Westbam über 20 Jahre Mayday


Am 30. April werden 25.000 Menschen in der Dortmunder Westfalenhalle unter dem Motto „Twenty Young“ mit DJs wie Jeff Mills oder Sven Väth den Geburtstag der Mayday, der „Mutter aller Raves“, feiern. Westbam hat als einziger Künstler auf allen aufgelegt. Ein Gespräch über Größenwahn, alternde Highlander und stumpfes Nachtlebengeschwätz.

Mayday und Loveparade waren wie Geschwister. Kann im Jahr eins nach der Katastrophe von Duisburg normal weitergefeiert werden?

Stimmt, die hiesige Techno-Szene ist in der Pingpong-Beziehung zwischen beiden entstanden. Aber auch wenn die Parade nicht weitergehen kann, sehe ich die Mayday nicht beschädigt.

Warum nicht?

Das Großartige an der Loveparade war das „Love“-Motto. Was musikalisch gespielt wurde, wusste doch hinterher niemand. Sie hat gelebt vom friedlichen, liebevollen Umgang aller miteinander. Das Unglück hat ihren innersten Kern zerstört. Die Mayday war immer der böse, ideologischere Bruder, dem es mehr auf die richtige Musik ankam.

Hat sich diese Szene nicht generell überlebt?

Es ist wie beim Rock’n’Roll: Techno is here to stay. Es wachsen immer wieder neue Kids nach, die sich mit ihren DJs und ihrem Sound gegen die DJs und den Sound der älteren Geschwister abgrenzen. Und es gibt uns Highlander, diejenigen, die immer schon da waren.

Highlander sind einsam. Ihr Job macht einsam?

Wir Highlander sind wenige und seit 20 Jahren dabei, wir erkennen uns. In zwei Jahrzehnten sind gut vier Nachtleben-Generationen an uns vorbeigezogen: Leute werden älter, plötzlich finden sie die anderen um sich herum zu jung, die Musik zu schlecht, sie checken aus – die nächsten kommen. So bleibt unser Publikum jung. Nur wir, wir werden älter und sind immer noch da … (lacht)

Sie waren als einziger DJ auf jeder Mayday. Was ist Ihre Rolle heute?

Früher war ich Veranstalter, jetzt bin ich dort nur noch Künstler. Da versuche ich, der Spezialisierung der Techno-Szene entgegenzuwirken und bei meinem Set möglichst viele Strömungen unterzubringen. Ich will nicht den Sound der Saison zeigen, sondern – das entspricht meinem musikalischen Universalismus, auch wenn das ein größenwahnsinniges Konzept ist – alle Facetten der letzten 20, 30 Jahre elektronischer Musik aufblitzen lassen.

Aber auch diesmal: Kein Minimal von Westbam, oder?

Solche Sub-Abteilungen findet man in den Nebenräumchen. Aber Mayday ist eben auch fucking Stadion-Rock, ein Kind der Neunziger, der Soundtrack des Größenwahns. Startzeichen war der Fall der Berliner Mauer, der Westen hat gesiegt, jetzt suchen wir das Land jenseits des Regenbogens. Die Zeitenwende für Minimal war dagegen der Fall der Twin Towers in New York, da begann der Rückzug, es gab Sinnkrisen statt Ravehymnen, die Musik des „Unter-uns-bleiben-Wollens“.

Nicht Ihr Programm.

Absolut nicht. In diesem Sinne war ich der Antiheld der Nuller. Ich wollte mich nicht als Mann des Minimal neu erfinden. Einfach, weil mir das keine Freude macht.

Früher gab es viele Raves, heute fast nur noch die Mayday. Warum?

Großveranstaltungen sind vielen in Deutschland nicht ganz geheuer, da kriegen sie gleich Angst. In Holland etwa wird dagegen weiter so gefeiert. Mayday ist heute eine Art Marke wie Rock am Ring. Die Dortmunder Westfalenhalle hat zudem eine einzigartige Atmosphäre.

Der Mayday wird oft vorgeworfen – wie der Loveparade auch – sie sei prollig.

Mag sein, aber moderne Musikgeschichte wird immer eher dort geschrieben, wo es etwas „prolliger“ ist, nicht in den kleinen Zirkeln, die dem guten Geschmack frönen. Denn der lebt immer davon, dass allen schon klar ist, worum es gerade geht, da gibt es nur gut abgehangene Dinge. Was etwa im Berghain läuft, ist ja nichts anderes, als das, was sich über die ganzen 90er-Jahre als der „coole Sound“ herauskristallisiert hat, und der wird dort noch konzentrierter für die Nachhut noch einmal richtig abgefeiert, der absolute Konsens des guten Geschmacks. Da passiert nichts, was für die Zukunft von Bedeutung sein wird – eine angenehme Endstation.

Wie würde ein typischer Berghain-Besucher die Mayday finden?

Das Berghain ist eher für ältere Semester, der Megarave für 40-Jährige. Und die fühlen sich bekanntlich nicht so wohl mit 17- oder 20-Jährigen, weil sie sich zu sehr infrage gestellt fühlen, deshalb tippe ich: Ein Berghainer würde das ablehnen.

Ihre Hymne zur Mayday heißt „Rave Mobil“. Das Wort „Rave“ war sehr lange verboten …

Jetzt, wo alle Schlachten der 90er-Jahre geschlagen sind und verdaut sein müssten, kann das Wort rehabilitiert werden. Zu 20 Jahren Mayday gehört es doch einfach in den Titel.

Worauf kann man nach mehr als 20 Jahren Nachtleben verzichten?

Auf das ewig gleiche Nachtlebengeschwätz. Deswegen gehe ich auf keine Afterhour mehr. Ich weiß, was da abläuft, in diese Abgründe möchte ich nicht mehr schauen, ich kenne die Texte auswendig.