White zu zweit


Jack White und seine Topmodelfrau Karen Elson sind eines der meistbeschäftigten Paare der Rockwelt. Dieser Tage veröffentlichen die beiden fast gleichzeitig Alben: sie ihr erstes, er sein zehntes. Wir haben die Eheleute getrennt voneinander befragt. Zwei Gespräche über Vorurteile, die Zukunft der Musikbranche und Liebe am Arbeitsplatz.

Als ich gestern im Kino saß, lief vor dem Hauptfilm eine Werbung für eine bekannte Eiscrememarke, deren musikalische Untermalung vom White-Stripes-Song „My Doorbell“ entliehen war. In der Reklame danach wurde Daft Punks „Da Funk“ abgekupfert. Fragen die Verantwortlichen solcher Spots überhaupt noch nach den Rechten an den Originalen oder bastelt man sich da gleich sein Imitat zusammen?

Jack White: Das Verrückte daran ist: Die müssen noch nicht mal fragen! Die ändern zwei Akkorde, die Tonart oder das Tempo und schon ist es legal. Und man kann kaum etwas dagegen unternehmen. Unsere Musik wurde allerdings schon häufiger geklaut. Zuletzt hat die US-Air-Force ein Plagiat von „Fell In Love With A Girl“ in einem Clip benutzt, der sogar in der Werbeunterbrechung des Superbowls lief. Da haben wir tatsächlich mal Anzeige erstattet. Wir unterstützen keine Rekrutierungskampagne in Zeiten, in denen sich unser Land in einem Krieg befindet, den wir nicht befürworten (Die US-Luftstreitkräfte behaupten, die Ähnlichkeit ihres Songs zu dem der White Stripes sei „völlig unbeabsichtigt“ – Anm. d. Red.).

Zu einem erfreulicheren Thema: Ihre Drittband The Dead Weather und Ihre Frau, das britische Topmodel Karen Elson, veröffentlichten im Mai im Abstand von einer Woche Alben. Haben Sie zuhause um den höheren Chartseinstieg gewettet?

Nein, nein, da besteht keine Konkurrenz. Wenn Sie mich fragen, hätte Karen ihr Album übrigens schon vor zehn Jahren veröffentlichen sollen. Sie ist so gut, sie hat ein Naturtalent fürs Songwriting.

Sie haben die Platte Ihrer Frau produziert. Hört die Arbeit jemals auf, wenn man mit dem Partner im Studio sitzt?

Ja, man kann abends schon abschalten. Solange du gut mit deiner Zeit haushalten kannst, gibt es immer genügend Raum und Zeit für alles. Manchmal arbeitest du achtzehn Stunden am Tag, manchmal nur zwei. Du machst eben das, was die Arbeit von dir verlangt.

Ein zweistündiger Arbeitstag im Leben des Jack White ist allerdings nur schwer vorstellbar.

Ich fürchte, da haben Sie Recht. Solche Tage gibt es bei mir wohl nur theoretisch.

Wie gehen Sie einen Arbeitstag an?

Viele Leute denken, dass ich meinem Job wie ein normaler Arbeiter begreife. Aber das stimmt nicht. Ich muss nicht jeden Tag beschäftigt sein. Wenn dem so wäre, dann würde ich wohl eher Antiquitäten sammeln als Musik machen. Wenn ich arbeite, dann will ich das auch. Und ich will eben oft. Manchen Menschen ist mein großer Output unheimlich. Die behaupten, ich würde mich dadurch entwerten. Sie sagen, ich sollte nur noch ein Projekt pro Jahr angehen. Aber so könnte ich nicht leben. Ich könnte mich nie solchen Regeln unterordnen.

Warum ist der große Backlash gegen Sie bislang ausgeblieben? Warum sind die, denen Jack White aufstößt, immer noch in der Minderheit?

Weil ich auf so vielen verschiedenen Baustellen arbeite. Außerdem nehmen mich die Leute eher als Produzenten all dieser Projekte wahr. Und zu Rick Rubin sagt ja auch niemand, er solle lieber weniger arbeiten. Wenn ich aber sieben White-Stripes-Platten im Jahr herausbringen würde, gäbe es wohl nur noch ein paar eingefleischte Fans, die zu mir stehen würden.

Wie gut kennen Sie diese sehr loyalen Hardcore-Fans? Was müssten Sie tun, um auch diese zu vergraulen?

Schwierig zu beantworten, denn ich mache Musik nur zur Hälfte für mein Publikum. Ich lebe nicht für den Applaus. Ich mache meine Musik zu fünfzig Prozent für mich. Deswegen habe ich die Interessen meines Publikums gar nicht so umfassend im Auge.

Wenn Sie Musik zu einem Großteil für sich selbst machen, wie kommt’s, dass Ihr Solodebüt immer noch aussteht? Scheuen Sie sich davor, allein zu sein? Schließlich sind Sie unter neun Geschwistern groß geworden.

Das hängt sicherlich damit zusammen. Ich brauche die Gesellschaft anderer. Es fühlt sich komisch an, wenn ich nur ein oder zwei Leute um mich habe – was merkwürdig klingt, da wir bei den White Stripes ja tatsächlich nur zu zweit sind. Das Ergebnis mehrerer Leute, die ihre Köpfe zusammenstecken, ist aber meistens interessanter als das Ergebnis eines einzelnen Kopfes.

Das Gerücht über Ihr seit Jahren im Entstehungsprozess begriffenen Soloalbum ist also offiziell dementiert.

Nein, so wie ich mich kenne, werde ich wahrscheinlich früher oder später doch eins aufnehmen müssen.

Die Erwartungshaltungen sind e-norm hoch. Immerhin wurden Sie seit Jahresbeginn häufig zur wichtigsten Figur der Musikszene des vergangenen Jahrzehnts gewählt.

Solche Listen ändern sich doch immer. Wenn man sich die ersten zehn Jahre des neuen Jahrhunderts in zwanzig Jahren ansieht, wird man möglicherweise Jay-Z als einflussreichsten Künstler bewerten. Oder Beck. Beide könnten meine persönliche Nummer eins sein. Außerdem hat dieses Jahrzehnt noch nicht mal einen anständigen Namen: Der wichtigste Rockstar der Nullerjahre? Wie klingt das denn?

Die Welt in zwanzig Jahren: Wie werden Plattenläden aussehen? Sie betreiben selbst ein Label, Third Man Records, das sich auf die Produktion von Schallplatten spezialisiert hat.

Der Kombination von Vinyl und digitalen Formaten gehört die Zukunft. CDs werden schon bald aussterben.

Aber egal, welches Trägermedium tonangebend wird: Die Musikindustrie ist dem Untergang geweiht, oder?

Die Industrie ist nicht zu retten, weil niemand an ihrer Rettung interessiert ist. Das eigentliche Problem ist aber: Es wachsen keine neuen Stars nach – keine wirklichen Stars, keine Michael Jacksons. Leute gehen heute mit sechs Monaten musikalischer Erfahrung ins Studio und nehmen etwas auf. Da ist keiner dabei, der zehn oder zwanzig Jahre Übungsraum hinter sich hat. Den Produzenten ist das egal: Du kannst alle Fehler ausbügeln, mit Auto-Tune bügelst du alle gesanglichen Patzer glatt. Das tötet die Leidenschaft, das tötet das Verlangen danach, unglaublich und einzigartig zu sein. Jemand wie James Brown hingegen war schon vor seinen ersten Aufnahmen vollendet.

Entgegen weit verbreiteter Meinung ist Lady Gaga laut Jack White also nicht der neue Michael Jackson?

(lacht) Dazu sage ich lieber nichts.

Stephan Rehm

Albumkritik ME 6/10

www.thirdmanrecords.com

www.thedeadweather.com

THE GHOST WHO WALKS ist Ihr erstes Album. Um gleich mal ein Vorurteil auszuräumen: Sie interessieren sich nicht erst für Musik, seit Sie mit Jack White verheiratet sind.

Karen Elson: Ich mache schon seit zehn Jahren Musik! Seit sieben Jahre singe ich bei The Citizens Band (politische Cabaret-Gruppe – Anm. d. Red.) und mit 21 Jahren hätte ich fast mein Solodebüt herausgebracht.

Warum kam es nicht soweit?

Mir haben tolle Leute bei dem Album geholfen. Aber sie waren der Meinung, dass es reicht, wenn ich singe, anstatt mich musikalisch einzubringen.

Die wollten nur eine Sängerin?

Ja, und dabei habe ich mich einfach nicht wohlgefühlt. Ich dachte: Wenn mein Name auf diesem Album steht, dann will ich auch die Songs schreiben. Aber ich wusste nicht, wie. Ich musste einen Schritt zurückgehen und lernen. Das war hart.

Wann fanden Sie die Zeit zum Lernen? Damals stolzierten Sie schließlich noch für Dior, Dolce & Gabbana und Versace über die Catwalks (und heute u. a. für Yves Saint Laurent – Anm. d. Red.).

Ich hatte auch mal frei. Ich kaufte mir einen Vierspurrekorder, Gitarren und Pedals, ging in mein Schlafzimmer und schrieb Songs – ziemlich schreckliche, wohlgemerkt. Aber ich habe es versucht. Das war ein wichtiger Teil des Prozesses. Es hat eine ganze Zeit gedauert, bis ich das Gefühl hatte, die Songs seien vorzeigbar. Nach meinem Umzug nach Nashville (2005, nachdem sie Jack White beim Videodreh zum White-Stripes-Song „Blue Orchid“ kennen gelernt und kurze Zeit später in einem Kanu auf dem Amazonas geehelicht hatte – Anm. d. Red.) fügte sich alles zusammen wie ein Puzzle. Hinzu kam Jacks Unterstützung. Er hat mich ermutigt, aus mir herauszugehen.

Viele sagen trotzdem: Sie ist die Frau von Jack White, jetzt muss Sie in Musik machen.

Viele Menschen reagieren so, was mir sehr nahe geht. Aber auch da hat mir Jack geholfen. Er sagte: „Die Leute kritisieren doch ohnehin alles. Du kannst einfach nur die Straße runtergehen und irgendjemand wird sich sogar darüber aufregen. Aber was bringt es, vor diesen Leuten zu kuschen?“ Es wird immer Leute geben, die einen mies machen. Was du selbst glaubst, ist alles, was zählt. Nur du lebst dein Leben.

Haben Sie je daran gedacht, das Album ohne Jack zu machen?

Ursprünglich wollte ich es ihn nicht produzieren lassen. Ich habe mit ihm über meine Zweifel gesprochen. Er meinte nur „Warum nicht?“ Er ist derjenige, der mich ermutigt hat, das Album aufzunehmen. Außerdem haben wir ein Studio im Garten unseres Hauses. Ich musste meine Seele nicht vor einem völlig Fremden ausbreiten. Ich konnte mit einem Mann arbeiten, der mich liebt und respektiert. Ich glaube, das merkt man dem Album auch an.

Jack hat meinem Kollegen erzählt, dass sie das Album schon vor zehn Jahren hätten machen sollen, weil sie so eine gute Songwriterin seien.

Ha, ha, ha! Die Menschen lieben es ja, ein Model zu beurteilen. Sie lieben diesen Ausdruck Model-Schrägstrich-Sonstnochwas. Model-Schrägstrich-Sängerin. Model-Schrägstrich-Schauspielerin. Egal, was es ist, es ist alles sehr abfällig. Jack ist nie so mit mir umgegangen. Ich weiß, dass er mich respektiert. Genau wie ich ihn. Er wusste daher, dass das Album eine ehrliche Äußerung meinerselbst ist. Ich glaube aber, dass er ein bisschen wütend auf mich war, dass ich so lange damit gewartet habe. Er sagte „Ich meine es ernst: Los jetzt!“ (lacht). Das ist natürlich das genaue Gegenteil von ihm: Er kann ein Album in ein paar Tagen herausspucken.

Er ist ein Getriebener.

Er ist unfassbar produktiv!

Beim Hören Ihres Albums fühlt man sich in die Vergangenheit versetzt: die 60er, die 70er, traditioneller Country und Folk, sogar mittelalterliche Klänge sind darauf zu finden. Was macht den Reiz des Vergangenen für Sie aus?

Als ich in New York gelebt habe, verklärten viele meiner amerikanischen Freunde meine Geburtsstadt Manchester wegen ihres musikalischen Reichtums. Ich mache dasselbe mit Amerika. Für mich ist Amerika ein sehr episches, wunderschönes, romantisches und dennoch dunkles, tragisches Etwas. Die Dust Bowl (Gebiet östlich der Rocky Mountains, in dem in den 30ern große Dürre und Erosion herrschte, woraufhin eine Massenflucht einsetzte – Anm. d. Red.), die Weltwirtschaftskrise 1929 – ich habe mich schon immer zu diesen Zeiten hingezogen gefühlt, sogar schon, bevor ich mit 18 Jahren in die USA kam. Fairport Convention in England, speziell Sandy Denny, waren ein großer Einfluss für mich. Es gibt diese britischen Elemente in mir, aber ich mag auch die psychedelischen US-Bands der 70er.

Speziell im Titelsong hört man Ihre Vorliebe für The Doors heraus.

Ja, The Doors, aber auch Musik, die in den frühen 80ern herauskam, wie die Paisleyunderground-Sachen und Bands wie The Rain Parade. Aber ich liebe auch Kriegs- und Nachkriegsballaden und Countrymusik, die von resoluten Frauen gemacht wird (lacht).

Sie mögen auch PJ Harvey, Melissa Auf der Maur und Cat Power – ebenfalls resolute Frauen.

Sie haben ihre eigene Realität definiert. Ich bewundere Frauen, die die Kontrolle über ihr Leben haben. In der Unterhaltungsindustrie haben es Frauen doppelt schwer. Da besteht ein Interesse daran, Frauen so zu vermarkten, dass sie weniger bedrohlich erscheinen. Oder weniger herausfordernd. Oder nicht so verführerisch. Oder noch verführerischer. Da gibt es eine sehr merkwürdige Dynamik.

Aufmerksamkeit ist eine Währung, mit der Sie sich auskennen. Wie unterscheiden sich Catwalk und Clubbühne?

Beim Singen fühle ich mich verletzlicher. Ich gebe viel mehr preis: etwas, von dem ich geträumt habe und was mich schon so lange begleitet. Bei den ersten beiden Songs eines Sets bin ich unglaublich nervös. Bis zehn Minuten vorher fühle ich mich noch fantastisch, und dann erschlägt mich die Angst. Der Catwalk, nun ja – den beherrsche ich nicht sonderlich gut. Ich stolpere viel zu viel. Ich weiß nicht, wie meine Kolleginnen es schaffen, auf diesen mörderischen Schuhen zu laufen. (Äfft einen Modelagenten nach) „Bringt mir die frischen 18-Jährigen, die stolpern nicht über ihre eigenen Beine!“ (lacht).

Simone Deckner

Albumkritik ME 6/10

www.karenelson.com