„Wir haben alle Vorurteile ignoriert!“


Je erfolgreicher The Killers sind, desto vorsichtiger scheint Brandon Flowers, Sänger und Kopf dieser Band, zu werden. Zumindest in seinen Statements. Musikalisch hat seine Band hin- gegen einen Schritt hin zum Pop gewagt, der nahelegt, dass uns das ganz große 80er- Revival erst noch ins Haus steht. Nur zu, schüttelt ruhig mit den Köpfen! Es wird euch nicht helfen.

Please note:“, lautet die Warnung auf dem Beiblatt, das unter den Journalisten verteilt wurde: „All of these tracks are unmastered and therefore do not represent their finished State.“

Aber hier macht sich keiner was vor: Da wird vielleicht noch ein wenig am Sound gedreht. Aber was wir hier im sechsten Stockwerk eines postmodernen Trend-Hotels an der St. Martin’s Lane in London vorgespielt bekommen, wird genau das sein, was auch die sehr vielen anderen Menschen hören werden, die sich ab dem 21. November das dritte Album der Killers kaufen „, Zum Zeitpunkt der Interviewtage mit der europäischen Presse sind zwar nur fünf Songs von day & age fertiggestellt, doch diese fünf Songs genügen, um Menschen, die auf gewisse ästhetische Verlässlichkeiten bauen, gründlich zu verunsichern. Schon die entwaffnend arglose und vorsätzlich schwülstige Vorabsingle „Human“ schießt einen so tief in die 80er Jahre, wie das neben den Pet Shop Boys wohl eben nur ein Überzeugungstäter wie Stuart Price vermag. Der 1977 geborene Brite half einst unter den Pseudonymen Jacques Lu Cont und Les Rythmes Digitales, dem französischen House-Sound einen ruhmreichen Namen zu geben. Er leistete mit Zoot Woman Pionierarbeit in Sachen Elektroclash und schneiderte Madonna confessions on a dance floor auf den durchtrainierten Leib, das alle Rekorde brechende Abba-Ripoff „Hung Up“ inklusive. Nicht zuletzt baute Price, der auch schon für New Order, P. Diddy, Seal und jüngst für Keane gearbeitet hat, einen opulenten, spiegelblanken Remix der Killers-Single „Mr. Brightside“. Das hat ihnen offensichtlich gefallen, denn jetzt durfte er das komplette dritte Album der Killers produzieren.

Einen Song names „Spaceman“ zum Beispiel. Der erinnert im Titel wie im leicht glamigen Sound nicht zufällig an Bowie, beansprucht in Sachen Melodie und Arrangement aber ebenso wie „Human“ zuerst einmal einen Startplatz in der „ZDF Hitparade“ – oder wenigstens ein bisschen Airplay bei „Formel Eins“. Auch „Losing Touch“ gemahnt an den „Thin White Duke“ (ein Alias, das übrigens auch Stuart Price spazieren trägt, verliehen von Madonna persönlich), allerdings an den Bowie der 80er Jahre. Als der sich mit Leuten wie Robert Palmer auf die Füße stieg. Garantiert sekundiert von einem extrovertierten Saxophonisten. Und so auch die Killers.

„A Dustland Fairytale“ wird von einem rhythmischen Piano vorangetrieben, geht fast noch als Überbleibsel von sam’s town durch und erzählt die Geschichte, wie sich Mama und Papa Flowers mit 15 Jahren im Trailer-Park kennenlernten. Am merk- und denkwürdigsten ist aber „I Can’t Stay“: Das romantische Stück startet mit einem Bassriff, das verdächtig nach dem 60s-Evergreen „Concrete And Clay“ klingt, und tatsächlich an dessen lässigem Begrüßungscoctail-Shuffle festhält, während Steeldrums und Harfen-Arpeggios wie Sternschnuppen am Firmament vorbeifliegen. Und dann kommt es tatsächlich: ein Saxophon-Solo!… Herr Flowers, ich glaube, wir müssen reden!

Eure Absicht, beim dritten Album gewisse Dinge anders zu machen, ist nicht zu überhören…

brendon flowers: Auf sam’s town haben wir den Mit-Sing-Faktor eher vernachlässigt. Das ganze Album war ziemlich heavy. Diese Stücke live zu spielen war toll, sie waren ja sehr spannend und aufregend. Aber wir können auch richtige Popsongs schreiben, und das hatten wir zwischendurch fast vergessen…

Was machte Stuart Price zum perfekten Produzenten für dieses Vorhaben?

Er ist jung. Er ist ambitioniert. Obwohl er schon mit ein paar ganz großen Leuten gearbeitet hat, sind wir seine erste richtige Band, und darum gehört er irgendwie uns. Außerdem teilen wir eine Menge ähnlicher Einflüsse. Wir haben ihm vertraut und sind sehr, sehr happy mit dem Ergebnis. Auf melodischer Ebene ist es eindeutig unser stärkstes Album. Wir driften ständig zwischen Moll und Dur hin und her. So etwas auszuprobieren macht Spaß. Es war ein richtiges Abenteuer.

Das ist wohl auch für den Hörer genau das richtige Wort, wenn er einen Song wie“l Can’t Stay“ hört mit seinen Harfen und Steeldrums…

(gluckst vergnügt) Vergiss nicht das Saxophon! … Und die Percussions! Für die engagierten wir extra einen Mann aus Kuba. Wir wollten bei dieser Platte Spaß haben, und wir wollten auch mutiger sein. Ein Saxophon-Solo ist ja immer noch ein Tabu…

Man kriegt immer noch „Baker Street -Visionen, nur beim Gedanken daran…

Stimmt. Dabei gibt es viele fantastische Songs mit Saxophon. Und deshalb haben wir all diese Vorurteile einfach ignoriert. Wir wollen uns nicht auf Pop oder Rock festlegen. Uns gefällt alles! Als Stuart zum Beispiel mit der Idee von den Steeldrums ankam, kippte uns selbst die Kinnlade runter. Aber es funktioniert! Wenn die Steeldrums reinkommen, hebt der Song ab. Seit „Arielle, die Meerjungfrau“ hatte ich keine Steeldrums mehr gehört… Dieses Album ist echt ein großer Schritt für uns. Und ich glaube, dass es viele Fragen über uns beantworten wird. Es wird uns Türen öffnen, day & age ist unser definitives Album!

Vor sechs Jahren nahmen sich The killers noch lange nicht so viele Freiheiten heraus. Und trauten sich doch einiges. Eminem, Avril Lavigne, Pink und Linkin Park beherrschten die US-Charts. Doch diese Band aus Las Vegas scherte das nicht. Sie zitierte beharrlich Künstler von den Britischen Inseln: Morrissey und The Smiths, Echo & The Bunnymen, The Cure, New Order und als breitenwirksamstes Vorbild noch U2. Niemand außer ihm habe sich an seiner High School für solche Musik interessiert, erzählte Brandon Flowers uns in einem früheren Interview: „In den ‚Musiker gesucht‘-Anzeigen der Musikzeitungen hieß es immer nur:,… muss Staind, Tool und Korn mögen!’Doch mir gab diese Lebensangst und Aggression nichts, die in dieser Musik steckte. Die Musik aus England hingegen stimmte mich heiter. Ich saß in der Wüste und träumte vom Regen in Manchester.“

Mit etwas Glück stieß Flowers, der sich 2001 von seiner ersten Band The Blush Response trennte, als diese nach Los Angeles umzog, dann aber doch auf die richtige Anzeige. Die hatte der fünf Jahre ältere Gitarrist Dave Keuning aufgegeben und Monate gewartet, bis endlich der Richtige antwortete (den Querverweis „The Cure“ hatte er da schon längst entnervt aus der Annonce entfernt, weil sich ständig Gothics bei ihm meldeten). Flowers und Keuning verbrüderten sich über ihre Liebe zu Oasis und holten Drummer Ronnie Vannucci Jr. und Bassist Mark Stoermer hinzu, die sie aus der Coverband-Szene von Las Vegas kannten.

Die Ambitionen der Killers waren von Anfang an gewaltig. Darin unterschieden sie sich grundsätzlich von ihren Vorbildern von den Britischen Inseln aus den Achtzigern, die auf den kommerziellen Erfolg höchstens schielen durften- aufgrund eigener Ideale oder entsprechender Erwartungen auf Seiten ihres eingeschworenen Publikums. Brandon Flowers räumte zwar ein, dass man einen solchen Erfolg nicht erzwingen könne. Aber der erste Manager Braden Merrick wurde unter anderem wegen mangelnder Ambitionen gefeuert: „Ich merkte, dass er anders dachte als wir, als er sagte: Wäre es nicht toll, wenn wir vom ersten Album 200.000 Exemplare verkauften?“ Die Frage, wer bei den Killers die Hosen anhat, stellt zumindest Braden Merrick nicht mehr. Aber wie steht Brandon Flowers selbst zu seiner Rolle?

Früher war es dir gar nicht so recht, wenn du als Sprecher der Band behandelt wurdest. Hat sich das geändert?

Es bringt eben sehr viel Druck mit sich. Ich habe die Band einzig mit dem Ziel gegründet, gute Songs zu schreiben. Das hat uns bereits erstaunlich weit gebracht. Jetzt gilt es, all die Dinge in den Griff zu bekommen, die der Erfolg mit sich bringt.

Und wie kommst du damit voran?

Nicht schlecht. Ich bin zwar noch nicht Bono. Aber das wird sich schon noch ergeben.

Was… dass du Bono wirst?

(trocken) Nein. Dass ich mich als Frontmann sicherer fühle. Als Botschafter der Band.

Ein Botschafter braucht eine Botschaft. Was ist die Botschaft der Killers?

Es geht allein um die Songs! Wenn darin eine Message steckt, durch die jemand auf irgendeine Weise aufgerüttelt oder berührt wird, umso besser.

Was muss dich berühren, um Texte zu schreiben?

Die Lyrics sind für mich das Schwierigste. Sie kommen zuletzt. Ich warte, bis der Blitz einschlägt. Es ist ein langwieriger Prozess. Und im Grunde geht es mir auch nur darum, ein paar Zeilen zu schreiben, die mir nicht peinlich sind, wenn ich sie den Rest meines Lebens singen muss.

Auch wenn Flowers kein Mann großer Worte und ganz sicher nicht zum Bono seiner Generation geboren ist: Seine Texte handeln immerhin immer wieder von Themen, die nicht schon tausendmal durchgereimt wurden. Das hat er ganz bestimmt von seinen Helden aus den Achtzigern gelernt. Da sinniert er in „All These Things That I’ve Done“ über die Schwierigkeit, seinen Glauben – Flowers ist praktizierender Mormone – mit seinem Dasein als Popstar zu vereinbaren. „Uncle Jonny“ dreht sich um einen Onkel, der im Kokainwahn überzeugt war, Aliens wollten seine Spermien klauen, und der sich die Hoden vom Leib schießen wollte. Er schoss daneben.

„Bling (Confession Of A King)“ erzählt die Geschichte von Flowers‘ Vater, der von einem Tag auf den anderen dem Alkohol entsagte und zum Mormonenrum bekehrt wurde, als Brandon fünf Jahre alt war. Bislang nicht weniger als drei Songs handeln von Morden – .Jenny Was A Friend Of Mine“, „Midnight Show“ und „Leave The Bourbon On The Shelf“ – und wurden von Morrisseys „Sister I’m A Poet“ inspiriert. Einer der neuen Songs, „Goodnight, Travel Well“, ist ein Goodbye an Gitarrist Keunings kürzlich verstorbene Mutter.

lm Losing Touch“ singst du: „I lost my soul/l’m losing touch“…

(hastig) Da geht’s um jemanden anders, der seine Seele verkauft hat! Meine Seele ist noch intakt…

Dennoch konnte der Song durchaus von der Angst handeln, im Popgeschäft seine Seele zu verlieren?

Diese Gefahr besteht bestimmt. Um das zu vermeiden, muss man einfach mit den Füßen auf dem Boden bleiben. Wir fühlen uns bis heute vor allem geehrt, in unserer Lage zu sein. Und wir wollen, dass es so weiter geht.

Brandon Flowers ist nicht immer so vorsichtig in seinen Aussagen gewesen. Im Gegenteil: Der junge Flowers war ein hochmütiger Bursche. Der ausgerechnet Thom Yorke des Verrates an seiner Muse bezichtigte: „Er sollte dankbar sein für das Geschenk, großartige Popsongs schreiben zu können und endlich wieder damit anfangen!“ Der seine Berufskollegen Fall Out Boy als dumm und faul beschimpfte. Später entschuldigte er sich öffentlich bei ihnen. Und tat das auch bei Panic At The Disco und The Bravery, denen er ähnlich dumm gekommen war. Als seine Behauptung, sam’s town sei eines der besten Alben der letzten 20 Jahre, als Prahlerei kritisiert wurde, konnte er das gar nicht verstehen: Er habe doch nicht behauptet, es sei DAS beste Album gewesen, sondern nur eines der besten …

Nun, wo konnte der Satz „Der Erfolg gibt dir recht“ besser in Fleisch und Blut übergehen als in Las Vegas? Zwölf Millionen Exemplare hat die Band bis heute von ihren ersten beiden Alben verkauft. Die Zeile „I got soul/But l’m not a soldier“ aus „All These Things That I’ve Done“ ist zum geflügelten Wort avanciert und von U2, Coldplay und Robbie Williams live zitiert worden. Der große Lou Reed sang mit Flowers im Duett („Tranquilize“ erschien im Oktober 2007). Vor allem aber haben es The Killers geschafft, den Weg vom Insidertipp zur allumfassenden Rock- und Popband mit großen und zügigen Schritten zu gehen, ohne einen Ausrutscher.

Doch dieser Erfolg scheint Flowers nicht gestärkt, sondern eher verunsichert zu haben – zumindest hat es ihn sehr, sehr vorsichtig gemacht. Seine unterhaltsamen Provokationen von früher erachtet er heute als Dummheiten: „Dass mir solche Dinge herausgerutscht sind, erwies sich eindeutig als Fehler“, räumt er ein in der knappen Sprache derer, die taktischen Zwängen unterliegen. In der Flucht nach hinten lässt er sich nahezu von jeder Frage in die Defensive treiben, wenn er darin auch nur den Hauch einer Herausforderung oder gar eines Hinterhalts wittert. Er scheint davon überzeugt zu sein, dass er mit jeder Äußerung, die irgendjemandem auf diesem Planeten sauer aufstoßen könnte, seinen Plänen, ein möglichst großes Publikum zu erreichen, im Weg steht.

Die Killers haben mit einem gewaltigen Sound angefangen und sind noch gewaltiger geworden. Doch es gibt im Rock offensichtlich ein Limit: Bis zu einem gewissen Crad wird Bombast als majestätisch empfunden, darüber hinaus wirkt er nur noch pompös.

Stimmt.

Das neue Album hält sich da ja auch nicht gerade zurück. Werden die Killers eines Tages ruhiger und ausgewogener werden ?

Ich hoffe es. Wir müssen das eben auch erst lernen. Es bedarf dafür ein gewisses Maß an Reife und Weisheit. Am Ende geht es uns darum, so gute Musik zu machen wie die, die wir in unserer Jugend gehört haben.

Verkaufszahlen alleine sind ja nicht eben ein Gradmesser für Qualität, oder?

Nein. Aber manchmal gehen diese beiden Dinge Hand in Hand. In letzter Zeit passiert das immer seltener. Aber auch die Qualität von Lou Reeds transformer ist garantiert nicht von seinen Verkaufszahlen reflektiert worden. The Smiths – für die gilt das gleiche. Es gab Ausnahmen: Tom Petty, die Beach Boys, U2, Talking Heads… Da wurde Qualität und Mut mit guten Verkaufszahlen belohnt.

Wenn man Flowers so gegenübersitzt und dieses schmerzliche Lächeln über sein Gesicht huschen sieht, möchte man augenblicklich aufhören, ihm Fragen zu stellen. Ein jeder Satz, den er schließlich aus seinem Mund rutschen lässt, ist im Flowerschen Zensurbüro einer eingehenden Untersuchung unter- und dann mit einer Teflonschicht überzogen worden. Seine Bemühungen, bloß keinen Verdacht aufkommen zu lassen, dass er überhaupt eines umstrittenen Gedankens fähig wäre, tragen fast heroische Züge. Vielleicht sieht so der Kampf eines Kontrollfreaks gegen den Lauf der Welt aus. Selten hat ein Popstar mehr Popstar sein wollen – und selten hat es einer weniger gewollt als Brandon Flowers.

Wie alt ist eigentlich dein Sohn?

13 Monate.

Hat das Vatersein deine Lebensperspektive verändert?

Ich glaube, es hat mich freundlicher gemacht. Ich habe mehr Respekt für die Dinge. Ich bin weniger egoistisch, würde ich sagen.

Kommen einem jungen Vater nicht auch Gedanken wie: Wie wird die Welt ausschauen, in der mein Kind leben wird, durch den ganzen Mist, die wir mit unserer Umwelt angestellt haben?

(bricht in schallendes Gelächter aus) Das ist aber ein sehr düsterer Gedanke! Ich versuche, die Dinge in einem positiveren Licht zu sehen. Ich will meinen Sohn gut aufziehen. Ich hoffe, dass er ein guter Mensch wird. Es gibt viele negative Dinge um uns herum, aber ich versuche, optimistisch zu bleiben. Es ist toll, auf der Erde zu sein! Es sind die guten Tage, an denen einem ein Satz wie dieser als „Botschaft“ genügt. Und es sind wohl die besseren, an denen man nicht groß hadern mag mit diesen hochfliegenden, preziösen, fast törichten Songs, die die Killers über uns ausschütten, als gäbe es kein Morgen („… und nur das Beste aus den 80ern, 90ern und von heute!“). An denen man auf die große Herbst-Frage des Pop -,Are we human or are we dancer?“ – nur eine Antwort weiß: „Beides!“

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