The Fall


Wer will schon die Bandmitglieder zählen, die Mark E. Smith im Verlauf der vergangenen 37 Jahre verschlissen hat? Ist ja auch egal, denn was bleibt, sind bis heute 30 Alben, Antworten auf die Frage, wie man jemanden in die Wüste schickt, und eine Schar von Fans, die erst dann ins Gras beißen wollen, wenn gesichert ist, dass sie keine LP von The Fall verpassen. Da können sie lange warten, grinst Mark E. Smith, genehmigt sich einen doppelten Whiskey und macht sich wieder an die Arbeit.

ERSTE BEGEGNUNG, November 1989, eine Rocknacht des WDR in der Philipshalle Düsseldorf. Die Headliner des kleinen Festivals, The Fall, so hieß es in der Vorankündigung, befänden sich auf ihrem Höhenflug. Künstlerisch und kommerziell. Erstmals tauchte die Underground-Institution The Fall sogar in den UK-Charts auf, mit zwei Coverversionen: „Victoria“ von den Kinks und „There’s A Ghost In My House“, einer alten Northern-Soul-Nummer von R. Dean Taylor. Vor den Headlinern der Rocknacht spielten die nordirischen Alt-Punks Stiff Little Fingers die Halle in Grund und Boden. Was haben wir mitgesungen und gepogt! Dann kamen The Fall. Jetzt musste es also noch besser werden, denn wer 16 Jahre alt ist, zweifelt nicht an der Fähigkeit der WDR-Rocknacht-Macher, die beste Band auch als Letztes spielen zu lassen. Doch dann krabbelte da dieser Haufen lustloser Musiker auf die plötzlich viel zu groß wirkende Bühne, angeführt von einem desolaten Sänger, der in einer Hand zwei Mikros hielt, ein Zeug brabbelte, das in Düsseldorf kein Mensch verstand, und noch dazu am Ende jeder Zeile ein Extra-Geräusch nachfolgen ließ, das wir alle als furchtbar arrogant empfanden (und das übrigens Peer Steinbrück in seinen Interviews auch draufh at, wenn er besonders lässig wirken will). The Fall schrubbelten sich durch ihre Songs. Das Publikum war gespalten: Die eine Hälfte verließ die Halle, die andere schmiss Bierbecher auf die Bühne. Weder den Sänger noch seine Band schien das sonderlich zu stören.

Am nächsten Tag stöberten wir dann heimlich im Physikunterricht in unseren Mailorder-Katalogen und orderten für wenig Geld massenhaft The-Fall-LPs. Warum? Einige Jahre später erklärte John Peel dieses Phänomen. Der Produzent seiner BBC-Show hatte die frühen Singles der Band aus Manchester aufgeschnappt und spielte sie dem Meister vor. Doch der hatte dafür erst nichts übrig. „Ich mochte das nicht“, sagte Peel später, „aber dann schlich sich diese sonderbare Faszination ein, die letztlich dafür sorgt, dass man immer wieder zu The Fall zurückkehrt.“

Mark Edward Smith hält nicht viel von Lobesreden. Aber diese Einschätzung von John Peel, die mag er. Sie trifft genau das, was dieser dünne, kleine Kerl aus Manchester von Beginn an mit Gründung von The Fall vorhatte: Mark E. Smith wollte nie Teil einer sehr guten Rockband sein. Er wollte überhaupt niemals Teil einer Rockband sein. Was ist spannend an diesem modernen Rock’n’Roll?

Dieser von der Plattenindustrie durchorganisierten Möchtegern-Rebellion für weiße Mittelschichtkids? The Fall -das ist für Mark E. Smith vom Start weg eine künstlerische Haltung. Dieser Kerl hat nichts übrig für die Romantik des Rock’n’Roll. Für Smith sind die Musiker von The Fall keine Bandmates, sondern Angestellte, die wie Versicherungsvertreter kommen und gehen und nur bei denen Lücken hinterlassen, die sich vollsaugen mit nostalgischen Gefühlen. Ein besonderer Graus ist ihm die Independent-Kultur, die nie ein Hehl daraus machte, The Fall gerne als Vorzeige-Indie-Band zu deklarieren: „Indie-Labels beteiligen ihre Künstler nur mit 14 statt mit 20 Prozent an den Erlösen; mit dem Rest des Geldes finanzieren sie dann ihren lächerlichen Lebensstil, der vor allem darin besteht, anderen beweisen zu wollen, wie cool sie sind.“

So also spricht Mark E. Smith. Der ewige Miesepeter. Der Mann, dem man es nicht recht machen kann. Über seine schlechte Laune ist bereits viel geschrieben worden. Nähern wir uns dem Mancunian und seiner Gruppe also andersherum: Was gefällt Mark E. Smith?

Pubs. Bier ist sein Wasser. Wenn er trinken will, dann bestellt er doppelte Whiskeys. Sein Konsum ist bedenklich. Aber Smith ist 56 Jahre alt. Man darf davon ausgehen, dass er weiß, was er tut. Dazu zählt auch der Konsum von Speed. Smith sagt, bei ihm sorge die Droge für ruhigen Schlaf.

Dann: Frauen. Starke Frauen. In der wirren Geschichte von The Fall, die Mitte der 1970er-Jahre begann und weit davon entfernt ist, ein Ende zu finden, gab es fast immer eine starke Frau an der Seite von Mark E. Smith. Und wenn zwischenzeitlich mal nicht, dann ging es ihm schlecht. So wie an diesem Abend in der Düsseldorfer Philipshalle: Das war kurz nachdem ihn Brix verlassen hatte, sechs Jahre lang Ehefrau, Gitarristin und musikalische Mentorin. Eine starke Frau prägte auch schon die erste Version von The Fall, gegründet im Jahr 1976: Una Baines spielte Keyboards, war mit dem jungen Mark E. Smith zusammen und beeinflusste ihn mit ihren feministischen Ansichten. Als sie erst Smith und dann die Band verließ, rückte 1978 Kay Carroll nach, die zwar kein Instrument spielte, dafür aber als Managerin mehr Zug in die Karriere brachte. Auch sie war mit dem Sänger zusammen. 1983 tauchte dann die Amerikanerin Laura Elisse Salenger auf, die den Clash-Song „The Guns Of Brixton“ so sehr mochte, daher von allen Brix genannt wurde und schon bald Mrs. Smith wurde. Sie hatte das ambitionierte Ziel, The Fall weiter in Richtung Mainstream zu verfrachten – und das funktionierte einige Jahre lang sogar recht gut. Nach der Scheidung 1989 wurde für drei Jahre Saffron Prior seine zweite Ehefrau, Mitarbeiterin im Fanclub von The Fall. Nach mehreren ehelosen Jahren folgte Smiths dritter und vorerst letzter Streich: Er heiratete Elena Poulou, griechischer Abstammung, in der westdeutschen Provinz aufgewachsen und in Berlin dem Fall-Sänger unter die Augen gekommen. Die Ehe hält seit 2001.

Mark E. Smith mag Bücher. Damit fing 1976 ja auch alles an: Die Gruppe junger Menschen traf sich damals in Manchester in erster Linie nicht, um laute Pop- und Rockmusik zu spielen – in dieser Hinsicht waren, wie Smith gerne zugibt, die befreundeten Buzzcocks einfach talentierter. Man diskutierte über Romane und Sachbücher, las sich Gedichte vor. Die Gruppe wollten ein Gegenpol zur lyrischen Verarmung der Popmusik sein – und damit meinte der Sänger explizit auch die durchaus intellektuell angereicherten Postpunkbands wie Gang Of Four, deren Polit-Texte der Literaturfreak jedoch nicht ernst nahm. Noch heute verschlingt Smith Unmengen an Büchern. Wer ihn zu einer Party einlädt, erhält garantiert ein Buch als Geschenk – und muss damit rechnen, dass der Schenker beim nächsten Treffen sehr detailliert wissen möchte, wie dem Beschenkten die Lektüre gefallen hat. Den Bandnamen The Fall hat sich Mark E. Smith bei Albert Camus geklaut, dessen Werke er liebt. Camus hatte auch ein Buch mit dem Titel „Der Fremde“(engl. The Outsider) geschrieben – das hätte natürlich auch sehr gut zu dieser Gruppe gepasst. Doch erstens fand Smith ausgerechnet dieses Buch eher mies und zweitens entdeckte er schon bald in einem Secondhand-Laden die in seinen Ohren sehr gute Vinyl-Single einer Sixties-Beatband namens The Outsiders, woraufh in The Fall sehr bald gesetzt war.

The Outsiders legen die Fährte zu einer weiteren Leidenschaft des Mark E. Smith: Er liebt alte Garage-Platten aus den 1960er-Jahren. Infiziert wurde er schon als Teenager von der legendären NUGGETS-Compilation, die 1972 alte Aufnahmen von Garage-und Proto-Punkbands aus den USA ans Licht brachte. Als sich The Fall gründeten, spielte zudem Musik aus Deutschland eine große Rolle. Die ruppige G.I.-Band The Monks zum Beispiel, stationiert in der Coleman-Kaserne im hessischen Gelnhausen und zwischen 1965 und 1967 aktiv. Oder auch die kosmischen Bands der 1970er-Jahre, deren Musik die humorbegabten britischen Weeklies „NME“ und „Melody Maker““Krautrock“ tauften. Mark E. Smith steht vor allem auf Can. Er mag, dass in jedem Song immer alles passieren kann. Auf Can ist kein Verlass – eine Haltung, die Mark E. Smith für The Fall übernommen hat. Und wo wir gerade in Deutschland sind: Smith mag die deutsche Sprache. „Die Deutschen können mit ihrer Sprache spielen, sie auseinandernehmen, dekonstruieren und neu wieder zusammensetzen“, sagte er 2007 in einem Interview mit der „Welt“.“Die deutsche Sprache scheint sich alle 20 bis 30 Jahre rundzuerneuern. Im Englischen ist es nicht so. Das Einzige, was sich bei uns ändert, ist das Niveau. Und das geht steil nach unten.“

Und noch ein Letztes: Mark E. Smith mag die Arbeit. Als junger Kerl arbeitete er, schmächtig wie er war, in den Docks am Manchester Ship Canal. Dort malochte er, kompensierte fehlende Kraft durch ein loses Mundwerk -und war im Grunde ein recht glücklicher junger Mann. Mark E. Smith begriff sein Dasein als Sänger und Textschreiber allerdings von Beginn an als Beruf. Entsprechend lang ist die Diskografie: Mit RE-MIT erschien im Mai 2013 das Album Nummer 30. Zwölf Monate ohne ein neues Werk von The Fall sind rar wie Jahre, in denen es der FC Bayern nicht in die Champions League schafft. Als John Peel einmal gefragt wurde, ob es für ihn okay wäre, wenn er von jetzt auf gleich tot umfallen würde, erwiderte er: „Na ja, es wird im nächsten Jahr ein neues Album von The Fall erscheinen, daher käme mir der Tod jetzt eher ungelegen.“ Aussuchen konnte es sich auch der größte aller DJs nicht. Schade um die guten The-Fall-LPs, die er seit 2004 nicht mehr hören können wird.

ZWEITE BEGEGNUNG, Oktober 2004, The Fall im Gleis 22, Münster. Mark E. Smith betrat die kleine Bühne mit einem Lederhandschuh an der einen Hand. Die andere trug keinen, was merkwürdig vorkam, jedoch nicht weiter überraschte, denn wenn man etwas Merkwürdiges erwartet, dann doch wohl von The Fall. In den 9oer-Jahren hatte Mark E. Smith sich gehen lassen. Hatte mehr gesoffen als sonst. Noch mehr Leute geheuert, gefeuert. Platten dahingeschludert. Er mochte diese Dekade nicht. Zu viel Gerede über Geld. Dann zu viel Gequatsche über Technik und das Internet. Doch schon 1999 hatte Mark E. Smith mit der LP THE MARSHALL SUITE gezeigt, dass mit ihm noch zu rechnen ist. Und an diesem Herbstabend im Gleis 22 überzeugen The Fall dann alle: die studentischen Indie-Hipster mit ihren nagelneuen Franz-Ferdinand-Buttons, die alten Garagepunk-Haudegen in Sonics-T-Shirts und sogar die Underground-Veteranen in den hinteren Reihen, die sonst immer nach zwei Songs beginnen, von früher zu erzählen, von Spacemen 3 oder The Velvet Underground. An diesem Abend waren sie von Anfang bis Ende ruhig, wippten mit und tranken ihre Biere. Mark E. Smith, keine Frage, besitzt in diesen Kreisen eine riesengroße Autorität.

Wir alle schwärmten damals von dieser „sehr guten neuen Besetzung“ der Gruppe. In unserer The-Fall-Naivität wünschten wir uns, diese Leute hinter Mark E. Smith dürften nun ewig weitermachen. Neben seiner Ehefrau Elena an den Keyboards spielten Ben Pritchard (Gitarre), Steve Trafford (Bass), Spencer Birtwistle (Schlagzeug). Gemeinsam nahmen sie kurz danach die FALL HEAD ROLLS-LP auf, für viele ihre beste Platte seit Jahren – vor allem, weil sie so formidabel klang. Tocotronic- und Kante-Produzent Tobias Levin hörte sich damals den Song „Blindness“ in seinem Studio dutzendfach an, um herauszufinden, warum dieser Track so unglaublich nach vorne geht. Mark E. Smith wird doch nicht, dachten wir, diese aktuelle Band eines Tages ebenfalls in die Wüste schicken ?

Hat er auch nicht. Es war nämlich so, dass diese Band ihn in der Wüste stehen ließ. Das kam so: The Fall waren in den USA unterwegs. Drei Gigs gespielt, da machten sich Pritchard, Trafford und Birtwistle mit dem Bandbus inklusive Fahrer aus dem Staub und ließen Mark E. Smith und Ehefrau Elena in der heißen Sonne von Phoenix, Arizona zurück. In einem Interview begründete Pritchard später die Entscheidung -und klingt dabei wie ein Deserteur, der vor einem üblen Kommandanten flüchtet: Der Leader habe seine Band fortweg beschimpft, sei grundsätzlich betrunken gewesen. Smith habe dummes Zeug erzählt, regelmäßig die Shows versaut und zu allem Überfluss auf einer langen Fahrt durch den Wilden Westen dem Busfahrer eine Ladung Bier in den Nacken gekippt. Verteidigung des Angeklagten? „Das mit dem Bier stimmt. Der Fahrer war eingeschlafen.“

Mark E. Smith widmet dem Vorfall in Phoenix das erste Kapitel seiner sehr empfehlenswerten Biografie „Renegade – The Lives and Tales of Mark E. Smith“. Man erfährt auf diesen Seiten, was Mark E. Smith nicht mag: Männer, die nicht verstehen, was es bedeutet, Mitglied von The Fall zu sein. Man muss sich das so vorstellen: The Fall ist ein Zwischenuniversum. Das Leben dort hat nichts mit dem normalen Dasein eines durchschnittlichen Engländers zu tun; bei The Fall gibt es sonntags keinen Braten, telefoniert man nicht jeden Abend mit Zuhause, veranstaltet man keine Weihnachtsfeier und hält der Chef keine motivierende Ansprache. Das Leben eines The-Fall-Musikers hat aber auch nichts mit der Realität des Mitglieds einer herkömmlichen Rockband zu tun. Mark E. Smith sagt, die meisten Männer, die er für die Gruppe rekrutiert hatte, seien mit dem Leben in der Twilight Zone von The Fall nicht klargekommen. Früher oder später disqualifizieren sie sich: Wollen bei den Lyrics reinreden. Erzählen denen da draußen, wie es drinnen bei The Fall zugeht. Lästern über Mark E. Smith. Berichten von unzumutbaren Zuständen. Und Mark E. Smith? Beschimpft sie wahlweise als „Schande ihrer Generation“ oder „daft cunts“ – lässt sich ansonsten davon jedoch nicht mehr aus der Ruhe bringen. Er hat zu viele Musiker kommen und gehen gesehen, um nicht zu wissen, dass man jeden ersetzen kann: Gitarristen, Bassisten, Schlagzeuger. Als ihn seine Band 2006 in Phoenix, Arizona in der Wüste stehen ließ, suchte sich Smith einfach ein paar Musiker von der amerikanischen Westküste -eine weitere Version von The Fall, zuständig für die restlichen Gigs der US-Tour, einige Auftritte in England sowie das Album REFORMATION POST TLC. Aus der Not eine Tugend machen, nennt man das wohl. Smith: „Dass die Jungs sich verpisst hatten, war das Beste, was mir passieren konnte.“

Danach suchte sich Mark E. Smith wieder neues Personal. Er veranstaltet dafür keine Sessions, rekrutiert seit jeher von der Straße weg. Da kann es schon reichen, wenn der neue Gitarrist jemanden kennt, der ordentlich Bass spielen kann. Mark E. Smith lernt nicht aus Fehlern. Er wiederholt sie so lange, bis sie zu einer Strategie werden.

Diese Besetzung ist nun seit 2007 unverändert zusammen. Sechs Jahre schon. Im Zwischenreich von The Fall eine Ewigkeit. Mark E. Smith kann das natürlich erklären: „Diesen jungen Typen ist The Fall egal. Sie sind keine Fans, weil sie viel zu jung sind, um die Gruppe von früher zu kennen. Das hilft.“

DRITTE BEGEGNUNG,

September 2013, die dritte Staffel der US-Serie „Boardwalk Empire“. Nein, nein, Mark E. Smith hat hier leider keinen Cameo-Aufritt. Aber einer seiner Sätze hallt nach, wenn man Steve Buscemi in der Rolle von Nucky Thompson sieht, dem Alleinherrscher über Atlantic City zur Zeit der Prohibition: „Ich bin kein Tyrann“, sagte Mark E. Smith, „ich bin ein Typ wie diese amerikanischen Bürgermeister aus den Dreißigern.“

Buscemi ist als Nucky Thompson damit beschäftigt, das Chaos um ihn herum nicht zu groß werden zu lassen. Er weiß: Er braucht das Chaos, denn nur in diesem gedeihen seine Geschäfte. Doch auf keinen Fall darf es zu chaotisch werden, sonst entgleitet die Sache und alle denken, sie könnten machen, was sie wollen. Was die Rolle von Steve Buscemi und das Leben von Mark E. Smith eint, ist das Vertrauen in die Rückzugsmethode. „Ich mache das, wenn die Band nicht gut funktioniert“, sagt er. „Wenn ich dann weg bin, fehlt derjenige, der das Sagen hat. Sie müssen dann wohl oder übel versuchen, selber wieder in Tritt zu kommen.“ Klappt das nicht, spielen vielleicht schon bald andere Leute. Meistens jedoch funktioniere diese Methode ganz wunderbar.

Aber bedeutet das dann auch, dass eine Variante von The Fall vorstellbar ist, in der Mark E. Smith nichts anderes macht, als Backstage den zweiten Lederhandschuh zu suchen? „Nix da“, sagt er. „Ich habe einen Plan. Ich werde arbeiten, bis ich sterbe. Okidoki!“

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MARK E. SMITH – FÜR JOURNALISTEN DIE HÖLLE AUF ERDEN

Radio-DJ John Peel ist tot. Was liegt näher, als zu diesem traurigen Anlass Mark E. Smith zu interviewen, den Sänger einer von Peels Lieblingsbands. Doof nur, wenn dieser Mark E. Smith zur Zeit der Live-Schalte bereits sturzbetrunken ist und gar nicht mehr mitbekommt, worum es hier eigentlich gehen soll. Also streckt er vor der Kamera die Zunge heraus, statt warme Worte zu verlieren – das alles live in der großen Nachrichtensendung „Newsnight“, dem Klassiker von BBC 2.

Fußballfan Mark E. Smith (sein Club: Manchester City) wird von der BBC-Fußballshow „Final Score“ eingeladen, die Resultate eines Samstagnachmittags vorzulesen – als Dank, dass dessen Song „Theme From Sparta F.C.“ die Sendung untermalt. Smith nimmt die Sache recht ernst. Er liest sich trocken durch die Namen und Zahlen. So trocken, dass er Durst bekommt. Am Ende erfindet er den Club Southampton Town. Keiner lacht. Es ist großartig. Zu entdecken im Internet.

Die britische Fernsehjournalistin Caitlin Moran versuchte 1995, Mark E. Smith mit provokanten, persönlichen und sexuellen Fragen aus der Reserve zu locken. Smith sagt, er sei ein Softie. Sagt, er habe mit mehr Frauen geschlafen, als Moran gesehen hätte. Am Ende darf sie ihn schlagen. Ist aber, von ihrer Seite aus, nur ein Spaß.

DIE ESSENTIELLEN PLATTEN

1. DAS FRÜHE KULT-DING

DRAGNET (1979)

Zwischen Pappeimer-Drums und Rockabilly-Gitarren-Versuchsanordnungen erzählt der junge Mark E. Smith Geschichten über „Muzorewi’s Daughter“ oder die „Psykick Dancehall“. Einen der besten Tricks von The Fall gibt es schon hier in Vollendung: In „Spectre Vs. Rector“ konkurrieren eine vergleichsweise saubere und eine kaputte Demo-Version des Songs miteinander. Der Sieger steht nach vier Minuten fest. Dann geht der Song erst richtig los.

2. DAS ERSTE MEISTERWERK

HEX ENDUCTION HOUR (1982)

Mark E. Smith schreibt einen Klassiker und nennt ihn „The Classical“ – bis heute ein Dauersieger bei den Umfragen des besten Fall-Songs aller Zeiten und gecovert von Pavement. Dort oben zu finden ist auch „Hip Priest“, die freie Art-Rock-Absage an die Checker unter den Journalisten und andere Szene-Typen der Musikszene. Die Textzeile „He’s not appreciated“ ist unter Hardcore-Fans ein Schlachtruf. Auch drauf: „Who Makes The Nazis?“ Smith gibt ein paar Antworten. Die Schönste: „Buffalo lips on toast, smiling“.

3. DIE KONSENS-PLATTE

THIS NATION’S SAVING GRACE (1985)

Smiths Ehefrau Brix hat die Ambition, The Fall von der Underground-Nische in die Nähe der Hitparaden zu bringen. Seltsame Vorstellung – aber tatsächlich: The Fall entwickeln ein Pop-Gefühl. „Barmy“ oder „Gut Of The Quantifier“ klingen nach Northern Soul aus der Schattenwelt, die tiefe Verbeugung in Richtung Can – „I Am Damo Suzuki“ – ist das stärkste Stück und klingt nach den Einstürzenden Neubauten im Popformat.

4. DAS SONDERBARE BALLETT-ALBUM

I AM KURIOUS ORANJ (1988)

Das System The Fall kennt keine Grenzen: 1988 kooperieren Mark E. und Brix Smith mit der avantgardistischen Michael Clark Company und kreieren die Musik für ein modernes Tanztheater. Okay, die über die Bühne gleitenden Riesenhamburger wirken aus heutiger Sicht lächerlich, aber die The-Fall-Songs zum modernen Ballett sind von großer Klasse: Die aufgepeppte „Hip Priest“-Variante „Big New Prinz“ ist bis heute ein Live-Favorit; der Reggae „Kurious Oranj“ funktioniert genauso wie Smiths wuchtige Adaption des William-Blake-Gedichts „Jerusalem“. Und mittendrin einer der wenigen wirklich schönen Songs von The Fall: „Van Plague?“. Der Schönste übrigens heißt „Bill Is Dead“ und findet sich auf dem zwei Jahre später erscheinenden Album EXTRICATE.

5. DAS GRÖSSTE SPÄT-WERK

FALL HEADS ROLL (2005)

Ein bisschen wie aus dem Nichts hauen The Fall 2005 eine Platte raus, die Smiths Lyrics noch einmal auf eine neue Ebene bringt. Ein wenig hat er es wie Morrissey gemacht: Wenn die Karriere stagniert, versuche es mit ehrlichem Rock’n’Roll. Mark E. Smith lässt seine Musiker deutlich mehr geradeaus spielen; sie danken es ihm mit einem famosen druckvollen Bandsound, der den Worten des Sängers Flügel verleiht. „Blindness“ ist längst ein Klassiker, die The-Move-Coverversion „I Can Hear The Grass Grow“ ein weiteres Highlight. Ein Jahr zuvor ist eine der besten Singles von The Fall erschienen, der unverwüstlich grandiose Hooligan-Themensong „Theme From Sparta F.C.“.

ÜBER MARK E. SMITH UND THE FALL

„Ich höre heutzutage eine Menge Mist. Eines Nachts habe ich eine Fernsehsendung mit allerhand Rockbands gesehen – und die einzigen, die da etwas taugten, das wart ihr!“

(Bo Diddley zu Mark E. Smith bei einem zufälligen Treffen – Smith ist ein großer Fan von Diddley.)

„Ich mag The Fall, weil sie für Rock’n’Roll stehen.“

(Elton John, der damals in der gleichen TV-Show wie The Fall zu Gast war.)

„Man kann keine Band mit The Fall vergleichen, weil keine andere Band wie The Fall klingt. Und wenn sie nach The Fall klingen, kann man sie nur sehr mitleidig anschauen und sagen: ,Hey Jungs, ihr kopiert The Fall.'“

(Alex Kapranos, Franz Ferdinand)

„Ich habe geträumt, ich wäre Pizza essen mit Mark E. Smith /Natürlich hat er mir erzählt, wie scheußlich alles ist / Wir haben geredet und gesessen, fast die ganze Nacht /Am Ende hat er mir erzählt, wie man Platten macht.“

(Dirk von Lowtzow, Textzeile aus „Ich habe geträumt, ich wäre Pizza essen mit Mark E. Smith“)

DIE 10 ORIGINELLSTEN SONGTITEL

-* Bingo Master’s Breakout-

* Spectre Vs Rector-

* C’N’C -Hassle Schmuck-

* Jawbone And The Air-Rifle-

* Pilsner Trail-

* The Man Whose Head

* Expanded-

* I Am Damo Suzuki-

* The League Of Bald Headed

* Men-

* Paranoia Man In Cheap

* Shit Room-

* The $500 Bottle Of Wine

DIE 10 ORIGINELLSTEN SONGTITEL (MIT DEUTSCH-BEZUG)

-* Dresden Dolls-

* Kicker Conspiracy-

* Who Makes The Nazis?-

* Hotel Bloedel-

* Dktr. Faustus-

* Bremen Nacht-

* Das Vulture Ans Ein

* Nutter-Wain-

* Das Boot-

* Taurig (sic!)-

* Early Days Of Channel Führer