatzgepäck angeheuert wurde. Sie konnten Lindsey nicht ohne mich bekommen.“

Die Stevie Nicks/Lindsey Bukkingham-Liaison reicht zurück ins Jahr 1966. Nach ersten Erfahrungen in typisch kalifornischen Vokalgruppen sang Stevie damals ihre selbstgeschriebenen Songs zur akustischen Gitarre.

Gelernt hatte sie es von ihrem Großvater. Aaron Jess Nicks, ein gescheiterter Countrysänger, dem die Kneipen zur zweiten Heimat geworden waren, hatte seine vierjährige Enkelin mit Cowboy-Outfit ausgestattet und sie auf seine Zechtouren mitgenommen. Jeder in San Franzisko machte zu jener Zeit Musik, doch das Ehepaar Nicks wollte davon nichts wissen und schickte seine Tochter für fünf Jahre aufs College. „Ich wollte lieber Friseuse werden, das hätte besser zu mir gepaßt. Zudem habe ich die ganze Zeit zusammen mit Lindsey gesungen, da fiel es natürlich schwer, nebenher noch zu studieren.“

Daß die beiden nach Los Angeles gingen und irgendwann einen Plattenvertrag bei Polydor bekamen, ist schon überliefert. In einem winzigen Zimmer machten sie Aufnahmen mit einer Vierspurmaschine, deprimiert vom Desinteresse ihrer Umgebung.

„Es ist ganz schön hart, wenn du so schwer arbeitest, so gut klingst, und trotzdem dir jeder sagt, du solltest unbedingt etwas anderes machen. Fünf Jahre lang erzählten sie uns, es sei nicht kommerziell genug.“

Das erste Album der Zwei rief immerhin Fleetwood Mac auf den Plan. Im rechten Moment, wie man weiß. Stevie trug zum gemeinsamen Lebensunterhalt bei, indem sie in einem vegetarischen Restaurant Müsli servierte. Immerhin war dies schon ein gewaltiger Schritt nach oben. Zuvor arbeitete sie bei „Burger King“, wo sie eine geniale Hand für french fries bewies. „Ich war schon Mitglied bei Fleetwood Mac, als ich noch zwei Wochen in dem Restaurant kellnerte. Ich brachte es einfach nicht übers Herz, einfach alles stehen und liegen zu lassen nach dem Motto:’Ich werde jetzt ein berühmter Rockstar, ich gehe. Außerdem mochte ich euer Essen sowieso nie‘.“ Sie kichert. „Sowas tut dir später immer leid. Ich habe dann aber meinen Job doch bald aufgegeben, drei Wochen später waren wir im Studio, in dreieinhalb Monaten war das Album fertig und nach weiteren vier Monaten gingen wir auf Tour. Junge, das war ein Schock!“

Bedenkt man, daß sie sich zunächst wie ein überflüssiges Anhängsel vorkam, sind ihre Erinnerungen an diese erste Zeit mit Fleetwood Mac doch ziemlich euphorisch. „Ich habe mich sofort in alle verliebt, obwohl ich wußte, daß sie mich eigentlich nicht brauchten. Ich wollte wirklich gut sein, einen Weg finden, mir doch einen Platz zu erkämpfen. Und sie wußten, daß ich so dachte, daß ich froh war, überhaupt aufgenommen worden zu sein. Schließlich hätte ich ja auch Sekretärin werden können! Sie gaben mir nie das Gefühl, daß sie mich nicht wollten. Christine hat mir so bereitwillig die Bühne überlassen. Ich finde es cool, wenn eine Frau sagt: Sie ist fünf Jahre jünger als ich, und ich habe zehn Jahre lang on the road gearbeitet, mich kaputt

gemacht, und hier haben wir unsere neue Frontfrau.’Das war unglaublich von Christine, so einfach Platz zu machen. Sie wird dir vielleicht erzählen, daß es in den vergangenen sechs oder sieben Jahren schon Phasen gab, wo sie doch eifersüchtig war. Aber ich habe davon am wenigsten gemerkt. Sie hat es mich nie spüren lassen. Obwohl sie sich durchaus manchmal gefragt haben mag, was das wohl soll, wenn ich in meinem Chiffon über die Bühne gesegelt komme. Christine merkte vonAnfangan, daß ich unheimlich sensibel bin und sie auch so sehr mag, daß alles, was sie mir dann gesagt hätte, wie ein Peitschenhieb auf mich gewirkt hätte. “ Sie scheinen alle zu wissen, daß Stevie ein verletzliches Wesen ist, denn auch die jeweiligen Plattenbosse behandeln sie zur Zeit wie ein rohes Ei.

„Vielleicht ist es etwas in meiner Stimme, was sie beunruhigt. Ich habe so etwas wie ein Soloalbum ja noch nie gemacht. Früher waren noch vier andere Leute an der Arbeit beteiligt, bei BELLA DONNA hegt die Verantwortung bei mir.“ Stevies Konstitution erwies sich während der letzten Mammut-Tour tatsäch lieh als zerbrechlicher als die der anderen Macs. Ihre Stimmbänder streikten und widersetzten sich dem Heilungsprozeß so lange, daß Stevie schon befürchtete, nie wieder singen zu können.

„Die Stimme ist wieder in Ordnung, aber ein Jahr Tourist einfach zu lang. Sechs Monate im Jahr könnte ich möglicherweise gut aushalten. Jch bin eben physisch nicht mehr so stark wie früher… Es fällt mir immer schwerer, all den Kids im Publikum, die 15 Jahre jünger sind als ich, hübsch und attraktiv zu erscheinen. Ich will keine müde Stevie, die auf die Bühne schleicht und total erledigt versucht,’Rhiannion‘ zu singen. Es wäre nicht fair dem Publikum gegenüber, das immerhin seine 12 Dollar Eintritt bezahlt hat.“

Eine Stevie-Nicks-Solotour ist nicht geplant, wohl aber will sie in einzelnen Städten auftreten und die Konzerte dort filmen lassen. Außerdem gab es bereits vereinzelte Auftritte bei der Tom-Petty-Tournee. Sie eroberte diese Bastion des männlichen Chauvinismus nicht zuletzt über Pettys Frau Jane. „Wir haben schon entsprechende Pläne geschmiedet, ehe Tom überhaupt etwas davon ahnte. Aber ich wußte, daß wir beide ein gutes Gespann abgeben würden. „Dokumentiert ist diese Zusammenarbeit auf Petty’s LP HARD PROMISES mit dem Titel „Insider“ und auf Stevies BELLA DONNA in „Stop Draggin‘ My Heart Around“ (auch als Single ausgekoppelt). Ich habe nicht die Absicht, jetzt bei den Heartbreakers einzusteigen,“ meint Stevie, „aber wir könnten jederzeit zusammen singen, das ist wichtig für uns.“

Stevie Nicks (auch die Eagles zählen zu ihren engeren Bekannten) ist schon von klein auf an die Sorte Männer gewöhnt, „die man als Frau nicht allzusehr bedrängen darf.“ Die Romantisierung des männlichen Rock n’Rollers, wie sie sich auch in „Highwaymen“ niederschlägt, bedeutet aber keinesfalls, daß sie bereit wäre, sich widerspruchslos unterzuordnen. „Alles, was ich je von den männlichen Bands verlangt habe, ist, daß sie mich akzeptieren, auch als Songwriter. Ich wollte keine Blumen. Rockmusiker sind wie einst die Straßenräuber— immer unterwegs. Gelegentlich geben sie den Armen, manchmal behalten sie aber auch alles für sich…“

Unlängst traf sie auf einer Party Ann Wilson von Heart. Die beiden sahen sich an und hatten plötzlich dasselbe Gefühl, nämlich das von Einzelgängern in der von Männern beherrschten Welt des Rock’n’Roll. „Ich bin ein absoluter Einzelgänger, ein Außenseiter. Ann und Nancy sind die einzigen, mit denen ich mich da vergleichen könnte. Ohne sie können Heart nicht auftreten — und auch Fleetwood Mac können ohne Chris und mich nicht auf die Bühne. Wir haben hart darum gekämpft, mehr als nur Backgroundsängerinnen zu sein. Ich glaube, wir würden eher völlig aussteigen als daß wir uns wieder in den Hintergrund abschieben ließen.“