Sympathy für die alternden Teufel – nach 44 Jahren


Mal ehrlich wenn eine Gruppe älterer Herren mit dem Firmennamen The Rolling Stones in einer beliebigen Stadt eintrifft, um dort ihrem Beruf nachzugehen, dann macht das seit, sagen wir: 1980 niemandem mehr ernsthaft Angst und Sorgen, sei’s in China, Brasilien oder Mecklenburg-Vorpommern. Spielen darf die Band ohnehin längst überall, möchte man meinen, – aber nein: Ein kleines Städtchen an der englischen Westküste leistet hartnäckig Widerstand. Das heißt: leistete, denn nun hat der Stadtrat des Seebades Blackpool – immerhin die Geburtsstadt von Robert Smith (The Cure) und Chris Löwe (Pet Shop Boys) beschlossen, das Auftrittsverbot aufzuheben, das er nach einem Stones-Gig am 24. Juli 1964 vor 7.000 Zuhörern im Empress Ballroom über die Band verhängt hatte.

Der Boykott hatte damals allerdings handfeste Gründe: Weil er von einem Mann am vorderen Bühnenrand angespuckt wurde, warnte Keith Richards diesen zunächst, stieg dem Uneinsichtigen dann (kurz nachdem unser Bild entstand) auf die Hand und trat ihm gegen die Nase. Daraufhin brach im Publikum ein Aufstand los, bei dem Kristalllüster von der Decke und Sitze aus dem Boden gerissen, ein Konzertflügel und die Anlage zertrümmert wurden. Der Rest der Band hatte längst die Flucht angetreten, als Keith Richards noch immer glaubte, sich seinen Widersachern stellen zu müssen. „Ich habe niemanden geschlagen“, verteidigte sich der Gitarrist hinterher gegenüber dem „Daily Express“, „sondern nur eine aggressive Bewegung mit der Gitarre gemacht.“ so Polizisten mit Schlagstöcken gelang es schließlich, den Saal zu räumen.

„Wir haben der Band geschrieben, dass sie hier jederzeit wieder willkommen sind“, teilte Bürgermeister Peter Callownun mit. Eine Sprecherin der Stones machte indes wenig Hoffnung auf eine Rückkehr: Es gebe derzeit keine Pläne für eine Tournee.

Da wir uns aber im Popgeschäft befinden, steckt hinter all dem Geflirte meist (auch) ein beruflicher Hintergedanke. So z. B. bei Modemacher Giorgio Armani, der Amy Winehouse das Angebot unterbreitete, am 5. Mai für eine Million Dollar bei einer Promi-Party im „Costume Institute“ des New Yorker Metropolitan Museum aufzutreten. Wie man hört, will Armani Amy dabei für sich gewinnen – für „ein gemeinsames Projekt“, eben.

Bei Liam und Keith handelt es sich um die Herren Howlett und Flint von Prodigy, die Ende März beobachtet wurden, wie sie in Trevor Horns Sarm-Studios in Westlondon einkehrten, um das lange angekündigte neue Album fertigzustellen. Oder, wie manche meinen, mit dem nächsten anzufangen.

Das vierte von Coldplay erscheint am 16. Juni und heißt frühsommerlich viva la vida, was irgendwie an Ricky Martin erinnert. Darauf angesprochen, sagte Chris Martin: ,Ja,jeder denkt das. Macht nichts, ich finde Ricky großartig.“ Tatsächlich ist die Platte nach einem Gemälde von Frida Kahlo benannt.

Andersrum läuft die Sache bei Tilly & The Wall, deren drittes Album am 17.6. erscheint und keinen Titel trägt, dafür aber Werke befreundeter Maler, die es zudem in limitierter, handgedruckter Ausgabe geben wird.

Wie wichtig Äußerlichkeiten sind, wissen Kasabian, deren Gitarrist Serge Pizzorno versucht, seine Kollegen zu überreden, sich die legendäre Dauerwelle frittieren zu lassen, die der kolumbianische Torwart Rene Higuita in den 9oern durch die Welt trug. Grund für die Frisurenidee ist dessen legendärer „Skorpion-Kick“ 1995 gegen England: „Genau so“, sagt Pizzorno, „klingt unser neues Album.“

Der Frühling ist eben auch die Zeit des Übermuts: Be Your Own Pet beendeten einen Überraschungsauftritt in der Londoner „Vision Videobar“ mit einer Sahneschlacht mit dem Publikum. Zum Schluss lag das Schlagzeug in Trümmern, und Gitarrist Jonas Stein und Bassist Nathan Vasquez wälzten sich ringend auf dem Hallenboden.

„Seid froh, dass wir diesmal so zahm waren“, sagte Sängerin Jemina hinterher.

Das SXSW-Festival im texanischen Austin nutzte wiederum die offiziell nicht gebuchte Hardcore-Band Fucked Up für einen Spontanauftritt auf einer nahegelegenen Fußgängerbrücke, wo sich nach den ersten Tönen um vier Uhr morgens über 1.000 Menschen sammelten und die Brücke zum Schwanken und in in Einsturzgefahr brachten. Ängstliche Mosh-Teilnehmer retteten sich mit einem Sprung in den Fluss, die herbeigerufene Polizei indes konnte nicht mehr tun als zuschauen und das Ende der Zugaben abwarten. Verletzt wurde niemand.

Für Normalität waren die Sparks noch nie bekannt. Zum neuen Album exotic creatures of the deep (VÖ: 19. Mai) spielen Ron und Russell 21 Gigs in London und bringen dabei jeden Abend ein anderes Album aus ihrem Backkatalog zur Aufführung.

Einen Rekord anderer Art haben Fall Out Boy gebrochen: Die sind seit 25. März die erste und einzige Band, die auf allen Kontinenten gespielt hat. Das Motiv für den Gig in einer antarktischen Forschungsstation war allerdings nicht nur Geltungsbedürfnis: Die Band fuhr mit einem Greenpeace-Schiff samt Filmcrew zum Pol, um die Auswirkungen der Erderwärmung zu dokumentieren.

Im wärmeren Berlin arbeiten Keane derzeit mit Madonna-Produzent Stuart Price am dritten Album; offenbar ist auch Songwriter Tim Rice-Oxley vom Frühlingsvirus infiziert:

„Wir versuchen, geschmacklose, uncoole Musik zu machen“, teilte er mit. „Je geschmackloser und uncooler, desto besser.“ Unterbrochen wurden die Aufnahmen von Nachbarn, die sich über den Lärm beschwerten, worauf besonders Drummer Richard Hughes stolz ist; schließlich hatten zuvor Rammstein das Studio beschallt – ohne Probleme.

Weil die Eets am 29. März in unmittelbarer Nachbarschaft von George W. Bush auftraten, ließ Mark „E“ Everett dem Präsidenten eine Einladung zukommen – wie zuvor in London auch schon Queen Elizabeth II., die das Angebot immerhin persönlich beantwortete und sich entschuldigen ließ.

Nicht entschuldigt, aber immerhin bedankt hat sich Busta Rhymes bei dem New Yorker Richter, der ihn Ende März wegen tätlicher Angriffe auf seinen ehemaligen Fahrer und einen Fan zu 1.250 Dollar Geldstrafe, zehn Tagen gemeinnütziger Arbeit und drei Jahren Bewährung verurteilte: „Ich bin dankbar, dass ich eine Chance kriege. Jetzt möchte ich Spaß haben, Musik machen, rumlaufen und Liebe schenken.“

Gilt das auch für Paul McCartney, der unmittelbar nach seiner Scheidung von Heather Mills Kylie Minogue zum Abendessen einlud? Oder steckt ein „Projekt“ dahinter?

Ein reizvolles solches für Devotionalisten ist die Ausstellung „All You Need IsMusic“, in der ab 9. Mai im Münchner Eissportzentrum u. a. ein Cabrio von Mick Jagger, ein Spiegelpiano von Elton John und jede Menge historische Gitarren zu sehen sein werden.

Die Toten der letzten Wochen: Mikey Dread (54, Krebs), Buddy Miles (60), Jeff Healey (42, Krebs), Neil Aspinall (Beatles-Assistent, 66, Krebs), Norman Smith (Beatles-Toningenieur, 85), Bill Ludwig (Schlagzeugbauer, 91), Ola Brunkert (Abba-Drummer, 61, Unfall), Mike Smith (Dave Clark Five, 64).

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Kommunikaze Groteskfragestunde in Büro 212. Kollege Rehm kommt rein: „Wann muss denn das Hakenkreuz fertig sein?“ Wie bitte?., Was?“ Wie bitte? „Was, .Wie bitte‘?“ Was für ein Hakenkreuz? „Wie, ,Was für ein Hakenkreuz‘?“ Hast du nicht gerade Hakenkreuz gesagt? „Ich wollte von Alben wissen, bis wann die Raconteurs fertig sein muss. Die Kritik“ Achso. 20 Minuten später Kollege Lindemann:“Habt ihr den NME da mit der CD drin, auf der die Manic Street Preachers ‚Umbrella‘ covern?“ Stille. That’s too specific, dude. „Habt ihr einen NME da?“ wäre echt schon schwierig genug gewesen. „Habt ihr einen NME da mit einer CD drin?“ schon ein ganzes Stück heftiger. „Habt ihr einen NME mit einer CD mit den Manic Street Preachers drauf?‘ so gut wie unmöglich. Aber WENN, dann hätten wir hier bestenfalls einen NME mit einer CD drin, auf der die Manic Street Preachers einen ihrer eigenen Songs spielen. „Habt ihr einen NME mit einer CD drin, auf der die Manic Street Preachers ‚Umbrella’covern?“ hört sich ja fast so an, als wollte der uns hochnehmen. „Sag mal, willst du uns hochnehmen?“ Lindemann spielt den Unschuldigen:“Hö?“Tu nicht so! Warum denn nicht gleich:“Habt ihr einen NME da mit einer CD drin, auf der die Manic Street Preachers ‚Umbrella’covern, aber nicht das von Rihanna, sondern ‚Umbrella‘ von der 90er-Jahre-Band Dog’s Eye View. Und auf einem Bein stehend.“ Lindemann seufzt und geht. Nur zu, weil veräppeln können wir uns selber. Das weiß nur zu gut: der Flurfunker