Wir waren in Lissabon und haben den Countdown zum Eurosonic 2016 gestartet


Vom 11. bis zum 14. Januar 2017 findet im niederländischen Groningen zum bereits 31. Mal das Eurosonic Festival statt. Fokusland in diesem Jahr: Portugal. Grund genug, die dortige Popszene live auszuchecken.

Wir sitzen in einer Szene-Bar, direkt am Fluss Tejo, mit Aussicht auf das UNESCO-Weltkulturerbe Torre de Belem, die Sonne scheint auch Mitte November mild auf Lissabon herab. Nicht der schlechteste Spot gegen aufkommende Herbstdepressionen. Die quälen auch Nelson, der unter dem Namen We Bless This Mess Musik macht. Ihn enervieren jedoch weder graue Wolken noch Eiseskälte, ihn triezt die Sackgasse Portugal.

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„Ich singe auf Englisch, um meine Message besser verbreiten zu können. Ich bin in Portugal geboren, aufgewachsen, lebe und arbeite hier und dennoch komme ich mit meiner Kunst nicht weiter“, sagt er. Es ist ein Ding, dass sich bei vielen Bands und Solokünstlern in Portugal durchzieht. Die Popszene ist zwar vital, aber ihr gelingt kein sichtbarer Durchbruch. Nelson erzählt, dass er im vergangenen Jahr mehr Auftritte in Frankreich hatte als in seinem Heimatland, „und auch die Shows waren alle DIY-organisiert.“ Aus ihm spricht eine Verzweiflung, aber auch eine Hoffnung. Eine Hoffnung, die er insbesondere an die zweite Januar-Woche 2017 knüpft: Dann findet im niederländischen Groningen das Eurosonic Festival, selbstbewusst als „The European Music Platform“ vermarktet, statt. Dort wird Portugal als Fokusland auftreten. Über 20 Bands und Acts werden sich an den drei Tagen zwischen den Grachten dem Publikum präsentieren. Immer im Hinterkopf: die Hoffnung auf eine positive Berichterstattung, einen neuen Vertrag oder wenigstens ein paar helfende Kontakte.

Bereits gestern spielte Nelson in der MusicBox auf Lissabons Ausgehmeile „Pink Street“ ein Konzert im Rahmen des „Why Portugal“-Showcases. Gemeinsam mit NEEV, der live mit seinem überbordendem Konstrukt aus Bombast-Stadion-Rock und stiller Electronica bewiesen hat, dass er ganz groß werden kann, und den spektakulären Electrofricklern Holy Nothing, zeugt er von einer Speerspitze junger, international denkender, portugiesischer Popmusik. Heute Abend wird Nelson erneut als We Bless This Mess auf der Bühne der MusicBox stehen und seine an Billy Bragg erinnernden Erweckungssalven ins Publikum rufen.

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Leiria ist das Epizentrum der portugiesischen Popmusik – dank Hugo Ferreira

Ein Mann, an dem man nicht vorbeikommt, wenn man das Potenzial Portugals für die europäische Musiklandschaft erkennen möchte, ist Hugo Ferreira. Ihm gehört mit Omnichord Records das wohl interessanteste und zugleich geschmackssicherste Label des Landes. Hugo erzählt von seiner Studienzeit in Coimbra, davon, dass damals niemand Joy Division oder The Smiths live gesehen habe und doch jeder, „wirklich jeder, den ich kannte – und in der Stadt kannte sich jeder!“, die Shirts und Platten dieser Bands spazieren trug. „Die Zeitschrift „The Wire“ war unsere Bibel und John Peel unser Messias“, erinnert er sich mit einem Schmunzeln. Die Entstehungsgeschichte seines Labels hätte selbst Nick Hornby nicht schöner aufschreiben können: Nachdem er und seine Studienkollegen eine Reihe von Konzerten organisiert hatten, unter anderen Sigur Ros‘ allererstes Portugal-Konzert, und er mit einem Malzverarbeitungsunternehmen gutes Geld gemacht hat („Das ist wirklich nicht der Rede wert“), entschied er sich, die folgenden Generationen für das zu begeistern, was er liebt. Er ging in Schulen seiner Heimatstadt Leiria und bot Workshops an. Die Kids sollten Bands gründen und sich auf die Bühne trauen. Die besten der jeweiligen Jahrgänge würde er unter Vertrag nehmen.

Und so ist es nicht verwunderlich, dass dank Hugo Ferreiras Engagement die Kleinstadt längst das Epizentrum der portugiesischen Popmusik ist. Eine seiner Schützlinge wird heute Abend den Reigen in der MusicBox eröffnen: Surma. Mit Anfang 20 hat Debora Umbelino, wie Surma mit bürgerlichem Namen heißt, bereits einen riesigen Instrumentenpark um sich geschart, aus dem sie es versteht, dunkel-süßliche Popmusik zu erschaffen, die in einem Takt mit dem Zeitgeist pocht. Während sie auf der Bühne zerbrechlich und teils auch verloren aussieht, so ganz allein zwischen ihrer Armada aus Looppedalen, Workstations und Sequenzern, ist sie abseits des Scheinwerfers ein wahrer Sonnenschein. Sie freue sich, so sagt sie, dass ihre Musik anerkannt wird und dass all die Arbeit nicht umsonst sei. 2017 soll das Debütalbum kommen. Musikerinnen wie Austra und Zola Jesus werden Augen machen, wenn sie die perfekt aufeinander abgestimmten elektronischen Miniaturen in einem jeden Surma-Song hören.

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Portugals größte Pop-Hoffnung: Surma

Das Eurosonic Festival, so viel ist nach den zwei ereignisreichen Tagen in Lissabon klar, könnte Portugal, um mit den Beginnern zu sprechen, endlich auf die Karte packen.

Nuno Capela
Nuno Capela
Nuno Capela
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