Wird die Modebranche Opfer ihrer inflationären, medialen Selbstinszenierung?


Fashion Week 2016 heißt: Mode, die erst in sechs Monaten erhältlich sein wird, wird live für die Öffentlichkeit sichtbar ins Netz übertragen. Street-Style-Inszenierungen digitaler Influencer spielen eine größere Rolle als Designer und deren Entwürfe. Was macht Online-Oversharing mit dem Mode-Business?

Der Mode-Monat ist gerade vorbei. Wir fragen: Welche Trends, innovativen, spektakulären Designs, Looks und Show-Inszenierungen haben uns inspiriert oder nachhaltig beeindruckt. Keine? Tja, da sitzt ihr zumindest mit der ME.STYLE-Redaktion in einem Boot, die sich darüber wundert, dass die „Highlights“ der Fashion Weeks mittlerweile in Raubüberfällen auf Kim Kardashian stattfinden und Fashion-Trends schon längst im Mainstream etabliert sind, bevor die eigentliche Inspirationsquelle in einem halben Jahr in den Handel kommt.

Bevor wir uns missverstehen: Social Media ist ein fantastisches Tool, um Trends wie Erlebnisse zu teilen – allerdings sollte es verantwortungsbewusst betrieben werden. Der Versuch eines Überblicks, was quantitatives Oversharing mit der Modebranche und den Menschen innerhalb dieser Blase macht…

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Neben den Fotografen, die Am Ende des Catwalks Full-Lenght-Shots der Modelle machen, knipst und filmt in den 2010ern jeder Gast.

Mode wird ihr eigenes Opfer

Einst zeigten Designer ihre Kollektionen einem kleinen, ausgewählten Publikum aus Moderedakteuren, Einkäufern und direkten Konsumenten. Modemagazine teilten ihr Wissen um jene Trends erst zu Saisonbeginn mit der Öffentlichkeit, ergo: Erst wenn Ende August die ersten Kollektionsteile einer Ready-to-Wear-Winterkollektion in den Boutiquen eintrudelten, waren „Vogue“ und Co. mit ihren verkaufträchtigen „September Issues“ am Start aka Kiosk. Selbiges galt für den Februar, der medial die Sommersaison einleitete.

Im Zuge der Digitalisierung haben sich in den vergangenen Jahren durch Facebook, Instagram, Snapchat und Co. jene Prozesse so weit verschoben bzw. beschleunigt, dass große Marken wie Tommy Hilfiger und Burberry in dieser Saison Kleidung gezeigt haben, die unter dem Motto „see now – buy now“ direkt nach deren Präsentation zum Kauf erhältlich ist. Verwirrend, dass nicht alle Marken diesem Beispiel folgten. Der Grund: Retailer bemängeln schrumpfende Abverkäufe aufgrund der Tatsache, dass Trends durch die 1:1-Präsentation für die Masse pre-saisonal erhältlich sind. Heißt: Wenn ein Retailer wie Zara lediglich vier Wochen benötigt, um einen RTW-Trend eines etablierten Designers zu kopieren und verkäuflich in den Filialen zu hängen, wer kauft dann noch da Original? Monate später. Zu einem höheren Preis.

Oversharing versus Inhalt

Oversharing ist ein hausgemachtes Problem der Designer-Marken. Wer keine Digital Influencer und Blogger einlädt, findet im Netz kaum statt. Und jede PR ist bekanntlich besser als gar keine – oder doch nicht?

Machen wir uns nichts vor: Seit jeder, der im Besitz eines Smartphones ist, seine Meinung als „Meinungsmacher“ einem breiten Publikum zur Verfügung stellen kann, hat die Qualität inhaltlich sehr gelitten. Menschen, die sich gut kleiden können, haben entgegen versierten Redakteuren nicht zwangsläufig Ahnung von Kostümgeschichte oder dem Werdegang eines Designers. Damit wir uns nicht falsch verstehen: Keiner ist verpflichtet, sich dieses Wissen anzueignen. Aber ein bloßes „awesome“ oder „ugly“ unter einem Foto-Posting sollten nicht mehrere Hunderttausend bis Millionen Follower erreichen, von denen mindestens die Hälfte diese „Information“ nicht eigenständig bewerten und verarbeiten kann.

Welch Glück für die Modebranche, dass viele Fashion-Blogger narzisstisch genug sind, sich lediglich selbst zu inszenieren anstatt Kommentare zu ihrer Umgebung abzugeben bzw. diese (nicht durch ein Smartphone) wahrzunehmen.

Fashion Week als Boulevard-Woche

Kim Kardashian wurde in Paris ausgeraubt und dabei um Geschmeide im Wert von 10 Millionen Euro erleichtert. Gigi Hadid wurde während der Mailander Fashion Week vom Promi-Störenfried Vitalii Sediuk begrabscht und sorgte mit diesem Vorfall ebenfalls für mehr Schlagzeilen, als die Max Mara Show, für die sie als Modell gebucht war.

https://www.instagram.com/p/BK86_2ijyaS/

Zu guter Letzt hat sogar der ehemalige Saint-Laurent-Designer Hedi Slimane seinen Twitter-Account nach Jahren der Social-Media-Abstinenz wieder aktiviert, um sich gegen die Vorwürfe zu wehren, er habe während seiner Designer-Amtszeit bei Saint Laurent das „Yves“ verschwinden lassen. Ein Tweet-Bombardement, das auch von Kanye West oder Donald Trump hätte stammen können, war die Folge. Streits, die online ausgetragen werden sind mittlerweile offenbar mehr in Mode, als Mode selbst…

https://twitter.com/hedislimanetwit/status/784176099500683264

Zieht das Design eines Designers nicht mehr?

https://www.instagram.com/p/BLdg5ZMgJW0/?taken-by=zayn

Abseits einer Mode-Ikone wie Karl Lagerfeld (gleichnamiges Brand, Chanel, Fendi) scheint heutzutage kaum ein Designer mehr im Alleingang als Zugpferd der Marke herhalten zu können. Designer sind online aktiver denn je, um ihre Kollektionen durch Stars zu puschen – siehe beispielsweise Olivier Rousteing für Balmain und seine #balmainarmy mit medienwirksamen Influencern wie Gigi Hadid, Kendall Jenner und Co.
Früher buchten Marken Promis als Werbegesichter, heute als Designer. So gibt es mittlerweile gefühlt hunderte internationale Stars wie Digital Influencer und Blogger, die mit Designermarken kooperieren und ihre Klamotte, Schlappe oder Tasche an den Konsumenten bringen. Besonders Musiker sind als Designer extrem gefragt. Zayn Malik für Versus Versace, Rihanna für Puma, Kanye mit Adidas – potenziertes Fan-Klientel schadet sicher nicht, aber inwiefern bringt das Design eines Musikers das modische Image einer Marke voran?

David M. Benett Getty Images