The Singles


Mal ganz ehrlich: So richtig wollen sich mir persönlich „Rocksensationen des Jahres“ wie Billy Talent nicht erschließen. Vielleicht bin ich ja „Rocksensationen des Jahres -müde, oder einfach Energiegeladene-Power-Punk-Hymnen-müde. „Red Flag“ IWarner] ist so eine energiegeladene Power-Punk-Hymne. Stell dir deine britische Lieblingsband mit fetteren Gitarren vor, so klingen Billy Talent. Charmant, aber über einen selbst auferlegten musikalischen Erziehungsauftrag nicht hinausgehend: das Cover der Buzzcocks-Power-Punk-Hymne“.Ever Fallen in Love (With Someone You Shouldn’fvel.“

Jetzt checkens die Amerikaner langsam [siehe oben – Kanadier sind auch Amerikaner, ob sie wollen oder nichtl und hören auf mit dem Nu-Metal-Emo-Screamo-Zeugs, und dann müssen die Österreicher damit anfangen. Ephen Rian aus Großraming waren schon mit Billy Talent auf Tour und veranstalten auf „Spread My Wings (Viva La Moppedl“ [Hpm Records] ein durch fette Gitarrenriffs unterstütztes Testosteron-freisetzendes Gescreame und Geemoe. Das ist sicher gut und alles, aber: der Nächste, bitte.

Man muss Musik in verschiedene Kontexte setzen. Nicht, dass Grizzly Bear aus [mittlerweile] Brooklyn mit ihrem versponnenen, symphonischen und sympathischen Psychedelic-Pop nicht auch außerhalb von Referenzsystemen und Kontextualisierungen sehr okay gingen, aber wenn man ,.0n A Neck, On A Spit“ IWarp/Rough Trade] so direkt im Alphabet nach dem Gescreame und Geemoe von oben hört, wird Grizzly Bear für einen Moment zur besten Band der Welt.

Der Ausdruck „Geemoe“. der in der heutigen Ausgabe dieser Rubrik aus gutem Grund schon mehrmals gefallen ist, wird noch öfters geschrieben werden, weil es halt einfach ein tolles Wort ist. Auch wenn Hush Puppies aus Frankreich mit Geemoe überhaupt nichts am Hut haben. „Single“ [Faith Recordings/Rough Trade] ist schon einmal ein hervorragender Titel für eine Single. Und der Song ein Uptempo-Power-Psychedelia-Indie- Rocker. Wieweit die Franzosen schon sind! Sogar die Kinks können sie: _l’m Not Like Everybody Else“, hübsch gecovert.

Geemoe kann man sich vorstellen als Übertragung dessen, was man in der Instrumentalmusik Dynamik nennt, auf die durch die Emo-Musik nach draußen getragenen Befindlichkeiten des Emo-Sängers. Auf und ab der Gefühle. Wie. Im. Richtigen. Leben. Meist sind das aber Second-Hand-Emotionen. Richtige Emotionen gibts bei Mia. und dem sehr relaxt-shuffelnden „Uhlala [Damit du fühlst]“ (R.O.T./Sony BMG], der im“.Zwischen Himmelunderde Remix“ mit glasklaren Marimba-Tönen angereichert wird. Schön.

Einer der Vorzüge des Remixes ist, dass er manchmal in der Lage ist. Musik, die dem Hörer gehörig am Arsch vorbeigeht, in Musik zu verwandeln, die dem Hörer direkt ins Ohr geht und bleibt. Die 12-lnch“.Kindling ForTheMas-1 ter“ IDomino/Rough Trade] von Stephen Malkmus ist so ein Beispielfall. Da wird der Albumtrack „Kindling ForThe Master“ von vier Remixern in höchst unterschiedliche, aber tanzflächenkompatible Tracks verwandelt. Der „Emperor Machine Remix“ und der“.Polmo Polpo Remix“ bewegen sich repetierend und trabend in Spät-70er/Früh-8oer Post-Funk-Disco-Sphären. Der „Major Swelüngs Remix“ frickelt den Funk ein bisschen auf. Und die großen Hot Chip veranstalten im“.Hot Chip Remix“ einen furztockenen Space-Funk. Uns war klar, dass Stephen Malkmus mit Geemoe nichts am Hut hat, dass er aber so den Funk hat, war uns nicht bekannt. Ihm wahrscheinlich auch nicht.

Sätze, die wir in Presseinfos lesen wollen, weil sie alte Feindbilder beschwören: ….. greift die Band auf ein Songwriting zurück, das sich bewusst dem modernen Trend der Elektronik widersetzt“. Das steht im Info zu „Perfect Circle“ (Tank Records] der Berliner Band Mojado. Wir stellen erstmal fest, dass eine Band nicht auf „ein“ Songwriting „zurückgreifen“ kann und dieses eine Songwriting, auf das sie nicht zurückgreifen kann, sich auch nichts und niemandem „widersetzen“ kann. Wir denken, dass ungefähr Folgendes gemeint sein dürfte: „Wir schreiben richtige Songs, die nichts mit dem Elektronik-Bumm-Bumm. das ja neuerdings so modern ist, zu tun haben.“ Und so ist es: schrammliger [Big-ICountry-Rock, der gerne Calexico sein will. Als Nächstes greife ich auf eine Single zurück, die sich bewusst dem modernen Trend des Geemoes widersetzt.

Zur Abwechslung mal wieder semi-furioser, hymnischer, vielschichtiger Gitarren-lndie-Pop aus England. Wobei sich die Vielschichtigkeit bei Mumm-Ra aus Bexhill On The Sea auf die vielen Gitarrenschichten bezieht, auf diese U2-Big-Country-klingel-dingel-Gitarrenschichten, die man heute so gerne hat. „Black Hurt Day And The Night Rolls On“ IColumbia/Red Ink/Rough Trade] überrascht dann mit Song 3: „Light Up This Room“ ist eine schnuckelige Folk-Ballade. Wave pop bands playing schnuckelige Folk-Balladen is the new Geemoe.

Es gibt ja Menschen, die die amerikanische Rockband Kiss richtig gut finden. Also nicht so gegen-den-Strich-so-schlecht-dass-es-schon-wieder-gut-istgut, sondern richtig gut. Tokyo Dragons aus London, England, und ihr „Come On Baby“ [Escapi Music] ist für solche Menschen gemacht: trashiger Kiss-Dauererektions-Rock, doofer Titel, keine Songs, schlechte Texte. Da sehnt man sich nach dem Geemoe von Ephen Rian aus Großraming. Nein.

Entschuldigen Sie bitte das sich anschließende dämliche Wortspiel: Zum Trost gibts was von Trost. Gut, ne? „In diesem Raum“ [Four Music/Columbia/Sony BMG] ist im „Original Mix“ ein schöner electro-geflavourter Old-I School-RnB, der im“.DJ Hell Remix“ zu einem düsteren Mehr-Etectro-weniger-R’n’B-Track wird. Und auch hier-, von Geemoe keine Spur.