Wieder angeknipst


Vor 15 Jahren zog Jeff Lynne den Stecker aus einer der erfolgreichsten Popbands der 70er. Jetzt hat das Electric Light Orchestra wieder Saft.

Die Luft brennt im zweckmäßig zum TV-Studio ausgebauten Untergeschoss des New Yorker Manhattan Center. In wenigen Minuten wird hier Jeff Lynnes neu formiertes Electric Light Orchestra für eine „VH-1 Storytellers“-Aufzeichnung seine Konzert-Urständ‘ feiern. Vorab stimmt der Produzent der Sendung das Publikum auf die Show ein: „Wir wollen eure Begeisterung sehen! Ihr sollt zeigen, dass ihr voll drauf abfahrt!“, tönt er zum Hurra der ca. 500, die – zu 90 Prozent exklusiv geladene Fanclub-Mitglieder, zu 80 Prozent deutlich sichtbar jenseits der 40 – ohnehin gerade dabei sind, sich in eine ausgesprochen amerikanische Hyper-Begeisterung hineinzusteigern: Ein Gejohle und Auf-den-Stühlen-Wetzen wie Superbowl, Weihnachten und Sektengottesdienst auf einmal.

Überdrehte Fans auf Minimaldistanz in einem Raum voller TV-Kameras: nicht unbedingt Wohlfühl-Atmosphäre für den notorisch öffentlichkeitsscheuen Lynne, der sich nach dem (von ihm selbst herbeigesehnten) Ende von E.L.O. 1986 hinter seinem Produzenten-Mischpult verschanzte und seit 17 Jahren keine Konzertbühne mehr betreten hat. Als er jetzt – kollektives Ausrasten im Auditorium – hereinschlurft, das Gesicht versteckt hinter einem Schutzhelm aus heftig ondolierter Dauerwelle, Sonnenbrille und Vollbart, könnte man meinen, er würde am liebsten noch ein paar Jahre dranhängen. Augenscheinlich überfordert vom Enthusiasmus seiner Verehrer, wirkt der 53jährige, geboren im englischen Birmingham, aber seit den 80ern Los Angeles-Exilant, zwischen den Songs unsicher, verabreicht den Johlenden aber immer wieder hübsche Breitseiten trockenen Brit-Humors („Ich werde euch mal erzählen, wie es war, mit den Beatles zu arbeiten.“ Erwartungsvolles Oho. „Es war großartig.“ Nächster Song.) und hebelt mit wortkargen, selten mehr als vier Sätzen langen Ansagen das „Storytellers“-Konzept aus. Dafür flutscht das Greatest Hits-Programm: „Do Ya“, „Evil Woman“, „Showdown“, „Livin‘ Thing“, „Don’t Bring Me Down“ – das sehr junge neue Electric Light Orchestra (nur der langjährige E.L.O.-Keyboarder Richard Tandy und zwei sehr geschminkte Damen mit Celli sind in etwa Lynnes Jahrgang) spielt so tight, dass am Ende nur ein Song für die Aufzeichnung wiederholt werden muss.

„Ich war richtig geschockt. Ich wusste gar nicht, was ich mit mir anfangen sollte“, sagt Lynne am Tag nach dem Konzert über den Fan-Wahnsinn vom Vorabend – und fügt pflichtschuldig hinzu: „Aber ich habe jede Minute genossen. Umspült von dieser Welle aus…Liebe?“ Steif wie ein Vogel sitzt Lynne in einer Suite im 39. Stock des unbescheidenen Four Seasons Hotel, aus der Nähe viel hagerer und älter, die Augen wieder hinter einer undurchdringlichen Sonnenbrille. Die Dame von der US-Plattenfirma und ein Mann namens Phil mit einer Digitalkamera („Wir drehen ein kleines Home-Video“) bleiben während des Interviews seltsamerweise mit im Raum. Um Lynne zur Seite zu springen, falls ein Frager zu rabiat bohrt? (im Vorfeld gab es für die Journalisten eine kleine Liste von Themen, zuvörderst die E.L.O. Part II-Umtriebe von Ex-E.L.O.-Drummer Bev Bevan siehe Kasten -, die der Chef ungern „diskutiert“).

So abgesichert, scheint Lynne jedenfalls eher geneigt, stories zu erzählen. Zum Beispiel von seiner ersten Begegnung mit seinen großen Vorbildern, den Beatles Ende der 60er Jahre. „Wir machten unsere erste Platte mit The [die Race“, erzählt er mit leiser Stimme und nach knapp 20 Jahren L.A. immer noch deutlichem Midlands-Akzent, „da lud uns ein Freund unseres Technikers nach Abbey Road ein, um sie kennen zu lernen. Sie arbeiteten am Weißen Album, in getrennten Sessions. Paul war gerade dabei, die Bassline für ‚Why Don’t We Do It In The Road‘ einzuspielen. Ich werd’s nie vergessen: Das Preisschild hing noch an seinem Jazz Bass, und ich dachte nur: Whoa! Das sind die Beatles, wie sie gerade eine Beatles-Platte machen! Dann gingen wir in ein anderes Studio, wo George Martin gerade die Streicher-Parts für ‚Glass Onion“ aufnahm. Und da standen George und John, schüttelten uns die Hände: ‚Hi Jungs. Hört ruhig zu.‘ Ich habe danach zwei Tage nicht geschlafen.“

Märchenhafterweise war es ausgerechnet ein Beatle, der den ausgelaugten Lynne Mitte der 80er auffing: George Harrison holte ihn als Produzenten für sein – immer noch „aktuelles“ – 1987er-Album „Cloud Nine“. Es folgte Tom Pettys „Full Moon Fever“ (Lynne ist Co-Autor des letztens von Johnny Cash gecoverten „I Won’t Back Down ; gehört hat er dessen Version noch nicht), eins kam zum anderen: Lynne arbeitete mit Leuten wie Brian Wilson, Joe Cocker, Randy Newman, Roy Orbison (noch ein ewiges Vorbild), war mit letzterem sowie Bob Dylan, Petty und Harrison die Allstar-Combo Traveling Wilburys. Und er saß an den Reglern – praktisch auf dem Stuhl von George Martin -, als die Rest-Beatles 1995 zu einem alten Lennon-Tape „Free As A Bird“ einspielten, sein persönlicher Karriere-Gipfel, über den sich der Fan-Geliebene („Ich habe mit allen meinen Helden gearbeitet, sie danach aber wieder schön auf ihr Podest zurückgestellt.“) noch heute fast kindlich freuen kann: „Eine grandiose Erfahaing. Kann ich nur weiterempfehlen.“

Danach konnte nicht mehr viel kommen – und das tat es auch nicht. Ende der 90er wurden die Produzenten-Jobs weniger. Lynne mischte auf Paul McCartneys „Fläming Pie“ (1997) mit und arbeitete seither in seinem komplett zum Heimstudio ausgebauten Haus in Los Angeles (jeder Raum ist mit Mikro-Kabeln vernetzt) am ersten eigenen Album in zehn Jahren. Anders als auf seiner „Solo“-Platte „Armchair Theatre“ (1990) wird auf „Zoom“ – obgleich ebenfalls so gut wie allein eingespielt – wieder „Electric Light Orchestra“ stehen. „Der Abstand erschien jetzt groß genug“, sagt Lynne über das zuletzt zur Bürde gewordene Etikett, das nun wieder verkaufsfördernd prangen darf.

Mit E.L.O. kehrt eine der letzten Bastionen der Uncoolness der zuletzt weithin als „kultig“ wieder entdeckten 70s zurück. Dass Lynne – mit seinem beileibe nicht immer untrüglichen, aber doch ausgeprägten Händchen für Ohrwürmer für mehrere Handvoll Pop-Klassiker verantwortlich – von der Popkultur nie so warm umarmt wurde wie etwa Abba, ist dem oft belächelten Proto-Nerd egal. „Ich habe nie Musik gemacht, um cool zu sein“, platitüdiert er stur. Nur einmal erinnerte sich der Zeitgeist des Pompsounds von E.L.O.: Am Schluss seiner 70s-Porno-Saga „Boogie Nights“ (1997) schnitt Regisseur Paul T. Anderson vom finalen Anblick von Mark Wahlbergs Gemächt auf Schwarzblende und setzte wie einen Tusch E.L.O.s „Livin‘ Thing“ darauf- eine Szene für die Ewigkeit. „Großartig“, freut sich Lynne, der bereitwillig sein O.K. gegeben hatte. „Ich meine, das sah ja aus, als käme der Song direkt aus seinem Willie!“ -»www.elomusk.com